Bundesarbeitsgericht entscheidet über Umgang mit Leistungs- und Verhaltensdaten:

DV-Mitbestimmung weiter auf dem Vormarsch

25.04.1986

KÖLN (CW) - Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Mitbestimmung der Betriebsräte bei Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die zur Leistungs- und/oder Verhaltenskontrolle geeignet sind, hat die Personaldatenverarbeitung neuen, zusätzlichen Zwängen und Regeln unterworfen. Auf einer Fachtagung der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung (GDD) kürzlich in Köln standen entsprechende Ausführungen von Bundesarbeitsrichter Hans Christoph Matthes im Mittelpunkt des Plenumsinteresses.

Matthes referierte über die jüngste Rechtsprechung des ersten Senats zu Paragraph 87 Absatz 1 Nummer 6 Betriebsverfassungsgesetz, die zur Zeit durch die Interpretation des Bundesarbeitsgerichts die Gemüter in der Betriebspraxis in unterschiedlicher Ausprägung bewegt. Das Augenmerk des Plenums war besonders auf die Entscheidungsgründe zweier Beschlüsse aus den Monaten Februar und März 1986 gerichtet. Bei der Februar-Entscheidung stand die Frage zur Diskussion, ob ein Zählwerk an einer Schweißstraße, das unter anderem die gefertigte Stückzahl einer hier beschäftigten Akkordgruppe festhält, ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand ist.

Der erste Senat bejahte diese Frage und entschied dazu, daß es sich bei der Erhebung um ein Leistungsdatum handelt, das das Merkmal der Individualisierbarkeit mit sich führt. Dieser individualisierbare Überwachungsdruck kann, so das Bundesarbeitsgericht, auch bei einer Akkordgruppe gegeben sein (im vorliegenden Fall waren es maximal fünf Personen), da bei einer überschaubaren Gruppe sich der Leistungszwang auch auf einen einzelnen Arbeitnehmer übertragen kann. Diesen Zwängen könne sich der einzelne nicht entziehen, so daß auch hier die freie Entfaltung der Persönlichkeit in die Schranken gewiesen wird. Ein Teilnehmer mag sich bei diesen Ausführungen an Charlie Chaplins "Moderne Zeiten" erinnert haben, als er die Frage stellte, wie das BAG denn den Grad der freien Entfaltbarkeit bei Akkordgruppen sehe.

Diese mehr scherzhafte Frage blieb ebenso unbeantwortet wie die nach der Gruppengröße, bei der das BAG die Grenze für seine Überlegungen ziehen würde. Ausführung Matthes': "Vielleicht bei zehn Arbeitnehmern." Quintessenz für die betriebliche Praxis aus dieser Entscheidung ist, in Grenzfällen unter Umständen zu überprüfen, ob und inwieweit der für diese Gruppe zuständige Meister in der Lage ist, individuellen Zwang auszuüben oder wie sensibel das einzelne Gruppenmitglied auf diesen Überwachungsdruck reagiert.

Vielleicht ist diese Frage aber auch schon mit dem akkordimmanenten Leistungsdruck beantwortet. Man darf gespannt sein, ob sich das BAG bei weiteren Entscheidungen zu einer Quantifizierung des Merkmals "Gruppe" entschließen kann.

In der zweiten Entscheidung vom März diesen Jahres hatte das BAG auf Antrag eines Betriebsrates zu überprüfen, ob der Spruch einer Einigungsstelle unwirksam sei, der die Aufstellung der Fehlerzeiten von Arbeitnehmern, die häufiger unentschuldigt fehlen, arbeitsunfähig sind oder attestfreie Krankheitszeiten haben, zuläßt. Die Argumentation des Betriebsrates folgerte, daß diese Regelung gegen das Datenschutzgesetz verstoße und keine ausgewogene Interessenabwägung beinhalte.

Kein Verstoß gegen Datenschutzgesetz

Das BAG hat den Antrag des Betriebsrates abgewiesen und damit festgelegt, daß der Spruch der Einigungsstelle gleich einem BAG-Spruch anzusehen ist. In seiner Begründung referierte Bundesrichter Matthes, daß der Spruch der Einigungsstelle weder gegen geltendes Recht, insbesonders aber nicht gegen das Datenschutzgesetz verstößt. Das BDSG verbietet eine solche Datenverarbeitung nicht, da sie von der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses gedeckt wird. Die Einigungsstelle hätte auch eine durchaus angemessene Interessenabwägung vorgenommen. Der Spruch der Einigungsstelle gestattet zwar unter bestimmten Voraussetzungen diese Datenläufe, sichert aber bei allen Folgemaßnahmen eine Beteiligung des Betriebsrates.

