CIM touchiert den "Faktor Mensch" ...

DV-Unterstützung: im Prinzip ja, aber nicht um jeden Preis

14.06.1991

Die Diskussion um CIM bedarf dringend einer Änderung der System-fixierten Planungsweise. Der Begriff "Integration" muß um die Belange der Mitarbeiter und ihre frühzeitige Einbeziehung erweitert werden. Horst-Joachim Hoffmann* beleuchtet den "human factor" bei Integrationsvorhaben.

Zunehmender Druck im Wettbewerb und vollmundige Schilderungen realisierbarer Einsparungen im Produktionsprozeß bei gleichzeitiger Steigerung der Flexibilität verfuhren oft zur Technologie-Gläubigkeit. Dabei wird der Mitarbeiter bei den Bemühungen zur Integration häufig als "sekundärer Faktor" außer acht gelassen. Die Folge: An sich sinnvolle Integrationsprojekte ersticken in miesem Arbeitsklima.

Der Traum von der menschenleeren Fabrik

Integration in Fertigungsbetrieben bedeutet nicht nur eine Veränderung der prozeß- und DV-technischen Konfiguration eines Unternehmens mit einer Neuorganisation der Datenströme und ihrer Verarbeitungsmechanismen. Sie umfaßt (zumeist) auch eine Überarbeitung althergebrachter Aufgabenverteilungen, Verantwortungsstrukturen und Arbeitsinhalte. Die menschenleere Fabrik - noch vor wenigen Jahren ein heißgeliebter Traum - ist mittlerweile einer mehr pragmatischen Betrachtung ausgesetzt. Dieser Pragmatismus erreicht nun ebenso das - doch eher realisierbare - Computer Integrated Manufacturing (CIM). Dessen Idealform mit integrierter Datenhaltung über alle Abteilungen und mit starker Kommunikationsorientierung bleibt dennoch ein Ziel.

Gerade in jüngster Zeit machen Meldungen über neue integrierende Systeme die Runde, so zum Beispiel der "Multi-Method-Planner" (Mump) vom Battelle Institute Frankfurt oder die Systeme im Rahmen des Esprit-II-Projektes. Ohne auf funktionale Beschreibungen eingehen zu wollen, läßt sich eine Gemeinsamkeit feststellen: DV-gestützt sollen mit diesen und anderen CIM-Systemen Komponenten und Abteilungen des Gefüges "Fertigungsbetrieb" informationstechnisch enger miteinander verbunden werden. Es stellt sich hier neben produktionsorientierten technischen Erörterungen auch die Frage, welche Auswirkungen ein weiteres Fortschreiten der Bemühungen um Integration für die direkt Betroffenen hat.

In jüngster Zeit sagt sich die CIM-Diskussion von einer reinen Technikorientierung und -gläubigkeit los und stellt den Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Grund für diesen Wandel ist die abgeklungene Euphorie bezüglich der Machbarkeit und der Effekte von Computer Integrated Manufacturing.

Die Vorreiter einer voll durchautomatisierten Fabrik (unter ihnen in starkem Maße die Automobilindustrie) haben inzwischen Lehrgeld gezahlt und festgestellt, daß sich angestrebte Rationalisierungseffekte nur bedingt einstellten. Dennoch muß bei Analyse und Ausformulierung der aktuellen Situation auch die bereits installierte Technik miteinbezogen werden; inzwischen sind enorme Summen darin investiert worden. Der teure Fehler ist geortet und von der Wissenschaft angegangen: Er liegt in zu isolierter Denkweise begründet.

Eine Relativierung der Techno-Orientierung ist angesagt, Wie beispielsweise Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) bemerkt haben, setzt die neuere CIM-Diskussion auf den Menschen. Das eigentliche Fundament bei CIM sei ein globales, ganzheitliches Denken. Denken in Zusammenhängen fordert seitens des Managements und der Leitenden vor Ort aber auch seitens der Mitarbeiter ein Umdenken. Es verlangt mehr Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Arbeit in ein Team einzubringen und zu kooperieren.

