Dialog-Info-System für unstrukturierte und Ad-hoc-Entscheidungen:

DV-Methode macht das Marketing schneller

14.10.1988

Marketiers haben es schwer: Können sich die Kollegen aus Auftragsbearbeitung und Planung von Absatz und Produktion mit computergestützten Methoden das Leben leichter machen, läßt sich die mehrdimensionale Entscheidungsfindung bei der Absatzpolitik nur schwer standardisieren. August Wilhelm Scheer* stellt deshalb ein Marketinginformationssystem (MAIS) vor, das Verantwortliche gerade bei solchen unstrukturierten Entscheidungen schneller zum Ziel kommen läßt.

Typische Fragestellungen für ein Marketing-Informationssystem sind: kurzfristige Preis- und Werbeaktionen festzulegen, Analyse von Marktsegmenten, Untersuchung von unterschiedlichen Absatzwegen etc. Der Benutzer soll dabei über eine einheitliche Oberfläche mit den Komponenten Datenbank, Methodenbank und Modellbank verbunden werden (vergleiche Abbildung 1 auf Seite 35).

Die Begriffe Methoden- und Modellbank werden nicht einheitlich benutzt. Unter einer Methode wird ein Verfahren zur Lösung von Problemen einer Klasse und unter Modell eine Abbildung eines realen Systems verstanden. Nach dieser Definition sind in einer Methodenbank zum Beispiel statistische und mathematische Lösungsverfahren enthalten, während in einer Modellbank die Strukturen realer Probleme gespeichert sind. Dieses bedeutet etwa, daß die Gleichung eines Prognosemodelles (also die Art der einbezogenen Zeitreihen, ihre Verknüpfung und die einzelnen Gleichungsansätze) ein Modell bilden, die Regressionsanalyse als statistisches Verfahren aber in der Methodenbank enthalten ist. Teil der Methodenbank können auch einfache Auswertungsunter-stützungen wie Reportgeneratoren, grafische Ausgabemöglichkeiten etc. sein.

Typisch für ein Entscheidungsunterstützungssystem ist, daß es im Mensch-Maschine-Dialog betrieben wird. Dieses ist erforderlich, weil weder das Informationsverarbeitungssystem "Mensch" noch das Informationsverarbeitungssystem "Computer" in der Lage ist, schlecht strukturierte Entscheidungsprobleme in effizienter Weise alleine zu lösen. Das für die Bereiche Anwendung, Methoden und Computereinsatz erforderliche Fachwissen ist unterschiedlich zu gewichten: Im Vordergrund steht das Fachwissen über das Anwendungsgebiet, ihm folgt das Wissen über die einzusetzenden Methoden Erst an dritter Stelle steht das EDV-Wissen.

Die Daten eines Marketing-Informationssystem sind für die Konsumgüterindustrie einmal interne Daten, die aus den operativen Systemen der Auftragsabwicklung zur Verfügung gestellt werden, und externe Daten, die von Marktforschungsinstituten angeboten werden. Zur Konstruktion der Datenstruktur wird das Entity-Relationship-Modell (ERM) von Chen eingesetzt. Objekttypen werden durch Kästchen dargestellt und Beziehungstypen durch Rauten (vergleiche Abbildung 2). Für die Objekttypen ARTIKEL und KUNDEN, die jeweils durch die Schlüsselattribute Artikelnummer (TNR) und Kundennummer (KNR) identifiziert werden, werden Klassifizierungsmerkmale als weitere Objekttypen gebildet.

Beispielsweise können Artikelmerkmale Farben, Größenklassen oder Materialart sein. Kundenmerkmale können Umsatzgröße oder Handelsformen sein. Die Beziehungstypen ARTIKELZUORDNUNG und KUNDENZUORDNUNG ordnen einem ARTIKEL beziehungsweise KUNDEN die zugehörigen Merkmale zu und umgekehrt. Die Beziehungstypen sind vom Typ n:m, das heißt, daß ein Artikelmerkmal bei mehreren Artikeln vorkommt und einem Artikel mehrere Merkmale zugeordnet sein können.

Die Klassifizierung kann sehr fein ausgelegt werden, um den Anforderungen einer differenzierten Absatzsegmentrechnung, bei der der Unternehmenserfolg auf einzelne Kunden und Produktsegmente aufgegliedert wird, Rechnung zu tragen.

Bei einer feineren Aufgliederung ändert sich die logische Datenstruktur aber nicht. Lediglich die Merkmalsausprägungen innerhalb der Merkmals-Entitytypen werden differenzierter. Die Beziehung zwischen KUNDE und VERTRETER wird durch die KUNDENBETREUUNG ausgedrückt.

