DV-Leiter: Aus der Alchimistenstube in die Manager-Etage?

03.12.1982

Mystik und Euphorie sind in der Datenverarbeitung nüchterner und wirtschaftlicher Betrachtungsweise gewichen. Der Computer ist an den Arbeitsplatz gekommen. Vor 15 Jahren kämpfte der DV-Leiter mit "seiner Maschine", hatte kaum geschultes Personal und war ständig dem Mißtrauen der Fachabteilung ausgesetzt. Aber er hatte auch ein Wissensmonopol, das ihn mit erheblicher Macht ausstattete. Die Geschäftsleitung war bei Grundsatzentscheidungen im DV-Bereich auf seine Beurteilung angewiesen. Heute hat sich die DV-Abteilung als Dienstleistungsbetrieb stabilisiert und ihr Leiter zum Manager entwickelt. Sein Aufgabengebiet ist komplexen, die Anwender sind "mündiger" geworden. Nicht selten ist es jetzt an ihm, die Euphorie der Fachabteilungen für die Datenverarbeitung zu dämpfen... ih

Dr. Gerhard Kohnen

Ministerialrat und Leiter der Gruppe "Datenverarbeitung" im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn

In den 15 Jahren, in denen ich die DV-Situation beobachte, sind Anwender, DV-Leiter und die generellen Manager der DV gegenüber sachkundiger und auch skeptischer geworden. Unsere ursprüngliche Euphorie ist weg.

Das hat auch große Vorteile. Es wird nicht mehr so oft Unmögliches erwartet.

Bei uns in der öffentlichen Verwaltung ist es positiv, daß es in den letzten Jahren kaum eine Personalfluktuation gab. Dadurch haben wir eine gute Mannschaft von alten erfahre DV-Hasen, die natürlich die Materie sehr viel besser verstehen als früher.

Damals machten wir es mit Euphorie, heute mehr mit Wissen und Erfahrung. Fest steht außerdem, daß die Zuwachsraten unserer Budgets stagnieren oder sogar abnehmen. Das heißt, es entsteht eine Entwicklung, die bislang in der öffentlichen Verwaltung relativ selten war: das Kostendenken. Das führt jetzt zu Kosten-Leistungsrechnungen für neue Vorhaben und Anwendungen.

Wenn man in die Zukunft blickt, sieht man im Vergleich zu früher, daß die Personalkosten, sprich also die Software-Kosten, doch sehr viel mehr steigen als die Hardware-Kosten. Damit hat kaum einer vor zehn bis 15 Jahren gerechnet, daß die Hardware-Kosten so, aber auch nicht, daß die Software- und Personalkosten so steigen würden. Nicht ganz unschuldig daran sind sicher die Personalkosten, die auf Grund von Datenschutzmaßnahmen entstehen.

An das sogenannte informationstechnologische Dreieck, nämlich die heute immer größer werdende Verzahnung von Datenverarbeitung, Nachrichtentechnik und Büro-Automation haben vor zehn Jahren sicher noch nicht viele gedacht. Damals gab es die große Diskussion über die Dezentralisierung bzw. Zentralisierung, die teilweise ideologisch geführt wurde.

Heute ist es eine Hauptaufgabe, diese drei Gebiete organisatorisch zusammenzuschließen und dafür zu sorgen, daß sie störungsfrei laufen. Außerdem ist etwas eingetreten, woran ich vor 15 Jahren keineswegs gedacht habe. Die Entwicklungsräume für neue Techniken werden nicht kürzer, sondern in vielen Fällen länger. Vergessen sind auch die früher wirklich euphorischen Vorstellungen von welt- oder konzernumspannenden Informationssystemen, die einfach alle benötigten Informationen anbieten sollten.

Wo sind die eigentlich geblieben? Heute wird an kleineren überschaubaren Projekten gearbeitet, und auch dafür wird noch viel Zeit benötigt. Vor 15 Jahren habe ich mit einem Projekt begonnen, das dann bis zur Anwendungsreife sieben Jahre dauerte. Ich war überzeugt, das machen wir in den 80er Jahren mit links. Diese Hoffnung hat sich nicht bewahrheitet, vielleicht auch, weil die Aufgaben komplexer geworden sind und wir viele Schwierigkeiten damals nicht kannten.

