E-Business: Roter Teppich für den Mittelstand

17.05.2007
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.
Im Internet bieten sich kleineren Betrieben neue Chancen, das Geschäft auszubauen. Diese Botschaft war auf der CeBIT nicht zu überhören. Doch viele Unternehmer fahren nicht nach Hannover - regionale Messen treffen eher ihren Geschmack.

Unternehmer und Handwerker, die der CeBIT trotz hoher Eintrittspreise und horrender Hotelkosten einen Besuch abstatteten, mussten sich in Hannover vorkommen wie der Papst. Denn "Mittelstand" ist kein Igitt-Begriff mehr: Kein IT-Multi, der nicht eine abgespeckte Lösung feilgeboten hätte, kein Messe- oder Verbandsmanager, der sich nicht in bisweilen unerträglicher Mittelstands-Hudelei erging. Die Zeiten, als man die Kleinunternehmen noch als lästige Zeitgenossen im Regen stehen ließ, sind allem Anschein nach wohl vorbei.

Kompakt

  • Was E-Business dem Mittelstand bringt

  • Wie Berater Schwachstellen aufdecken

  • Warum regionale Messen beliebter sind als Mammut-Veranstaltungen

Dass dem Mittelstand der rote Teppich ausgerollt wird, kommt nicht von ungefähr. Denn die Unternehmer greifen wieder tief in die Tasche. Für IT wollen sie knapp zehn Prozent mehr als in 2006 ausgeben, erwartet IDC. Großes Investitionspotenzial verspricht der Handel zwischen Unternehmen (B2B) im Netz: Nahm er binnen Jahresfrist laut Branchenverband Bitkom um 36 Prozent auf 392 Milliarden Euro zu, soll das Volumen bis 2010 auf stolze 636 Milliarden Euro anwachsen.

Doch solche Größenordnungen taugen in der mittelständischen Wirtschaft vielerorts nicht als Leitmotiv. Marktforscher scheinen zu übersehen, dass die Akzeptanz bei Internetthemen wie E-Business gerade in kleinen Betrieben unverändert niedrig ist. Seit die Blase im Jahr 2001 geplatzt war, erläutert Edgar Reinhardt, E-Business-Berater der Industrie- und Handelskammer (IHK) Gießen, sei das Thema für die meisten Firmen tabu. "Einige kommen langsam aus der Ecke heraus und melden nun Beratungsbedarf an", beobachtet Reinhardt. Noch immer wüssten viele Firmeninhaber und Meister überhaupt nicht, wie das Internet in der Praxis geschäftlichen Nutzen abwerfen könne.

Reinhardt nimmt die Firmen an die Hand und überprüft zunächst ihren Online-Auftritt. Beim kostenlosen Website-Check deckt der E-Business-Experte gnadenlos Fehler auf: etwa gut gemeinte, aber Besucher abschreckende Java-Programmierung oder unzureichende rechtliche Informationen in Impressum und AGBs. Allesamt Gründe dafür, dass die Besucher eine Website sofort wieder verlassen, kaum dass sie dort gestrandet sind. "Wir beurteilen die Websites aus Kundensicht", erläutert Reinhardt seine Methode. Oft sähen Firmen in ihrem Internet-Engagement lediglich eine "Visitenkarte, die Kunden aber keinen Nutzen stiftet".

Eine Reise nach Hannover können wir uns nicht leisten. Benjamin Henke, RLS Elektronische Informationssysteme
Eine Reise nach Hannover können wir uns nicht leisten. Benjamin Henke, RLS Elektronische Informationssysteme
Foto: Benjamin Henke

Solche Website-Checks offeriert auch Heinrich Pletschacher, Chef der Landshuter Unternehmensberatung Optimize Consulting und als Dienstleister Mitglied der vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Mittelstandsinitiative Prozeus. Freilich geht sein Angebot weit über die Internet-Visite hinaus: Er hilft mittelständischen Firmen, interne wie externe Abläufe mit dem Internet zu verbessern. "Selbst kleine Betriebe können viel erreichen", verspricht er. Der ehemalige Oracle-Manager nennt zwei Beispiele. Auf seinen Rat hin errichtete ein Anbieter von elektronischen Bauteilen ein zentrales digitales Bildarchiv. Waren zuvor Datenblätter, Motive und Fotografien auf den Rechnern zahlreicher Mitarbeiter gespeichert, werden die zur Katalogproduktion benötigten Dokumente nunmehr zentral vorgehalten.

Verblüffend einfache Lösung

Wurden die internen und externen Bearbeitungs- und Abstimmungsprozesse in diesem Fall erheblich beschleunigt, griff der E-Business-Experte bei einem Etikettenspezialisten an der Schnittstelle zum Kunden ein. Bisher waren zehn Mitarbeiter für die telefonische Beratung zuständig, nach Intervention von Pletschacher nur noch drei, alle übrigen fanden intern neue Aufgaben. Der springende Punkt: Der Berater fand schnell heraus, dass ein Großteil der Kundenanfragen identisch war. Also entwickelte man ein stichwortbasiertes Feedback-System, das die Anfragen automatisch beantwortete. Wer wollte, konnte sich die Information auch per Mail zusenden lassen. "Die Lösung ist verblüffend einfach, die Kosteneinsparung dafür eklatant", fasst Pletschacher zusammen.