Viele Marketingauswertungen untergliedern nach Gebieten, die sich an geografischen oder für Marketingauswertungen künstlich geschaffenen Grenzen orientieren (zum Beispiel die Nielsen-Gebiete). Bestehen eindeutige Zuordnungen zwischen KUNDE und GEBIET oder VERTRETER und GEBIET (zum Beispiel bei fest definierten Verkaufsbezirken), so können diese Zusammenhänge durch 1:n-Beziehungen dargestellt werden. In der Datenstruktur der Abbildung 2 werden dagegen n:m-Beziehungen der KUNDENBETREUUNG zwischen KUNDE, GEBIET und VERTRETER angegeben, das heißt auch Überschneidungen zugelassen.

Die Periodeneinheit sollte fein gewählt werden

Mit dieser Datenstruktur können bereits differenzierte Segmentierungsauswertungen durchgeführt werden. Bei vielen Marketingauswertungen werden Zeitreihen analysiert. Dieses bedeutet, daß Einzeldaten aus Werbeaktionen, Preisen, Absatzmengen, Auftragseingängen auf eine Periodeneinteilung verdichtet werden müssen. Bei Zeitpunktgrößen wie zum Beispiel Preisen müssen entsprechende Durchschnittswerte gebildet oder ein Bezugspunkt innerhalb der Periode definiert werden. Die Periodeneinheit sollte dabei möglichst fein gewählt werden, um detaillierte Auswertungen zu ermöglichen. Der Schlüssel des Entitytyps ZEIT wird als Datum bezeichnet. Andererseits muß die Einteilung so gewählt werden, daß viele der einbezogenen Merkmale in der gleichen Dimension vorliegen. Beispielsweise ergibt sich ein Problem, wenn ein Merkmal lediglich in Zwei-Monats-Werten angegeben wird, ein anderes Merkmal in Drei-Monats-Werten.

Schlüsselattribute können leer bleiben

Die einzelnen interessierenden Merkmale wie Werbungsausgaben, Preise etc. werden in dem Entitytyp MERKMAL erfaßt. Gegebenenfalls kann er nach einzelnen Merkmalsgruppen in Spezialisierungs-beziehungen untergliedert werden. Die ZEITREIHE ergibt sich dann als Beziehung zwischen MERKMAL, ARTIKEL, KUNDE, GEBIET und ZEIT. Die Kombination der Schlüsselbegriffe identifiziert eine Merkmalsausprägung. Sie stellt somit die Elementareinheit dar, die bei Auswertungen nach unterschiedlichen Kriterien verdichtet werden kann.

Die Datenstruktur läßt auch zu, daß einzelne Schlüssel-attribute leer sind. Beispielsweise können Werbeaufwendungen lediglich auf der Ebene ARTIKEL und Periode (DATUM) definiert sein. In diesem Fall würde für die Zeitreihe eine Kunden- und Artikelklassifizierung entfallen. Auch kann es sinnvoll sein, von vornherein auf die Untergliederung nach einzelnen Ausprägungen wie Kunden zu verzichten und die Zeitreihen auf der Ebene von Kunden- klassen zu definieren.

Neben den Daten aus dem eigenen Unternehmen können auch Daten, die von externen Datenanbietern bezogen werden, in der Marketing-Datenbank gespeichert werden. Von besonderer Bedeutung sind in der Konsumgüterindustrie die Quellen:

- Handelspaneldaten (Institute: Nielsen; GfK etc.),

- Verbraucherpaneldaten (G+I, GfK, GfM) und

- Werbedaten (Schmidt und Pohlmann, IVE, Bauer-Verlag etc.).

Beim Einzelhandelspanel wird eine Stichprobe aus repräsentativen Geschäften gebildet, die in regelmäßigen Abständen von Mitarbeitern des Marktforschungsinstituts besucht werden. Dabei werden pro Artikel Verkäufe nach Wert und Menge, Einkäufe, Lagerbestände und Distribution erfaßt. Damit werden sowohl die Einkäufe des Geschäftes von den Produzenten als auch der Absatz an die Endverbraucher erhoben. Bei einem Verbraucherpanel führen Verbraucher Einkaufstagebücher.