Gerhard Schmidtkonz

Leiter Org./DV, Bekleidungshäuser Rudolf Wöhrl, Nürnberg

Vor zehn Jahren hatte die Datenverarbeitung noch etwas Mystisches an sich. Die DV-Leute arbeiteten in abgeschlossenen Räumen und die Kollegen dachten an Alchimistenküche.

Heute ist alles viel transparenter geworden. Der Computer ist letztendlich an den Arbeitsplatz gekommen. Die Anzahl der Mitarbeiter, die mit Datenverarbeitung zu tun haben, hat sich verzehnfacht. Außerdem änderte sich die Verarbeitung der Daten selbst grundlegend. Während früher mit selbstgestrickten Programmen und Dateien rumgewurschtelt wurde, arbeiten die Benutzer heute in Dialoganwendungen wie beispielsweise Datenbanken. Ferner wurde damals Stückwerk betrieben. Es fehlte die Integration der Arbeitsgebiete zueinander.

Die Anforderungen an den DV-Leiter haben sich geändert. Er war vor zehn Jahren oder früher mehr Spezialist als heute. Er mußte sich mit der Maschine auskennen und wissen, wie das Betriebssystem funktioniert. Das hat sich nach meiner Erfahrung gewandelt. Der DV-Manager muß heute besseres Allgemeinwissen besitzen, eine breitere Basis haben und die gesamten Anwendungen kennen, weil die Anwendungsbreite viel größer geworden ist. Außerdem gibt es heute noch einen wichtigen Gesichtspunkt: Er muß sich gut präsentieren und darstellen können. Ein guter DV-Leiter muß der beste Verkäufer innerhalb des Unternehmens sein.

Das Image hat sich vom Spezialisten zum Allround-Mann mit großem Wissen geändert. Er wird mit ganz anderen Problemen konfrontiert, seine Entscheidungen müssen richtig sein, denn dadurch kann möglicherweise viel Geld gespart werden. Dem DV-Leiter heute kommt eine entscheidende Schlüsselrolle im Unternehmen zu.

Hans Meintzschel DV-Leiter, Liederbach

Es wäre geradezu absurd, wenn sich die Aufgaben des DV-Leiters in den vergangenen 20 Jahren nicht ebenso geändert hätten, wie es die Entwicklung der neuen Hardware-Generationen und die Anpassung der Software an die Benutzer von sich aus verlangten.

Für viele jüngere Berufskollegen, die erst in den letzten fünf oder zehn Jahren in den Kreis der DV-Benutzer gekommen sind, bleiben Programme oder Abläufe, die vor ihrer Zeit entstanden sind - und davon gibt es noch immer welche - zumindest unverständlich und werden oft auch mitleidig belächelt. Doch in welcher seit etwa 20 Jahren bestehenden EDV sind alle Programme dem neuesten Stand der Technik angepaßt?

Ist es nicht so, daß die Entwicklung uns vorausgeeilt ist, mit neuen Projekten zwar die heutigen Möglichkeiten in die Planung einbezogen werden, jedoch aus Zeitmangel die alten und meist veralteten Abläufe, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, weiterleben? Die ersten DV-Anlagen als Ablöser der sogenannten konventionellen Maschinen erforderten eine ganz andere Denkweise sowohl für die Erstellung der einzelnen Programme als auch für eine vernünftige Planung der Abläufe. Gerade während dieser ersten Phase des Ein- oder Umstiegs auf EDV kannte man aus, schließlich die sequentielle Verarbeitung von Daten, selbstverständlich im Batch-Betrieb. Der Input erfolgte zumeist über Lochkarten und/oder mittels Lochstreifen. Nicht selten wurden damals die Lochkarten in vorgeschalteten Arbeitsgängen mit Hilfe einer Sortiermaschine mit zeitraubendem Aufwand in die zur Verarbeitung benötigte sequentielle Reihenfolge sortiert, manchmal sogar über einen Kartenmischer mit Stamm- oder Mutterkarten gemischt, ehe die eigentliche Verarbeitung auf der DV-Anlage beginnen konnte.