Die Gruppe gewinnt im Produktionsprozeß an Bedeutung. Die Wiederbelebung dieser Organisationsform erfolgt auch unter der Erkenntnis, daß es die eingebrachte Erfahrung in vielen Fällen einfacher macht, Entscheidungen zu fällen, die für den Fortgang des Fertigungsprozesses zum Beispiel bei Störungen von Bedeutung sind.

CIM soll die Loyalität fördern

So sind bereits im Vorfeld eines CIM-Projektes von den Projektverantwortlichen Überlegungen zur Gestaltung von technischen, organisatorischen und sozialen Abläufen zu treffen. Wie die Erfahrung lehrt, gilt hier der Grundsatz: "Je früher, desto besser." Denn die Projekt-Chefs haben bei den anstehenden Umstrukturierungen damit zu rechnen, daß bei allen Mitarbeitern - Fachkräften, Hilfskräften und Angestellten - Fragen über die eigene berufliche Zukunft auftreten. Zwar schafften es viele Unternehmen, angestrebte Rationalisierungen, die auch den Personalbereich betreffen, mit sogenannten "weichen" Lösungen zu erzielen. Bei diesen Lösungen fangen aber zumeist natürliche Fluktuation und altersbedingtes Ausscheiden den Großteil der Personaleinsparungen ab.

Die Zukunft bleibt für den einzelnen insofern offen, als daß er sich neuen Anforderungen gegenübergestellt sieht. Interessant ist, daß nach einer Untersuchung von Martin Baethge und Herbert Oberbeck vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen insbesondere männliche qualifizierte Angestelle bezüglich ihres Berufes "ein seltsam stabiles Beharrungsvermögen" haben. Diese Einstellung zum Beruf besteht vor allem in einem individuellen Leistungs- und Karrieredenken mit stark arbeitsinhaltlich geprägten Zügen und einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen. Aber, so meinen die Wissenschaftler, die Loyalitätsbindung an das Unternehmen beginne sich zu lockern.

Es gilt also, Wege zu finden, um die Loyalität zum Unternehmen durch das Projekt CIM zu stärken und nicht Gefahr zu laufen, durch unüberlegte Schritte die besten Mitarbeiter zu verlieren. Es bedarf allerdings auch auf seiten der Arbeitnehmer einer erneuten Anstrengung, sich als mitbestimmende Akteure zu begreifen und geistige Mobilität einzubringen.

Ein Schritt in diese Richtung ist, den Mitarbeitern bereits im Vorfeld Chancen aufzuzeigen, die sich durch das geplante Integrationsprojekt ergeben. Eine Arbeit mit höherer Verantwortung beispielsweise finden Frauen zu 70 Prozent und Männer zu 85 Prozent attraktiv. Das Interesse an einer fachlich qualifizierten und inhaltsreichen Arbeit, in der man über die Identifikation die eigene Persönlichkeit und die erworbenen Fähigkeiten beweisen kann, ist nach wie vor wichtiges -Merkmal der Einstellung zur Arbeit.

Übergeordnete Argumente bei der Begründung für die Attraktivität einer Positionsverbesserung finden nicht nur die Göttinger Wissenschaftler in der Orientierung auf einen interessanten Tätigkeitsbereich und im Interesse an erweiterten Chancen, betrieblichen Einfluß zu nehmen. Der Drang nach mehr Selbständigkeit, Entscheidungskompetenz und einer Stellung mit mehr Verantwortung im Unternehmen scheint offensichtlich. Hingegen gelten Mangel an Selbständigkeit, Langeweile und Eintönigkeit ebenso wie Anforderungsdruck als motivations- und nervtötende Faktoren.

Den positiven Komponenten zur Arbeitszufriedenheit Genüge zu tun, ist bei der Frage der Integration neuer informationsverarbeitender Technologie eine Forderung, der die technoorientierten Puristen oft nur bedingt begegnen.

Produktivität des Systems erhöht

Das Argument der Befreiung von Routinetätigkeit wirkt hier schlicht schwammig. Zwar sind die Fragen der Eliminierung von Routine gut meßbar - und somit ein vorzügliches Verkaufsargument für jedwede DV-Unterstützung - aber gerade hier bietet sich in der Phase der Vorüberlegung und Einführung von Integrationstechnologie für die Unternehmensleitung die Chance, durch kritische Diskussion mit den Betroffenen langfristig und gezielt die Arbeitsmotivation zu steigern. Sie wirkt auf die Produktivität nicht nur des einzelnen Betroffenen, sondern auch des gesamten Systems positiv.

