DV-Förderung: Mehr Geld für die Magermilch

08.07.1977

- Subventionen sind für den, der sie nicht erhält, immer etwas Fragwürdiges und nur für den, der sie erhält, etwas Positives. Mittlerweile scheint aber der Bund als Subventionsgeber selbst verunsichert, wenn man davon ausgeht, daß Minister Matthöfer in brieflichen Anfragen zur DV-Förderung nicht mehr das Objekt der Förderung - sondern das Unternehmen, das die Mittel erhalten soll, in den Vordergrund rückt.

Das ist ein wenig anders. Anfang des vergangenen Jahres entstand immer noch unter dem Eindruck der Schwierigkeiten der Telefunken AG mit Konstanz die Sorge, es könnten sich solche Schwierigkeiten wiederholen. Daraus entstand das Bedürfnis des Ministeriums, nicht nur fachliche Informationen von den geförderten Unternehmen zu erhalten, sondern darüber hinaus Informationen über die Wirtschaftslage. Die sollten es dem Ministerium gestatten, abzuschätzen, inwieweit die Wahrscheinlichkeit noch vorhanden ist, daß ein mit Steuergeldern gefördertes Projekt vom Unternehmen selbst zu Ende gebracht werden kann. Deshalb hat man begonnen über einen Rahmenvertrag zu diskutieren, dessen Ziel es war, eine Informationspflicht des Unternehmens auch im Wirtschaftsbereich gegenüber dem Ministerium vertraglich festzulegen. Dazu ist es aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht gekommen und auch deshalb nicht, weil der Wirtschaftsminister dieses Vorgehen des Forschungsministers für einen Sehritt in die falsche Richtung hielt und Einwände vorbrachte.

- Dabei fiel der Ausdruck der verkappten Investitionslenkung: Teilen Sie diese Auffassung?

Auf keinen Fall. Investitionslenkung läge doch nur vor, wenn die Unternehmen gezwungen wären, die Investitionen zu kanalisieren. Das müssen sie aber nicht, sie können die Förderung ja ablehnen. Und auch so, wie die Förderung bisher gelaufen ist, kann man nicht von Investitionslenkung sprechen. Denn diese Forderung gab und gibt nur Anreize, gewisse Dinge zu tun, die mit großen Risiken behaftet sind und deshalb aus freiem Willen vielleicht nicht getan würden.

- Hier hakt die Auffassung ein: Mit Subventionen würde unternehmerisches Risiko zur Gemeinschaftsaufgabe deklariert und gemeinschaftlich bewältigt, doch hätte letztendlich nur ein erlauchter Kreis von Dividenden- Empfängern den Nutzen davon.

Ich kenne diese Einwände und möchte entgegenhalten: Erstens beträgt der Prozentsatz der öffentlichen Mittel im Bereich Forschung und Entwicklung in unserem Hause etwa zehn Prozent der eigenen Aufwendungen. Mitbewerber auf dem Gebiet der Datenverarbeitung zum Beispiel in den Vereinigten Staaten bekommen ungleich höhere Anteile ihrer Forschungs- und Entwicklungsmittel, sei es direkt oder indirekt in Form von umfangreichen Aufträgen zur Verfügung gestellt.

- Können Sie das konkretisieren?

Die Siemens AG hat 1986/167 mit einem Umsatz von 7,8 Milliarden Mark 578 Millionen für die Forschung ausgegeben. Das ist bis 1975/76 gewachsen auf einen Umsatz von 21 Milliarden und Forschungsaufwendungen von knapp 1,8 Milliarden.

- Wobei die Konkurrenz nachgerechnet hat, daß Siemens seit Anlaufen der DV-Programme 500 Millionen Mark aus dem öffentlichen Subventionstopf erhalten hat.

Das braucht die Konkurrenz nicht nachzurechnen, das kann sie in dem jederzeit zugänglichen Förderkatalog des Forschungsministeriums nachlesen.

- Die Zahl trifft zu?