Selbst relativ schnelle Kartenleser waren bei dieser Verfahrensweise oft über Stunden blockiert. Aber nicht nur das. Da die DV-Anlage nur im Mono-Betrieb zu benutzen war, wurde die bedeutend schnellere und leistungsfähigere interne Verarbeitungszeit ungenutzt vergeudet.

Natürlich erforderten die damaligen DV-Anlagen auch eine andere Programmiertechnik. Um die zur Verfügung stehende Anlage bestmöglich zu nutzen, war es unumgänglich, das Befehlsrepertoire nicht nur genau zu kennen, sondern auch den Platz- und Zeitbedarf eines jeden Befehls zu berücksichtigen. zu einer Zeit, da die gängigsten Anlagen mit 8 oder 16 K, höchstens aber mit 32 K bestückt waren (Kernspeicher waren damals sündhaft teuer), Multiplikationen und Divisionen noch fortgesetzte Additionen beziehungsweise Subtraktionen waren, mit Registern gearbeitet wurde und Programme segmentiert werden mußten, wurde für die Programmerstellung ein bedeutend intensiveres Kennen der Hardware-Vorgänge benötigt.

Für den DV-Leiter dieses Zeitstadiums kam erschwerend hinzu, daß der Markt über keinerlei geschultes Personal verfügte, er zumeist die Ausbildung selbst übernehmen mußte und ständig dein Mißtrauen der Fachabteilungen ausgesetzt war. Oftmals nicht völlig unberechtigt, denn die vielen detaillierten Abläufe erhöhten zwangsläufig die Fehlermöglichkeiten. Mit Akribie stürzten sich die Empfänger des DV-Outputs über ihre Listen, umhin und wieder triumphierend einen Fehler präsentieren zu können.

Die wesentlichen Aufgaben lagen früher mehr im Bereich der internen Abläufe. Die Bedürfnisse der Fachabteilungen müßten in den meisten Fällen durch den DV-Leiter erkannt und "verkauft" werden, da vielleicht aus Sorge um die eigene Aufgabe oder auch nur aus der nicht unüblichen Geringschätzung der EDV kaum Wünsche an ihn herangetragen wurden.

Gleichgeblieben ist die ständige Bereitschaft des DV-Leiters, die Entwicklung der Hard- und Software aufmerksam zu verfolgen und die neuesten Möglichkeiten in seine Planungen einzubeziehen. Möglicherweise hat sich aber heute die Aufgeschlossenheit der Geschäftsleitungen gegenüber solchen Vorschlägen verbessert, mit Sicherheit jedoch haben die Fachabteilungen inzwischen ihren Nutzen durch die EDV erkannt und ihre Anliegen sind jetzt konkretisiert.

Damit wird der DV-Leiter heute oftmals in die Situation gebracht, die Euphorie der Fachabteilungen dämpfen zu müssen.

Der DV-Leiter heute, unterstützt durch ein gut geschultes Personal und die ihn entlastende Standard-Software, kann sich gezielter als früher den organisatorischen Belangen widmen und das lädierte Ansehen der EDV aufpolieren.

Udo-Achim Wrieske, Wrieske Unternehmensberatung, Hamburg

Die Aufgaben des EDV-Managements haben sich in den letzten zehn Jahren gewaltig verändert. Die "EDV-Euphorie" ist nüchternen und wirtschaftlichen Betrachtungsweisen gewichen. Der Status der EDV-Abteilung hat sich als "Dienstleistungsbetrieb" stabilisiert. Die Führungsrolle, die der EDV-Abteilung früher gerne eingeräumt wurde, in der Hoffnung, die mit dem Einsatz der EDV in den einzelnen Fachabteilungen verbundenen Probleme besser lösen zu können, hat sich nicht bewährt.