Die Rückbesinnung auf die Gruppenarbeit im organisatorischen Konzept scheint ein Schritt in die richtige Richtung. Postulat ist, daß jeder Mitarbeiter in einer Gruppe jeden Arbeitsgang eines anderen Gruppenmitgliedes zumindest nachvollziehen kann. In der Fertigung hieße dies also ganz einfach, daß jeder Mitarbeiter jede Maschine innerhalb seiner Insel bedienen können muß.

Kleine Tricks mit großer Wirkung

Das wiederum bedingt Investitionen im Vorfeld der CIM-Einführung, die nicht nur in rein technischen Trainings bestehen. Auch die soziale Komponente ist zu beachten: Kommunikationstraining, Offenheit des Informationsaustausches gehören hierzu. Da sich das Potential jedes Unternehmens, sei es ein Auftrags-, Serien- oder Mischfertiger, bezüglich des Einsatzes von DV-Unterstützung und damit auch in bezug auf die Anforderungen an die Kommunikation unterscheiden, gibt es keine Patentrezepte dafür, wie ein hoher Faktor der Integration hier bestmöglich zu erreichen sei.

Japanische Organisationsstrukturen setzen beispielsweise häufig auf Komitees, die zur Entscheidungsfindunk allerdings einen sehr hohen Aufwand erfordern. Dieser Aufwand soll durch Einsparungen in der Durchsetzungs- und Implementierungsphase aufgefangen werden.

Aber in diesem Bereich wirken auch kleine technische Tricks oft Wunder. So hat ein Unternehmen aus der luftfahrttechnischen Feinmechanik den Mitarbeitern vor Ort an den computergesteuerten NC-Maschinen erweiterte Informationsmöglichkeiten eingeräumt. Während der Bearbeitung eines Auftrages kann der Maschinenführer neben den rein produktionstechnischen Details zusätzliche Informationen über den Auftrag abrufen und so die Arbeit in einen Gesamtzusammenhang stellen.

Der Zufriedenheitsgrad der Facharbeiter ist nach Aussage der Verantwortlichen durch dieses Angebot deutlich gestiegen: Der Mitarbeiter ist als Fachkraft aufgewertet und bekommt einen neuen Eindruck über seine Rolle im Gesamtprozeß der Fertigung. Zudem besteht bei dem Unternehmen die Möglichkeit, aus einer von der Disposition freigegebenen Auftragsschlange mit durchschnittlich fünf bis sieben zu erledigenden Aufträgen an der Maschine den nächsten durchzuführenden Auftrag selbst zu bestimmen. Auch hiermit sind - hervorgerufen durch mehr eigenständige Verantwortung des Facharbeiters - durchwegs gute Erfahrungen gesammelt worden; unter anderem optimierten sich die Umrüstzeiten, da auf Erfahrungswerte vor Ort gesetzt wird.

Diese Vorgehensweise in einem Teilbereich der DV-Unterstützung mildert verschiedene Ängste ab: Soziologische Untersuchungen über die Arbeitswelt zeigen, daß Arbeitnehmer eine Bedrohung durch Eingriffe in

- den Arbeitsinhalt,

- die Zeitsouveränität sowie

- die persönlichen Kontakte und Beziehungen empfinden. Die Angst vor einer Entindividualisierung der beruflichen Tätigkeit durch Eingriffe des Computers in die Inhalte der Arbeit ist laut Baethge und Oberbeck die häufigste Realerfahrung. Sie findet sich oft in Schilderungen von Arbeitnehmern als wesentliche Form der Gefährdung für die Berufssituation. Bedrohungsqualität besitzen demzufolge strikte Überantwortungen von Prüf- und Kontrollvorgängen

oder Entscheidungsvorbereitungen auf den Computer. Auch der Verlust von Anschaulichkeit der Arbeit und von Flexibilität bei ihrer Gestaltung gehört zu den am stärksten empfundenen Bedrohungen.

Zur Feststellung, inwieweit diese Bedrohungen bereits real sind, genügt übrigens ein einfaches Mittel, das "Zuhören".

