Dreizehn IDC-Prognosen für den Informations- und Kommunikationsmarkt:

DV an der Schwelle zu neuem Innovationsschub

15.06.1984

FRANKFURT (kul) - Seine von vielen Branchenkennern prognostizierte Marktdominanz wird der IBM PC langfristig nicht behaupten können. Dies ist eine der Vorhersagen, die William F. Zachmann, Vizepräsident der International Data Corporation (IDC), anläßlich der Briefing Session des Marktforschungsunternehmens in Frankfurt traf (CW-Nr. 21 vom 18. Mai 19841 Seite 1). Die Produktpolitik von Apple, Zukunftsaussichten für AT&T, neue Speicher- und Prozessortechnologien und LAN-Standards gehörten ebenso zu den Zentralthemen Zachmanns wie das Comeback von Ada oder das vieldiskutierte Betriebssystem Unix. Die COMPUTERWOCHE gibt die dreizehn Prognosen des Marktexperten in verkürztem Wortlaut wieder.

Prognose 1: Dem IBM-PC eine Führungsrolle Im Markt zu bescheinigen, erweist sich als voreilig.

Einen großen Markterfolg konnte der IBM-PC in seiner ursprünglichen Form bislang vor allem in den USA verbuchen. Trotzdem wird sich der "Kleine' nicht als ein Produkt behaupten können, zu dem es keine Alternative gibt. Gute Chancen, sich in speziellen Marktlücken zu behaupten, haben indes der 3270-PC und der PC/XT 370. Die Verbreitung des PC/ und PC/XT werden sie jedoch nicht erreichen. Als Produkt von geringer Durchschlagskraft erweist sich der PCjr. Der Zickzackkurs, den die IBM hinsichtlich ihrer Produktstrategie immer wieder einschlägt, wirkt sich auf die Zusammenarbeit mit Softwarepartnern und Händlern inzwischen negativ aus.

Zwar stehen demnächst wahrscheinlich wieder neue Produkte des Marktführers zur Einführung an doch ist nicht damit zu rechnen, daß eines von ihnen an den Erfolg des PC anknüpfen kann. Gleichzeitig muß sich IBM in einem Zweifrontenkrieg durchsetzen: Einmal versuchen die IBM-PC-Kompatiblen ein möglichst großes Stück des Marktkuchens zu ergattern. Zum anderen bietet Apple mit seiner Produktlinie Macintosh/ Lisa II eine echte Alternative zur PC-Architektur. Nur wenn IBM es künftig schafft, wesentlich bessere Leistung zu günstigeren Preisen zu bieten, kann der Branchengigant Verluste in diesen Konkurrenzkampf vermeiden.

Eine solche Strategie wird der Marktführer allerdings kaum durchführen können: Nicht nur eine Modernisierung des Systemdesigns wäre erforderlich, IBM müßte sich vielmehr mit einer geringen Gewinnspanne zufriedengeben. Solange PC und PC/XT jedoch gut laufen, wird IBM kaum die Preise senken oder Systemverbesserungen vornehmen. Das wiederum arbeitet den Steckerkompatiblen und Apple in die Hände.

Eine weitere Herausforderung für den PC stellt der Tandy 2000 dar. Mit seinen benutzerfreundlichen Features und einem günstigen Preis bringt er die Vermutung nahe, daß sich im Bereich der kleinen Systeme eher ein Standard auf Basis der 8088/86-Familie von Intel als auf Grundlage des IBM-PC herauskristallisieren wird.

Prognose 2: Apple treibt 1984 neue Blüten

Noch vor einem Jahr konstatierten wir, daß Apple mit einem weiteren erfolgreichen Produkt ein zweites Bein auf den Boden bekommen müsse. Der Apple lll hatte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt und Lisa fand in der ursprünglichen Form nicht genug Käufer, um den künftigen Erfolg des kalifornischen Herstellers zu garantieren.

Mit dem Macintosh hat Apple jetzt jedoch offenbar ein zweites Produkt entwickelt, das an die Wachstumsraten des Apple ll anknüpfen kann. Vorausgesetzt, es treten keine wesentlichen Probleme bei der Produktion und mit der Qualität der Komponenten auf, ist mit einem durchschlagenden Erfolg des Macintosh zu rechnen. Auch für die neuen Lisa-ll-Modelle sieht es gut aus. Mit einem niedrigeren Preis und verbesserten Features zielen sie auf die Interessenten hin, die zu den Bewunderern der "Ur"-Lisa zählten, sich aber vom Preis abschrecken ließen.