Ja, die Zahl trifft zu. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, was international tätige Unternehmen in Relation zu ihrem Umsatz bei der Forschung und Entwicklung selbst finanzieren und was sie aus den jeweiligen staatlichen Töpfen ihrer Heimatländer bekommen: Ich kenne zum Beispiel ein Unternehmen mit 3,5 Milliarden Dollar Umsatz und einem sehr hohen Entwicklungsaufwand in Höhe von elf Prozent vom Umsatz, das finanziert nur 5,4 Prozent aus der eigenen Tasche. Bei einem auch in der Bundesrepublik tätigen DV-Unternehmen liegen die Verhältnisse ähnlich: Knapp 3 Milliarden Dollar Umsatz, dabei 10,5 Prozent vom Umsatz F+E-Kosten die mit 5,8 Prozent Eigenanteil selbst finanziert werden. Jetzt vergleichen Sie dazu die Siemens AG: 19;5 beziffert sieh der Umsatz auf 19 Milliarden Mark, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung betragen 8,7 Prozent vom Umsatz und davon sind zirka 90 Prozent aus der Eigenfinanzierung.

- Dennoch wird vermutet, Subventionen führten zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs.

Ich glaube, wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden. Wenn wir von einer Förderung und der Beeinflussung des Wettbewerbs dadurch sprechen, muß zwischen dem Wettbewerb innerhalb und dem Wettbewerb der Bundesrepublik gegenüber nichteuropäischen Mitbewerbern unterscheiden werden. Hier gibt es zunächst auch einen bemerkenswerten Unterschied in der Größenordnung der Anlagen, um die es geht: Nach dem Ausscheiden von Telefunken aus dem Förderungsbereich hat sich die Konkurrenz mit großen DV-Anlagen voll auf Siemens konzentriert: Denn wir sind hier die einzigen, die überhaupt noch derartige Systeme entwickeln und fertigen AI}e unsere Mitbewerber sitzen im Ausland und werden dort in ganz erheblichem Maße von ihren Heimatländern gefördert.

- Gerade das Ziel, eine nationale, eigenständige DV-lndustrie mit dem Vehikel Subvention zu schaffen, ist nach Auffassung des schärfsten Kritikers der DV- Programme, des Bundesrechnungshofes nicht gelungen. Und war Siemens andererseits tatsächlich auf diese so karge Förderung angewiesen, um im DV-Bereich das zu werden, was das Unternehmen heute ist?

Ich möchte darauf aufmerksam machen daß die Kritik des Bundesrechnungshofes auf das Haushaltsjahr 1975 zielt. Der wesentliche Gegenstand des Vorwurfes beruht dabei darauf, daß die geförderte TC in Konstanz kurzfristig wirtschaftlich keinen Erfolg gehabt hat. Nun gehört das der Vergangenheit an: Aber falsch war bei TC damals vielleicht eine etwas übertriebene Zielvorstellung. Daß aber das Produkt kein Erfolg gewesen sein soll, ist technisch auf jeden Fall unzutreffend. Und ökonomisch kann man das vielleicht in einigen Jahren beurteilen. Ich weiß überhaupt nicht, wie es gekommen ist, daß eine tragende Motivation der DV- Förderungs- Programme, nämlich mit Mitteln des Staates Projekte zu fördern, bei denen das ökonomische Risiko über die privatwirtschaftlichen Möglichkeiten hinausgeht, in der jetzigen Diskussion völlig verlorengegangen ist.

- Immerhin scheint auf dem Feld der Subventionen systemimmanent zu sein, daß dort das Einsehen, ein Projekt sei ökonomisch gescheitert, zu spät oder nie kommt. Um die Zuschüsse am Fließen zu halten, greift das Unternehmen zu einer Rechtfertigungspolitik, ohne einzuräumen, das Projekt ist tot.

Das Projekt TR 440, um das es hier geht, ist heute noch nicht tot. Es wird mit großem Erfolg in der Bundesrepublik und im Ausland vertrieben. Wenn man den Zusammenhang zwischen einem geförderten Projekt und seinem gesamtökonomischen Erfolg betrachten will muß man in einem längeren Zeitraum rechnen und nicht im Vierjahres-Rhythmus eines Förderungsprogrammes. Hier treten wirtschaftliche Erfolge - und

Siemens hat in diesem Bereich bisher mehr als zwei Milliarden Mark investiert - manchmal erst nach zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren auf. Und ich glaube, daß man nur Voll größeren Unternehmen erwarten kann, sich in Entwicklungsbereichen zu betätigen, die einen so langen Atem erfordern.

- In welcher Rolle sehen Sie dann den Kleinbetrieb, wenn es um DV-lnnovationen geht?

