DV-Qualifikation als Karriere-Killer?

08.09.1989

Berthold B. Trottnow, Personalberater und geschäftsführender Partner der Trottnow Managementberatung GmbH Executive Search Consultants, Stuttgart

Wer hierzulande einen 13lick in die Geschäftsführungs- und Vorstandsetagen der Handels- und Industrielandschaft wirft, erlebt Überraschendes: Da sitzen Vertriebs- und Marketingstrategen, Fertigungstechniker und Ökonomen. Hin und wieder, schon als Exoten, sind auch Qualitätsmanager oder Juristen zu finden. Wird aber nach dem DV-Spezialisten gesucht: Fehlanzeige!

Für die zweite Führungsebene, als Bereichs- oder Hauptabteilungsleiter gerade noch gut genug, ist es ihm in aller Regel -verwehrt, den Schritt in die unternehmerische Gesamtverantwortung zu vollziehen.

Ist der DV-Mann also ungeeignet für das Top-Management? Gilt er in den Augen vieler Entscheider womöglich immer noch als "Fachidiot" als verbohrter, detailversessener Datentüftler, unfähig, über den Tellerrand seiner binären Bit- und Byte-Welt hinauszublicken?

Eine Erhebung unter DV-Führungskräften, durchgeführt im ersten Halbjahr 1989, zeigte in der Tat, daß ein nicht unwesentlicher Teil der Befragten aus dem Org./DV-Bereich sich in seinem selbstgewählten Spezialistendasein recht wohl zu fühlen scheint.

Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen freilich hat inzwischen die mißliche Situation erkannt, nämlich am Ende der Karriereleiter angekommen zu sein, wenn es darum geht, in Führungspositionen der ersten Hierarchie-Ebene vorzustoßen. Allein, die Zeit dafür ist überreif.

Ein Vergleich zwischen den Anforderungsprofilen (persönliche Anforderungen) für Top-Manager einerseits und DV-Spitzenkräfte andererseits zeigt deutlich, daß in vielen wesentlichen Punkten Dekkungsgleichheit vorhanden ist:

- Die Befähigung, vielschichtige und komplizierte Arbeitsabläufe und Zusammenhänge zu analysieren und daraus taktische und strategische Entscheidungen abzuleiten, muß sowohl der DV- als auch der Unternehmensführer tagtäglich unter Beweis stellen.

- Von beiden wird ein großes Maß an logischem Denk- und Abstraktionsvermögen erwartet, also beispielsweise die Bereitschaft und Befähigung, in Modellen zu denken und die Unternehmensziele (Gesamt- und Teilziele) zu definieren und umzusetzen.

- Risikobereitschaft, Entscheidungskraft und Stehvermögen gelten als notwendige und unverzichtbare Anforderungen an beide Stelleninhaber.

- Last, but not least: Ohne Führungsstärke, positives Denken, Überzeugungs- und Motivationskraft kann weder der Informationsmanager noch der Vorstand reüssieren.

Alles in allem also müßte er nachgerade optimale persönliche Voraussetzungen für die oberste Sprosse der Karriereleiter mitbringen, der DV-Chef. Doch, die Wirklichkeit, sie ist nicht so.

Auf der Suche nach den Ursachen fällt zunächst auf, daß es in den zurückliegenden Zeitperioden häufig "Wellenbewegungen" gab, die ganz bestimmte Funktionsträger nach oben spülten: In den boomenden 50er und 60er Jahren, als das Wirtschaftswunder seinen Lauf nahm und der Begriff der Rezession kaum Fachleuten bekannt war, standen an der Spitze der Unternehmen Techniker und Ingenieure, die es verstehen mußten, große Serien kostengünstig zu produzieren, um eine schier endlos wachsende Nachfrage decken zu können.

Die 70er Jahre waren geprägt durch Ölschock, kürzere Konjunkturzyklen und die neue fernöstliche Herausforderung. Folge: Vertriebsspezialisten waren obenauf. Marketing und strategische Unternehmensplanung mußte her. Und, dies war neu, der Controller auf der einen und der Rationalisierer (Industrial-Engineer) auf der anderen Seite, sahen und erhielten ihre Karriere-Chance.

In den 80er Jahren schließlich war der Siegeszug der Computer nicht mehr aufzuhalten: Da wurde und wird in technischen und kaufmännischen Bereichen automatisiert, was das Zeug hält, die Softwareproduktion entwikkelte sich zu einem eigenen Industriezweig, Schlagworte wie CAD/CAM/CIM sind in aller Munde.