Weitere Preissenkungen und Verbesserungen bei der lIe-Linie werden das Interesse an dieser Produktfamilie genauso ankurbeln wie die Einführung neuer und preisgünstigerer Modelle. So ist beispielsweise von einem Portable die Rede. Die jüngsten Apple lle-Modelle stellen eine starke Konkurrenz zum PCjr dar, während der Macintosh langsam in die Position aufrückt, die bisher der IIe in der Apple-Produktlinie beanspruchte.

Prognose 3: Harte Zeiten für AT&T

Ganz sicher wird AT&T Information Systems dieses Jahr mit neuen Produkten aufwarten. Dazu gehören Workstations, kleine Prozessoren und DV-Erzeugnisse im weitesten Sinne wie Telefonanlagen und Netzwerk-Equipment. Trotzdem sieht es so aus, daß AT&T die Ausdehnung auf die Bereiche Computerproduktion und Office Automation mit "blauen Flecken" und roten Zahlen bezahlen muß.

Das Interesse des US-Konzerns konzentriert sich auf Rechner, die größenmäßig unterhalb der Mainframes, aber oberhalb der Personal Computer in ursprünglichen Sinne liegen. Auf diesem Markt engagieren sich jedoch bereits Digital Equipment, Wang, Data General, Prime, Honeywell und Burroughs sowie eine Vielzahl anderer Anbieter.

Unter einem enormen Konkurrenzdruck stehen die Produkte von AT&T-Technologies, die noch mit dem alten, von Western Electric entwickelten Equipment ausgerüstet sind. Im glücklichsten Fall ist hier mit einer kontinuierlichen Abnahme des Marktanteils zu rechnen - wenn es ganz schlimm kommt, mit dramatischen Verlusten.

AT&T Communications muß sich mit einer Situation auseinandersetzen, die längst nicht mehr so günstig aussieht wie zum Zeitpunkt direkt nach der Entflechtung des Konzerns. Die Wahrscheinlichkeit, daß AT&T neue Wachstumsbereiche für sich erschließen und so die in anderen Sparten entstandenen Verluste ausgleichen kann, ist nicht sehr groß. Allein die Unternehmensgröße ist auf dem Informations- und Office Automation-Markt keine Erfolgsgarantie. AT&T wird unter Umständen noch teures Lehrgeld zahlen müssen.

Prognose 4: Der Homecomputermarkt wird sich als wichtiger Bereich erweisen, der anspruchsvolle Systeme verlangt.

Da wir den Homecomputermarkt bereits zu Anfang dieses Jahres analysiert haben ("1984: Das Jahr des Verbrauchers" ), soll es hier nur kurz abgehandelt werden. Auf einen Nenner gebracht, läßt sich sagen, daß mehr dazu gehört, in diesem Bereich erfolgreich zu sein, als nur eine Tastatur mit einem Fernsehgerät zu verbinden. Leistungsfähige Schnittstellenlösungen in Verbindung mit gut durchdachter Hardware sind auf dem Heimrechnermarkt vielleicht noch wichtiger für den Erfolg als in der Industrie. Nicht zu vernachlässigen ist die Erkenntnis, daß viele Geschäftsleute ihren Homecomputer als zusätzlichen Rechner für geschäftliche Anwendungen einsetzen.

Konnten auf diesem Markt bereits in der Vergangenheit beachtliche Verkaufszahlen erzielt werden, so steckt doch erst das Homecomputergeschäft in den Kinderschuhen. Welches Potential diese Sparte in Wirklichkeit beinhaltet, sollte sich noch in diesem Jahr herauskristallisieren.

Prognose 5: Es wird neue CMOS-Prozessoren und Speicherprodukte von verschiedenen Anbietern geben.

Zunehmend an Bedeutung gewinnt die CMOS-Technologie. Sie braucht wesentlich weniger Energie und erzeugt folglich auch nicht so viel Hitze wie die in der Regel bisher eingesetzten NMOS- und HMOS- Verfahren.