Die Chance für das kleine und mittlere Unternehmen liegt mehr darin, entwickelte Technologie einzusetzen und damit Träger der Innovation zu sein. Großunternehmen wie Siemens müssen Träger der Intentionen sein, die hohe Vorleistungen und lange Entwicklungszeiträume erfordern.

- Weil das kleine Unternehmen nicht das finanzielle Potential hat, Produkte marktfähig zu entwickeln, muß es wohl auch auf den wirtschaftlichen Nutzen aus seinen Ideen verzichten?

Diesen Einwand verstehe ich nicht. Kein kleines Unternehmen kann hergehen und ein Kernkraftwerk bauen oder einen Großrechner, der einen Entwicklungsaufwand von anderthalb Milliarden Mark erfordert. Aber es gibt ja auf noch kleine Anlagen, zahlreiche Geräte und neuartige Produkte; die spezifischen Marktwünschen angepaßt werden können: Das ist genau das Betätigungsfeld von dem wir glauben, daß dort dem mittelländischen Bereich die Zukunft gehört.

- Nun werden aber gerade in der DV die sogenannten "steckerkompatiblen Hersteller" zurückgedrängt.

Ich bin genau entgegengesetzter Meinung. Wir sind hier seit Jahren ein harter Vertreter der Notwendigkeit von Normen. Daß das nicht funktioniert, dafür sorgen andere Kräfte auf dem Weltmarkt. Die sind zwar dafür, die Computer koordinieren zu können - aber nur wenn es ihre eigenen sind.

- Noch einmal Waren die Subventionen für Siemens notwendig?

Daß sie notwendig waren, steht außer Zweifel. Den Erfolg sieht man unter anderem daran, daß während der Förderungsperiode der Marktanteil unserer DV-Produkte an der Inlandsversorgung von fünf auf etwa 20 Prozent gestiegen ist. Das ist ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, daß der Markt zu Beginn der Förderungsperiode zu mehr als 90 Prozent von nichtdeutschen Unternehmen beherrscht war. Nicht deutsch, damit meine ich Unternehmen, deren Entscheidungszentrale nicht in diesem Land sitzt, bei denen die unternehmerischen Entscheidungen also außerhalb der Bundesrepublik getroffen werden.

- Das heißt, IBM in Sindelfingen ist auszuschließen von der Förderung?

Ich bin zutiefst überzeugt, daß dieses Unternehmen unter den gegenwärtigen Förderungsbedingungen keinen Pfennig haben möchte: Aus dem einfachen Grund, daß wir verpflichtet sind, das im Zusammenhang mit der Förderung entwickelte Know-how Dritten zur Verfügung zu stellen der öffentlichen Hand sogar kostenlos. Wir persönlich glauben in unserem Haus an die Notwendigkeit, die Ergebnisse unserer Forschung und Entwicklung breit in unsere Volkswirtschaft hineinzustreuen, um am innovativen Prozeß in unserem Land teilzuhaben.

- Würde Siemens, versehen mit der gleichen Marktmacht, anders handeln als IBM jetzt?

Diese Frage stellt sich nicht. Wir reagieren immer anders, und zwar überall. Es ist Tradition unseres Hauses, alle Produkte, die wir in unserem System verwenden, gleichzeitig auf dem freien Markt Dritten anzubieten.

- Nun gibt es den Vorwurf, mit Hilfe der Subventionen sei es möglich, unter Preis anzubieten.

Wer hat diesen Vorwurf ausgesprochen?

- Ihre Konkurrenten.

Das sind aber doch wohl keine aus der Bundesrepublik?

- Nein.

Nun, dies ist jedenfalls ein Argument im luftleeren Raum: Auch die DV-Preise bilden sich im Wettbewerb. In diesem Zusammenhang frage ich mich, ob denn die Bundesrepublik früh genug und genügend gefördert hat!

- Die Antwort: zu wenig.

Allein die Subvention der Magermilch ist lange Zeit höher gewesen als die Mittel, die in die DV-Förderung geflossen sind.

- Also wollen Sie weiterhin Subventionen?

Am liebsten wären uns Aufträge, die es uns erlauben, unsere wirtschaftlichen Ziele aus eigener Kraft zu erreichen.

Dipl-Ing. Walter Heimann (58)

ist altgedienter Siemens-Mitarbeiter und für den Bereich der ersten Stunde: Der Mathematiker ist seit 1951 im Unternehmen und hat seit 1957 Aufgaben im Bereich der Datenverarbeitung übernommen.