Vor dem endgültigen Marktdurchbruch

Durch den ACE-Beitritt von USL könnte Unix einen Schub erhalten

25.10.1991

MOUNTAIN VIEW/MÜNCHEN (jm) - Die Gründerväter der ACE-Gruppe und die Verantwortlichen von Unix System Laboratories (USL) haben zwei Vereinbarungen getroffen, die dem Betriebssystem Unix zur endgültigen Akzeptanz beim Anwender verhelfen könnten: Sie kündigten an, sowohl die Open-Desktop-Umgebung (ODT) von SCO auf Basis von OSF/1 als auch AT&Ts Unix System V, Release 4, (SVR4) mit gemeinsamen Application Programming Interfaces (API) auszustatten. Darüber hinaus ist die USL nunmehr selbst dem ACE-Konsortium als Mitglied beigetreten.

Mit diesen Vereinbarungen dürften einige Verunsicherungen am Markt über die Zukunft von Unix innerhalb der ACE-Gruppe vom Tisch gewischt sein: Schon am 9. April 1991, anläßlich der Taufe des ACE-Konsortiums, wurden bohrende Fragen an die Gründungsmitglieder DEC, Microsoft, Compaq und Mips wegen abtrünniger Mitglieder innerhalb der ACE-Initiative gerichtet.

Die Apache-Dissidenten innerhalb der ACE-Vereinigung - hierzu gehören, mit Ausnahme von AT&T, NEC, Olivetti, Prime, Sony, Pyramid, Tandem und die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG - machte nie ein Hehl daraus, daß sie sich dem Unix-Konsens der ursprünglich 21 ACE-Mitglieder (mittlerweile rund 200) in einem wesentlichen Punkt entgegenstellen wollten: Sie favorisierten die AT&T-Variante SVR4, während als gültige Unix-Lösung der ACE-Gruppe SCOs Unix-Umgebung Open Desktop (ODT), unter anderem um die Spezifikationen des Distributed Computing Environments (DCE) der OSF erweitert, ausgegeben wurde. Nun scheint sich die SVR4-Fraktion innerhalb von ACE durchgesetzt zu haben.

Mit dem Beitritt der USL zu ACE könnten sich die Gewichte innerhalb und außerhalb des Industrie-Konglomerats entscheidend verändern. ACE, das sich im Kampf um die zukünftig den Markt beherrschenden Betriebssystem- und Hardwarestandards auf Workstation-Ebene mit dem IBM-Apple-Motorola-Triumvirat und der Sparc-Gemeinde konfrontiert sieht, sammelte bereits Pluspunkte: Im Gegensatz zu den beiden anderen Industrie-Gruppierungen kann ACE schon Produkte vorweisen. So zog Mips Computer Systems bereits sechs Monate vor dem ursprünglich vorgesehenen Termin ihre neue RISC-CPU, den 64-Bit-Prozessor R4000, aus dem Ärmel.

Vorversionen von Windows NT und ODT

Bei der Markteinführung in San Franzisko präsentierten darüber hinaus Microsoft und SCO Vorversionen ihrer Betriebssysteme Windows NT und ODT auf R4000-Rechnern, die den von der ACE aufgestellten ARC-Spezifikationen (Advanced RISC Computing) entsprechen.

Bei Unix International (UI) in Brüssel sieht man die Mitgliedschaft der USL mit einigem Optimismus. Patricia Arundel, Director of Marketing Europe bei UI: "Die ACE-Mitgliedschaft der USL ist exzellent. Damit hat ACE SVR4 übernommen, und es wird eine entsprechende Implementation auf der ACE-Hardware geben."

Da die Apache-Gruppe seit jeher für SVR4 optiert hätte, geht Arundel davon aus, daß die USL mit ihrem Beitritt zum ACE-Konsortium künftig auch hier die dominierende Rolle spielen werde.

Mit ihrem ACE-Engagement verpflichtet sich die USL, ihre Unix-Schnittstellen sowohl für die RISC- als auch für die Intel-Plattform der ACE-Gruppe verfügbar zu machen. Die SVR4-Produkte werde die gleichen Interfaces unterstützen, die auch in den Betriebssystem-seitigen Application Environment Specifications (AES) der OSF sowie in der Oberfläche Motif und der Distributed-Computing-Umgebung (DCE) enthalten sind.

Arundel stellte "aufgrund des fortgeschrittenen Entwicklungsstandes von SVR4" in Aussicht, daß die gemeinsamen APIs auf jeden Fall innerhalb der nächsten zwölf Monate zur Verfügung stehen werden. Für die UI-Managerin stellt die Unix-Umorientierung der ACE-Unternehmen auch bezüglich der Ultrix-Anwendungen kein Problem dar.

DECs Product Sales Manager Systems Marketing Europe, Skip Garvin, hatte auf der Gründungsveranstaltung von ACE gegenüber der CW die Unix-Road-Map von DEC so umrissen, daß sowohl Ultrix/UWS, Version 4.2, als auch das VAX-System-V-Produkt in ODT, Release 1, verschmolzen würden. Arundel in Übereinstimmung mit DEC-Sprecherin Theresia Wermelskirchen hierzu: "Die aktuelle Ultrix-Version 4.2 ist kompatibel zu System V 3.2, und es dürfte - zumindest theoretisch - kein Problem sein, Kompatibilität zu SVR4 herzustellen."

Peter Kastner, Vice-President des Marktforschungsinstituts Aberdeen Group, glaubt, mit USLs Beitritt zu ACE habe sich das Industriekonglomerat das Beste aus den beiden Unix-Welten herausgesucht. Auf lange Sicht trage vor allem der Anwender den Vorteil aus der Annäherung der beiden am Markt dominierenden Unix-Versionen davon, denn "mit diesem Deal werden die Features und Funktionen einer Offenen-Systeme-Umgebung festgeschrieben."

Ähnlich argumentiert Mips-Manager Willi Haas, für den sich die Position der ACE-Untergruppe Apache nun deutlich lokalisieren läßt: "Die Mitgliedschaft der USL in ACE und vor allem die Bereitstellung gemeinsamer APIs bedeutet, daß ACE jetzt ein nach außen identisches Unix bereithält, das wahlweise in zwei Kernen verfügbar ist: einerseits mit dem kompletten SVR4-Kern, andererseits mit dem Mach-Kernel der OSF."

Für Anwender und Software-Entwickler bedeuten die USL-Mitgliedschaft in ACE sowie die Schaffung gemeinsamer APIs zwischen SVR4 und der OSF/1-basierten Open-Desktop-Umgebung, daß für die Mips-RISC-Plattform sowie für die von ACE vorgegebenen ARC-Spezifikationen nur noch ein Satz von Spezifikationen geschrieben werden muß.

Innerhalb der ACE-RISC-Plattform brauche man, so Mips-Manager Haas, im Gegensatz zum Übergang von der Intel-CISC- auf die Mips-RISC-Umgebung nicht zu rekompilieren. "Es reicht, innerhalb einer Mips-Umgebung unter Umständen neu zu linken. Das heißt, man verwendet entweder die Bibliotheken der OSF oder diejenigen von System V 4." Die Systemaufrufe innerhalb der Anwenderprogramme für die unterschiedlichen Unix-Betriebssysteme seien aufgrund der zukünftig identischen APIs nicht problematisch. USL, die SVR4 nach Worten von Vice-President Roel Piperauch weiterhin unabhängig von ACE vermerkten wird, plant ferner, in Kürze "Unix-Lite" vorzustellen. Diese SVR4-Version benötigt weniger Speicherressourcen und produziert weniger System-Overhead als die ausgewachsene System-V-Version.