Formulierungen wie "man kommt sich manchmal wie eine Maschine vor" oder "ich habe nur noch die Aufgabe, die Maschine zu bedienen" lassen, so die Göttinger Wissenschaftler, bereits tief blicken und verdeutlichen die Umkehrung von Subjekt und Objekt im Arbeitsprozeß: Nicht mehr der Mensch beherrscht das Hilfsmittel, sondern das Hilfsmittel den Menschen. Eingriffe in die Souveränität der Zeitgestaltung sind im heutigen Produktionsprozeß auf allen Ebenen schon dadurch überflüssig, daß im Normalfall die meiste Zeit ohnedies fremdbestimmt ist; dadurch sind sie andererseits auch in kleinsten Einheiten umso schmerzhafter. Die Angst vor beständiger Kontrolle durch das System ist insofern ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Verbleibt als letzte Bedrohung der Verlust der menschlichen Interaktion und Kommunikation am Arbeitsplatz. Auch hier kann durch ein geschicktes gruppenorientiertes Strukturschema unter dem Dach der computergestützten Integration Schadensbegrenzung bereits im Vorfeld stattfinden. Die Bildung verantwortlicher Kleingruppen - nicht nur im Produktionsprozeß, sondern auch in der Verwaltung - bedarf in diesem Zusammenhang einer Neubewertung. Zugegebenermaßen treten arbeitssoziologische Probleme immer dann verstärkt auf, wenn Technisierung ohne größere Reflexion stattfindet. Aber bei der Planung von integrierter Computerunterstützung in der Fertigung handelt es sich um ein Gebiet, in dem durch die wachsenden technischen Möglichkeiten noch viel Spielraum zur Gestaltung auch des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsinhalte existiert. Demzufolge steht Fehlervermeidung im Vorfeld an.

Raum für Flexibilität

Neben der Ausformulierung der technischen Komponenten für die Integration bedarf es einer stärkeren Formulierung qualitativer Arbeitsstrukturen. In ihnen sind Vorstellungen über Ablauforganisation, betriebliche Arbeitsteilungsformen und Hierarchiestufen sowie konkrete Anforderungen an die Techniknutzung zu entwikkeln, die weit über die heutigen Einzelprojektvorschläge hinausgehen. Die Vision der menschenleeren Fabrikhalle mag zwar verblassen, dennoch ist den Unternehmen mit dem Vorhaben "Computer Integrated Manufacturing" ein Mittel in die Hand gegeben, die Arbeitswelt auch für den Mitarbeiter positiv zu beeinflussen. Was häufig fehlt, ist die Bereitschaft, ganzheitlich zu denken und eine Fabrik als komplexes System verschiedener Komponenten und Regelkreismechanismen zu begreifen.

Führt man den Gedanken der Computerintegration auf die Grundbestandteile einer gemeinsamen Datenhaltung, eines ausgefeilten, verzahnten Ablaufplans und einer - produktionsorientierten - Steuerung der Kommunikation zurück, so ergibt sich fast zwangsläufig auch eine Neubewertung des technologischen Konzeptes, das einzusetzen ist.

Die Forderung heißt nicht: DV-Unterstützung um jeden Preis, sondern DV-Unterstützung dort, wo sie sinnvoll und zweckmäßig erscheint.

Das schließt auch die Möglichkeit ein, bereits existierende Systeme weiterlaufen zu lassen und sie aus ihrem verarbeitungstechnischen und kommunikativen Inseldasein sukzessive

in das Gesamtbild einzufügen. Voraussetzung - und das wird in vielen Fällen nicht genügend gewertet - ist die genaue analytische Bestandsaufnahme und Kenntnis der betrieblichen Gegebenheiten - seien es Materialflüsse oder seien es Informationsströme. Ohne brauchbares und präzises Datenmengen-Gerüst und einem exakten Strukturplan stiftet der Computer eher Verwirrung als Bereinigung und verstärkt so die negativen Faktoren der erlebten Arbeitsumwelt. Integration ist ein fließender Prozeß. In diesem Sinne bedarf es einer ebenso fließenden Konzeptionierung und konsequenten, kritischen Überarbeitung der notwendigen Schritte, die Raum für Flexibilität läßt.