Viele Halbleiternproduzenten werden dieses Jahr Prozessoren und Speicherchips auf CMOS-Basis vorstellen. Einmal handelt es sich hier um zusätzliche CMOS-Implementierungen älterer Chips wie die 80C86-Version des Intel 8086, die Harris für sich verbuchen kann. Zum anderen ist die Rede von neuen leistungsstärkeren Prozessoren, beispielsweise dem 32-Bit-Prozessor 386 von Intel der noch 1984 vorgestellt werden soll.

Außerdem wird es schon bald eine große Anzahl von Speicherprodukten auf CMOS-Basis geben: Das Spektrum reicht vom 64 K-Chip bis zur 256K-Version.

Prognose 6: Neue optische Speichernmedien werden angekündigt.

Die Bildplatte wird sich in den nächsten Jahren als eine der wichtigsten Entwicklungen auf dem informationsverarbeitenden Sektor überhaupt erweisen. In diesem Jahr sind bei verschiedenen Anbietern neue Produkte zu erwarten, die nicht nur mehr Speicherkapazität bieten, sondern auch bessere Direktzugriffszeiten versprechen.

Auch Folgeentwicklungen, die auf Basis der Bildplatten basieren werden 1984 von sich Reden machen. Einige dieser Erzeugnisse zielen auf den Einsatz als Massenspeicher und bieten sich damit als Alternative zu den herkömmlichen Aufzeichnungsverfahren an. Besonders wichtig sind jedoch diejenigen Produkte, die Daten- und Bildverarbeitungsfähigkeiten vereinigen und über hochentwickelte Benutzerschnittstellen verfügen.

Prognose 7: Die IBM-Architektur auf /360-Basis verliert endgültig an Bedeutung.

Diese Prognose erscheint zugegebenermaßen etwas riskant. Wir glauben jedoch, daß sie gute Chancen hat, sich zu bewahrheiten. Die /360-Architektur dominierte bis vor kurzer Zeit auf dem Universalrechnermarkt im Bereich der mittleren und großen Systeme. Bei den Mid-Range-Rechnern hat der Durchbruch der Minicomputer in den 70er Jahren dazu geführt, daß die 360/370/ 308X/43OO-Architektur an Boden verliert. Anders sieht es bei den Großsystemen aus: Hier macht diese Konzeption immer noch etwa zwei Drittel der Gesamtinstallationen aus.

Konzipierte sich das Interesse der Computerprofis bisher im großen und ganzen auf die von IBM geprägten Großrechnerarchitekturen, so wendet sich das Blatt allmählich: Andere Konzepte bieten sich inzwischen als Alternative an. Die Grenzen der 360/37O-Architektur treten immer offener zu Tage. Immer mehr Anwender erkennen auch, daß viele Anwendungen nicht unbedingt ein großes System erforderlich machen.

Auch IBM arbeitet immer mehr auf einen Bruch mit dieser "klassischen" Architektur hin. So bedeutet bereits MVS/XA ein Verlassen der eingefahrenen Wege. Eine endgültige Abon der alten 360-Architektur ist langfristig unumgänglich, da Big Blue dringend eine neue Prozessorlinie für seine Großrechner braucht.

Prognose 8: 1984 werden mehr Multiprozessorsysteme vorgestellt.

Multiprozessorarchitekturen werden für den Rest dieses Jahrzehnts eine echte Konkurrenz zu traditionellen Computersystemen darstellen. Anbieter wie Stratus, Synapse, Convergent Technologies und Apollo wetteifern darum, kleinen Systemen durch Verwendung der Multiprozessortechnologie die Fähigkeiten eines Großrechners zu geben.

Prognose 9: Datenbankmaschinen gewinnen an Bedeutung.