Während früher die externen Anbieter Daten in regelmäßigen Abständen als Tabellenwerke und damit in verdichteter Form zur Verfügung stellten, können zunehmend die Daten auf der Rohebene im direkten Datenzugriff bezogen werden. Teilweise übernehmen die Institute auch selbst die Speicher- und Verwaltungsfunktionen, so daß über einen Online-Zugriff die Daten bei Bedarf bezogen werden können. Diese Organisationsformen haben aber keinen Einfluß auf die Logik der Datenstruktur, wie sie später sowohl für ein Einzelhandelspanel als auch für ein Verbraucherpanel entwickelt werden. Gegenüber den verdichteten Tabellenwerken besitzt die Speicherung der Rohdaten den Vorteil, daß auftauchende Spezialfragen innerhalb der Marketingabteilung sofort beantwortet werden können und die Auswahlkriterien je nach Situation zum Beispiel um eine zeitlich begrenzte Marketingaktion zu beobachten, zusammengestellt werden können. Durch den Einsatz von sogenannten Scannern (automatischen Erfassungssystemen am Point of Sale in der Form Lichtgriffel etc.) kann für Handelspanel der Erhebungsvorgang präzisiert und beschleunigt werden. Durch den direkten Anschluß der Einzelhandelsgeschäfte an die Marktforschungsinstitute wird die Erhebung ohne manuelle Zwischenaufschreibungen auf elektronischem Wege weitergeleitet.

Die einzelnen Einkaufsstätten (Einzelhandelsgeschäfte) werden nach unterschiedlichen Organisationsformen (zum Beispiel Coop, Rewe, Spar etc.) klassifiziert und in Abbildung 3 durch den Entitytyp ORGANISATIONSFORM repräsentiert. Gleichzeitig wird für unterschiedliche Betriebstypen (etwa SB-Warenhäuser, Verbraucher-märkte, Discounter) der Entitytyp BETRIEBSTYP gebildet. Neben der Gebietszugehörigkeit (GEBIET) ist auch die ORTSGRÖSSE, in der sich die Einkaufsstätte befindet, ein wesentliches Beschreibungs-merkmal.

Ein Rohdatum des Handelspanels ist dann eine Kombination aus MERKMAL (wie Lagerbestand, Einkaufsmenge etc.), EINKAUFSSTÄTTE, ARTIKEL und der Bezugsperiode (ZEIT). Die externen Daten können sowohl Informationen über eigene Artikel als auch über Konkurrenzprodukte enthalten, so daß auch Marktanteilsauswertungen möglich sind. Bei einem Haushaltspanel wird für eine repräsentative Stichprobe von Haushalten ein Haushaltsbuch geführt, in dem jeder Einkauf nach Ort, Zeit, Artikel, Menge und Preis notiert wird. Diese Angaben werden von den Marktforschungs-instituten in regelmäßigen Abständen an die Abonnenten geliefert oder stehen auch im Online-Zugriff zur Verfügung (zum Beispiel bei dem System INMARKT der Firma G+I, Nürnberg).

In Abbildung 3 ist auch die Datenstruktur des Haushaltspanels aufgenommen. Ein Haushalt wird zunächst aufgrund bestimmter SOZIALER MERKMALE wie Haushaltsgröße, Einkommen, soziale Schicht, zu Haushaltsgruppen klassifiziert. Weiter können die auch bei der Einkaufsstättenbeschreibung eingeführten Merkmale wie GEBIET und ORTSGRÖSSE über Standortbeziehungen mit HAUSHALT verbunden werden. Von dem Haushalt werden einzelne Einkaufspositionen geführt, die sich aus den Haushaltsbüchern ergeben. Jede einzele Position der EINKAUFSPOSITION wird im wesentlichen durch den gekauften Artikel, das Einkaufsdatum sowie die erhobenen Merkmale des Artikels (Preis, Menge etc.) beschrieben.

Über die Verbindungen zu den gleichen Segmentierungen wie GEBIET, ORTSGRÖSSE, ARTIKEL und ZEIT sowie gleiche Merkmals-definitionen können in der hier dargestellten Datenstruktur Querauswertungen zwischen den einzelnen Datengruppen durchgeführt werden. Beispielsweise ist bekannt, daß Preisinformationen aus Haushaltspaneldaten genauer sind als Preisdaten aus Handelspanel. Andererseits sind Marktanteilsinformationen aus Handelspanel genauer zu ermitteln. Bei Marketingauswertungen, in denen Preis- und Marktanteilsentwicklungen gegenübergestellt werden, können diese somit aus unterschiedlichen Datenquellen über eine einheitliche Benutzerschnittstelle erreicht werden. Neben den hier ausführlich dargestellten Haushalts- und Handelspanelinformationen können weitere Daten etwa über Werbeausgaben oder Werbekontakte nach den Medien Fernsehen, Funk, Publikumszeitschriften und Tageszeitungen sowie Einstellungs- und Erinnerungswerte in eine Marketingdatenbank eingestellt werden. Die hier entwickelte Datenstruktur gilt für Unternehmen der Konsumgüterindustrie. Für Unternehmen der Investitionsgüterindustrie sind vor allen Dingen Informationen über die Absatzmärkte, inbesondere ihre demogra-phische und politische Struktur interessant.