Dubiose Transaktionen bei SER Systems

27.06.2002
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Angesichts der drohenden Insolvenz wollten Vorstand und Aufsichtsrat der SER Systems AG wesentliche Vermögensteile leitenden Mitarbeitern zuschachern. Das Landgericht Koblenz verbot die fragwürdigen Management Buyouts per einstweiliger Verfügung. Trotzdem veräußerte SER zwischenzeitlich das gesamte US-Geschäft. Aktionärsschützer sprechen von Bilanzmanipulationen und Täuschung der Anleger.
SER-Gründer Gert Reinhardt gab vor Gericht zu, die Aktionäre belogen zu haben.
SER-Gründer Gert Reinhardt gab vor Gericht zu, die Aktionäre belogen zu haben.

Die Pleite des fünftgrößten deutschen Softwareunternehmens scheint kaum noch abwendbar. Als das Management im Februar überraschend eine katastrophale Bilanz vorlegte, dämmerte Anlegern und Kunden, wie ernst die Lage wirklich ist. Bei einem Umsatz von 149 Millionen Euro schrieb der einst hochgelobte Spezialist für Dokumenten-Management-Systeme (DMS) 163 Millionen Euro Verlust für das Jahr 2001.

Flugs präsentierten Vorstand und Aufsichtsrat einen vermeintlichen Rettungsplan: Über zwei Management-Buyouts (MBOs) wollten sie fast das gesamte Konzernvermögen an leitende Manager veräußern. Nur so lasse sich die drohende Insolvenz abwenden, erklärten sie den verunsicherten Aktionären. Auf einer eilig einberufenen Hauptversammlung (HV) am 26. April gaben die ihr Plazet. Doch am 4. Juni untersagte das Landgericht Koblenz die Übertragung der Vermögenswerte.

Die HV-Beschlüsse "sind gesetzwidrig zustande gekommen und deshalb nichtig", heißt es in der Urteilsbegründung, die der CW vorliegt. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatten die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre e.V. (SdK) und weitere Anteilseigner gestellt, "um die vom Vorstand und Aufsichtsrat beabsichtigten dubiosen Finanztransaktionen zu stoppen".

Die wirtschaftliche Schieflage des ehemaligen Vorzeigeunternehmens am Neuen Markt hatte sich Ende 2001 dramatisch zugespitzt. Wegen offenkundiger Liquiditätsprobleme forderten die Gläubigerbanken eine vorzeitige Rückzahlung der Kredite in Höhe von zirka 35 Millionen Euro. Seit 1998 hatte SER Systems acht Firmen gekauft und dabei nach Meinung von Experten seine Kerngeschäftsfelder DMS und Workflow vernachlässigt.

Gleichwohl versuchte Vorstandschef Gert Reinhardt noch im Februar 2002, die Lage schönzureden. Um die Liquidität des Unternehmens stehe es "deutlich besser, als es manche Analysten immer wieder zum Besten geben", sagte er der CW. Im Verfahren vor dem Landgericht Koblenz musste Reinhardt einräumen, dass die SER-Gruppe auch nach den geplanten Management-Buyouts insolvent werden würde, sollten die Banken einem bislang verweigerten Forderungsverzicht nicht zustimmen.

Nun fahren Aktionärsschützer schwere Geschütze gegen den Unternehmensgründer auf. Reinhardt und dessen Angehörige halten zusammen mehr als ein Viertel des Aktienkapitals. Auf der strittigen Hauptversammlung hätten er und der Aufsichtsratschef Roland Paule die Anteilseigner "angelogen", wesentliche Informationen zu den beabsichtigten MBOs seien ihnen "bewusst vorenthalten worden".

Für die europäischen und die US-amerikanischen Gesellschaften planten Reinhardt und Paule jeweils ein MBO. Als Käufer trat im ersten Fall ein "Management-Team" unter Leitung des Geschäftsführers der SER Solutions Deutschland GmbH, Kurt-Werner Sikora, auf. Das US-Geschäft sollte an ein Unternehmen des ehemaligen Finanzvorstands der SER Systems AG, Carl Mergele, übergehen.

"Einen angemessenen Kaufpreis hätten die Manager allerdings nicht zu bezahlen", moniert SdK-Vorstand Klaus Schneider. Mergele etwa hätte für die ohne Software und Markenrechte rund 15 Millionen Dollar schwere Übernahme der US-Gesellschaften lediglich mit 15 Prozent der von ihm gehaltenen US-Firma KES Acquisitions LLC bezahlt. Nach SdK-Informationen handelt es sich bei KES um eine Vorratsgesellschaft ohne jeden Wert. Hinzu kommt: Zur Vorbereitung der Transaktion hätte die deutsche SER Systems gegenüber der US-Tochter SER Systems Inc. - und damit mittelbar gegenüber den Käufern - auf Zahlungen in Höhe von 45 Millionen Dollar verzichtet.

Reinhardt habe zwar eidesstattlich versichert, dass er nichts mit der KES zu tun habe, berichtet ein Insider. Es gebe aber Hinweise darauf, dass er mit KES "unter einer Decke steckt". So habe er bereits Immobilien am US-Sitz der KES erworben. Gemeinsam mit dem ehemaligen SER-Finanzchef Mergele soll er zudem Teile der US-Gesellschaften zu hohen Preisen weiterverkauft haben. In der Hauptversammlung am 26. April habe davon niemand etwas gewusst.

Für den europäischen MBO stellt sich die Lage ähnlich dar. Offiziell war von einem "angemessenen Kaufpreis" in Höhe von 17 Millionen Euro die Rede. Ein von der SER Systems AG beauftragter Wirtschaftsprüfer taxierte demgegenüber allein den Wert der zu übertragenden Tochtergesellschaften auf bis zu 34,5 Millionen Euro. Unberücksichtigt ist dabei der Wert zugehöriger Software- und Markenrechte.