Datenbankmaschinen gibt es natürlich seit einiger Zeit. 1984 wird aber wohl letztlich das Jahr sein, das ihnen den Durchbruch auf breiter Basis bringt. Neue Produkte, die entweder für den Einsatz in einem Single-Computer-System oder in einem Netzwerk bestimmt sind, werden mit ziemlicher Sicherheit noch in diesem Jahr angekündigt. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, daß die Anwender sich der Vorteile einer Datenbank immer bewußter werden. Dies wiederum muß sich günstig auf die Verkaufszahlen auswirken. Die meisten neuen Datenbanksysteme basieren auf einem relationalen Modell, da diese Konzeption wohl am universellsten einsetzbar ist. Außerdem bringen die modernen Implementierungstechnologien kaum Nachteile hinsichtlich Kosten oder Leistung, wenn man sie mit Netzwerksystemen oder hierarchisch strukturierten Konzepten vergleicht.

Prognose 10: Ada erlebt ein Comeback

Das inzwischen relativ breite Spektrum an Ada Compilern und Schlüsselkomponenten für das Ada Development Environment (ADE) läßt die einst hochgejubelte Programmiersprache in neuem Glanz erscheinen. Da Ada eine strukturierte Sprache ist, gibt es genug Einsatzgebiete und zwar nicht nur im Militärbereich, für den sie ursprünglich entwickelt wurde. Da nicht damit zu rechnen ist, daß die herkömmliche Programmierung von den Softwaretools vollständig verdrängt wird, stellt sich als echte Alternative zu Cobol, Fortran und PL/1 dar.

Prognose 11: Der IEEE-802-Standard für LANs wird in der Industrie eine entscheidende Rolle spielen.

Benutzer und Produzenten sind sich darin einig, daß standardisierte Netzwerkschnittstellen eine dringende Notwendigkeit sind. Vom Standpunkt der Anbieter her betrachtet bedeutet die offene Architektur einer Standardschnittstelle, daß sie ein breites Interessentenspektrum ansprechen können: Der Kunde muß sich nicht mehr auf eine herstellerspezifische Lösung festlegen. Die Benutzer begrüßen ihrerseits einen solchen Standard, da sie von der Konkurrenz bei den verschiedenen Anbietern profitieren.

Es wäre jedoch naiv zu glauben, die Industrie wäre gleich Feuer und Flamme, nur weil sich jetzt aus der Norm 802 einige klare Standards ergeben. Nicht zu Ieugnen ist aber, daß sich hier für Hersteller und Benutzer ein eindeutiges Wettbewerbsargument abzuzeichnen beginnt, das 1984 noch an Bedeutung gewinnt.

Prognose 12: Eine eindeutige Unix-Dominanz zeichnet sich nicht ab.

Es läßt sich nicht abstreiten, daß der Einsatz von Unix in vielen Fällen durchaus sinnvoll ist. Als "einzigwahres" Betriebsystem wird es sich 1984 jedoch nicht profilieren können. Unix ist für Programmierer zweifellos eine tolle Sache, für Endbenutzer allerdings keineswegs eine Ideallösung: Die Portabilität ist längst nicht so groß, wie oft beschrieben, außerdem braucht Unix enorm große Ressourcen.

Viele Pro-Unix-Argumente erinnern an die Beweisführung zugunsten des UCSD p-Systems vor zwei oder drei Jahren. Eine Anzahl von Faktoren, die einer allgemeinen Akzeptanz des p-Systems entgegenstanden, treffen auch auf Unix zu.

Prognose 13: Der gegenwärtige Engpaß auf dem Halbleitermarkt wird schon bald überwunden sein.

Ins Gespräch gekommen ist in letzter Zeit der Lieferengpaß auf dem Halbleitermarkt. Besonders knapp sind derzeit nach Aussage des Intel-Managements die Prozessoren 8088 und 186 sowie der Controller 8051. Auf Endbenutzerprodukte wird sich dieser Engpaß wohl so gut wie gar nicht auswirken. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß diese momentanen Schwierigkeiten schon bald der Vergangenheit angehören.

Viele Kunden kaufen derzeit mehr Chips als tatsächlich benötigt. Es ist nicht neu, daß ein geballtes Auftreten von Hamsterkäufen den Markt irritieren und zu einem vorübergehenden Engpaß führen kann. Langfristig wirkt sich eine solche Knappheit allerdings kaum aus. Bis zum Sommer dieses Jahres dürften die Lieferschwierigkeiten auf dem Halbleitermarkt kein Thema mehr sein. Im Herbst kann bereits mit einem deutlichen Nachgeben der Preise gerechnet werden.