Eines jedoch nimmt wunder: Der DV-Mann blieb außen vor und ist heute, Ausnahmen bestätigen wie auch sonst die Regel, sowenig wie ehedem positionell in der obersten Führungsspitze der Unternehmen verankert. Wo zum Beispiel bleibt der "Vorstand für Informationsmanagement", wo der "Geschäftsführer Org./DV" und wo der Systemanalytiker oder Anwendungsprogrammierer im Top-Management der Konzerne?

Der Grund für dieses Mißverhältnis erscheint klar: Die Computer-Karriere findet "nach innen" statt, dient oft nur der Befriedigung der eigenen Eitelkeit. Die DV-Abteilungen und Rechenzentren in den Unternehmen sind sorgfältig abgeschottete Reviere, in denen die Cobol-, Basic- Fortran-Freaks ihr mitunter narzistisches Spezialisten-Dasein fristen und vergessen, ihre Mitspracherechte anzumelden.

Ich wage die These, daß es keine Berufsgruppe von vergleichbarer Wichtigkeit für Abläufe in Unternehmen, Behörden und Institutionen gibt, die sich ähnlich arglos wie DV-Spezialisten das Heft aus der Hand nehmen läßt. Man stelle sich einmal große Teile dieses Fachwissens gebündelt und organisiert vor, zusammengeschlosssen zu einer Art "Pressure-Group". So wie es in Verbänden organisierte Drucker, Journalisten und Fluglotsen gibt. Nicht auszudenken, welch fatale Folgen Arbeitsauseinandersetzungen zeitigen könnten: Rechner stünden still, Gehälter würden nicht überwiesen, Produktions- und Fertigungsabläufe unterbrochen, Zahlungen gestoppt, Strafmandate nicht zugestellt...

Es drängt sich, etwas verfremdet, das griffige Marxsche Motto der frühen Jahre der Arbeiterbewegung auf: "Programmierer aufgewacht und erkenne Deine Macht, alle Rechner stehen still, wenn Dein RPG-Programm es will!" Die Forderung freilich kann nicht lauten, im besten emanzipatorischen Sinne Quoten für die Zusammensetzung von Führungsriegen zu schaffen, um so den DVIern den Weg nach oben zu ebnen. Nein, da hilft kein Heulen und Zähneknirschen, da hilft "verdumpt nochmal", nur offensives Denken von neuer Qualität:

- Es heißt, endgültig Abschied nehmen von den goldenen Zeiten, als die Datenverarbeitung in den Unternehmen noch Spielwiese und Ersatzheimat für High-Tech-hörige Hobby-hacker war.

- DV-Führungskräfte sind aufgerufen, sich über ihre eigene Bedeutung für organisatorische Strukturen und Abläufe klar zu werden und mit Nachdruck ihre positionellen Ansprüche durchzusetzen.

- Es müssen bedeutend mehr Mitspracherechte eingefordert werden: Mitsprache nicht nur bei der Implementierung neuer Programmpakete für Finanz- und Rechnungswesen oder bei der Einführung von CAD und PPS, sondern Mitbestimmung bei allen unternehmerischen Entscheidungen.

Voraussetzung hierfür jedoch ist, daß der Anwendungsprogrammierer nicht mehr nur Spezialist, der Systemanalytiker nicht mehr freischaffender Künstler und der EDV-Boss nicht mehr reiner Hardwarefetischist bleibt. Denn der DV-Chef alter Schule, wie eine Glucke über seine Gerätschaften wachend, immer schon das nächste, neueste Release im Visier, ist nicht mehr gefragt.

Gefragt sein wird mehr denn jeder konzeptionell denkende und kostenorientiert handelnde Informations- und Kommunikationsmanager, der nicht davor zurückscheut, mit Einsparungs- und Rationalisierungsmaßnahmen im eigenen Bereich, in Programmierung, Systemplanung und Rechenzentrum, zu beginnen. Denn, Hand aufs Herz: Sind nicht nach wie vor die Maschinenkapazitäten vieler Rechenzentren überdimensioniert? Wird nicht bei Engpässen immer noch zuallererst über die Erweiterung der Speicherkapazität nachgedacht, als darüber, wie Peripherieauslastung und Programmabläufe zu optimieren, zu tunen sind?

Kurz: Die DV-Manager müssen heraus aus ihrem selbstgebauten Elfenbeinturm und sich konsequent als gleichberechtigter Teil des Managements sehen. Mit allen Vorund Nachteilen. Auch mit dem Nachteil, mit weniger Koketterie auskommen zu müssen und ihr Environment nicht als Statussymbol anzusehen. Dies, und die Bereitschaft, mehr unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, ist das Gebot der Stunde.

Nur unter diesen Voraussetzungen wird in den 90er Jahren der Informatiker als

Mitglied der Unternehmensführung so selbstverständlich sein,wie es heute schon der

Controller, der Ingenieur und der Verkäufer ist.