Planung der DV ist mitbestimmungsfrei

Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die mit einem Vertreter an dem GDD-Forum beteiligt waren, sind folgende mitbestimmungspflichtigen beziehungsweise -freien Tatbestände erkennbar:

1. Die Planung der Datenverarbeitungsanlage sowie die Anschaffung der Hardware bleibt mitbestimmungsfrei. Allerdings kann es ratsam sein, die Betriebsräte bereits in diesem Stadium zu informieren, um Vertrauen aufzubauen und späteren Konflikten vorzubeugen.

2. Die bloße Speicherung von manuell erhobenen Verhaltens- und/ oder Leistungsdaten ist so lange nicht mitbestimmungspflichtig, wie keine darüber hinausgehende Auswertung erfolgt.

3. Wer ein Programm im Betrieb hat, das die Erhebung oder Verarbeitung von Leistungs- und Verhaltensdaten objektiv ermöglicht, hat die ausgewiesene Absicht, so BAG-Richter Matthes, die technische Einrichtung auch zu diesem Zweck zu nutzen. Auf die tatsächliche Absicht beziehungsweise Nutzung des Betreibers kommt es nicht an.

4. Die reine Auswertung manuell erhobener Daten durch technische Einrichtungen steht der Datenerhebung mittels technischer Einrichtungen wegen vergleichbarer Gefährdung des Persönlichkeitsrechtes gleich.

5. Nicht erforderlich ist, daß die erfaßten oder ausgewerteten Leistungs- und Verhaltensdaten für sich allein eine sinnvolle Aussage ermöglichen.

6. Nicht erforderlich ist ferner daß die aufgezeichneten Daten auch einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können. Vielmehr reichten kleine Gruppen wegen des zu erwartenden Gruppendrucks aus.

7. Krankheitsdaten werden nicht mehr als persönliche Daten, sondern unter bestimmten Voraussetzungen als Verhaltensdaten und damit mitbestimmungsrelevante Daten verstanden.

8. Die Überwachungseignung an der technischen Einrichtung wird bisher noch ausschließlich anhand der im jeweiligen System verwendeten Programme beantwortet; die Frage, ob auch sogenannte absolute Systeme, also Systeme mit Abfragesprachen, dem Mitbestimmungsrecht unterliegen, hat das BAG noch offengelassen.

9. Hinsichtlich umfassender Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten durch den Betriebsrat gibt es keinen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle. Allerdings sind die Informationspflichten des Arbeitgebers zu beachten. Ebensowenig können Betriebsräte oder Einigungsstellen bestimmte Datenverarbeitungssysteme verlangen oder ablehnen. Aus Sicht des BDA-Vertreters müsse die Mitbestimmung entfallen, wenn die Erhebung beziehungsweise Verarbeitung der Verhaltens- und Leistungsdaten ausschließlich zum Zwecke der Erfüllung gesetzlicher und tariflicher Pflichten erfolgt. Dieser Meinung schlossen sich die GDD-Vertreter an.

In der abschließenden Plenumsdiskussion dieser Fachtagung ging es weiterhin um die Frage, ob bereits ein einzelnes Datum für sich oder nur die Verknüpfung dieser Daten eine Mitbestimmung begründet. Hier gingen die Meinungen des Podiums auseinander. Nach BAG-Richter Matthes ist das einzelne Datum nicht relevant, erst die Verknüpfung der Daten ist entscheidend, wenn hierdurch eine Leistungs- oder Verhaltensaussage konstruiert werden kann.

Auf Teilnehmerfragen hin, wie seitens des BAG die LAG-Rechtsprechung zur Telefondatenverarbeitung entschieden wird, konnte Matthes noch keine näheren Ausführungen machen, da zur Zeit sechs Verfahren beim BAG anhängig sind und erst in Kürze eine erste BAG-Entscheidung zu erwarten ist.