Intelligent eingesetzt, kann das Internet die Kundenbindung erhöhen, neue Geschäftsfelder erschließen und vor allem wertschöpfende Abläufe erheblich beschleunigen. Diese E-Business-Botschaft scheint anzukommen im Mittelstand.

Auf der CeBIT wurde im Rahmen der "Initiative BestPractise-IT" erstmals auch der Sonderpreis "Prozesse und Standards für mehr E-Business im Mittelstand" verliehen.

Kostensenkung bis zu 30 Prozent

Einer der Sieger, das metallverarbeitende Unternehmen Güde GmbH aus Plettenberg, errichtete einen elektronischen Katalog. Allein bei der Erfassung von Aufträgen sanken die Kosten um 30 Prozent. Mit einer Web-basierten Bestandssteuerung bei Karstadt überzeugte auch der Berliner Kulturtaschen-Hersteller Enderlein GmbH & Co. KG die Jury. Das beeindruckende Resultat: Mit dem sogenannten Vendor Managed Inventory steigerte die Firma den Umsatz in ausgewählten Filialen um knapp 25 Prozent.

Doch E-Business-Berater Reinhardt freut sich diebisch über den Preis, den eine andere Firma erhalten hat. Parallel zu Prozeus hatte auch das Netzwerk Elektronischer Geschäftsverkehr die Messe genutzt, um beispielhafte E-Business-Projekte auszuzeichnen. Auf Rang drei landete die Sweet Belly Couture GmbH & Co. KG aus Gießen, ein Internet-Kaufhaus für Schwangerschaftsmode. Wie alle anderen etwa 1000 Bewerber musste sich auch Sweet Belly einer regionalen Ausscheidung nebst Website-Check stellen. Reinhardt: "In Mittelhessen bewarben sich 30 Firmen, Sweet Belly siegte. Nun auch bundesweit auf dem Treppchen, das freut mich doch sehr."

Auch kleine Betriebe können viel erreichen. Heinrich Pletschacher, Chef der Optimize Consulting
Auch kleine Betriebe können viel erreichen. Heinrich Pletschacher, Chef der Optimize Consulting
Foto: Heinrich Pletschacher

Freilich sind die wirtschaftlichen Strukturen im ländlichen Mittelhessen für viele Unternehmen alles andere als modern und zukunftsorientiert. Metropolen sind weit entfernt; manchem Mittelständler wird die Welt der IT anmuten wie eine Fata Morgana. "Eine Reise nach Hannover können wir uns nicht leisten", sagt Benjamin Henke, bei der RLS Elektronische Informationssysteme GmbH in Lauterbach für Qualitäts-Management zuständig. Doch die Tage, dass die rund um den landschaftlich schön gelegenen Vogelsberg ansässigen Firmen sich wie Hintersassen vorkommen, sind definitiv vorbei.

Zu verdanken ist das dem "Vulkan Forum", einer regionalen IT-Messe, die von der IHK Giessen im letzten Jahr aus der Taufe gehoben wurde. Deutlich mehr Besucher und Aussteller als erwartet zog es nach Ulrichstein, der höchstgelegenen Stadt Hessens mit rund 5000 Bewohnern, etwa 50 Kilometer von Giessen gelegen. "Mit dem Vulkan Forum", skizziert Reinhardt die Ziele, "wollten wir die Nachfrage nach IT anstoßen und dem Mittelstand eine Plattform bieten, ihre Bekanntheit in der Region zu erhöhen." Motto der Veranstaltung: Wie kann IT den Büroalltag erleichtern?

Deprimierender Check

Einige Unternehmen melden nun Beratungsbedarf an. Edgar Reinhardt, E-Business-Berater IHK
Einige Unternehmen melden nun Beratungsbedarf an. Edgar Reinhardt, E-Business-Berater IHK
Foto: Edgar Reinhard

Mit diesem Problem hatte auch Henke seinerzeit schwer zu kämpfen. Die selbst gebastelte Internet-Seite glich eher Kraut und Rüben als einem übersichtlichen und kundenorientierten Schaufenster. "Der Website-Check fiel deprimierend aus", blickt der IT-Verantwortliche zurück. Doch der Besuch der etwa 25 Kilometer entfernten Regionalmesse entschädigte für vieles. Henke kehrte mit wertvollen Informationen über Suchmaschinenoptimierung und Content-Management zurück. Per Handschlag einigte er sich mit einem Dienstleister über die dringend gebotene Überarbeitung der Website. Ein weiterer Partner wickelt inzwischen alle Drucksachenaufträge online ab.

E-Business soll auch bei der Neuauflage des Vulkan Forums am 9. Mai das beherrschende Thema sein. Laut IHK-Berater Reinhardt sollen den Besuchern auch die Vorteile der elektronischen Archivierung präsentiert werden, denn viele Firmen wüssten oft nicht, wohin mit ihren Papierbergen. Die entscheidende Botschaft indes scheint in den Betrieben angekommen zu sein: "Je weiter die Ballungszentren entfernt sind, umso vorteilhafter ist das Internet."