An der Terminbörse werden Geschäfte nur noch per Computer abgewickelt

DTB: Millionenbeträge als Einsatz beim Computerspiel

09.02.1990

FRANKFURT (gs) - Bankiers bezeichnen es als "historisches Ereignis", als "Resolution" und "Urknall". Die Eröffnung der Deutschen Terminbörse in Frankfurt beflügelt die Phantasie der deutschen Finanzexperten wie kaum ein Ereignis seit der Währungsreform. Eine abenteuerliche Sache ist sie allemal: Zum zweiten Mal in der Geschichte wird eine Börse allein per Computer realisiert.

Mit einer klassischen Börse hat die am 26. Januar in Frankfurt eröffnete Deutsche Terminbörse (DTB) kaum mehr etwas gemein. Keine schreienden Broker, keine Wandtafeln, kein hektisches Treiben. Ein paar nüchterne Räume, insgesamt gerade tausend Quadratmeter, Terminals, Drucker. Die neunte bundesdeutsche Börse ist ein großes Computerspiel: Angebot und Nachfrage treffen sich in den Zentralcomputern in Frankfurt, die Geschäftspartner sitzen an ihren Bildschirmen irgendwo in Deutschland.

Ansätze zur Computerisierung des Börsengeschäfts gab es schon länger. Erst vor kurzem jedoch wagte man den Sprung vom Online-Datendienst zum Geschäftsabschluß per Terminal. Vorreiter waren die Schweizer mit ihrer Terminbörse "Soffex" (Swiss Options an Financial Fortunes Exchange), die im Juni 1988 als erste vollautomatisierte Computerbörse der Welt den Betrieb aufnahm

Realisiert wurde die Soffex, ebenso wie jetzt die DTB, von Andersen Consulting, einer Tochterfirma des amerikanischen Beratungsunternehmens Arthur Andersen und Co. Kein Wunder, daß das Soffex-System nun auch als Basis für die DTB-Software diente. Die Anpassung des 1988 für 15 Millionen Mark von der DTB angekauften Programmpaketes an die deutschen Verhältnisse dauerte dennoch fast zwei Jahre. In Spitzenzeiten, so Thomas Fischer, Gesamtleiter des Projekts, waren bis zu 100 der gegenwärtig 400 bundesdeutschen Andersen-Mitarbeiter mit der DTB beschäftigt.

Termingeschäfte, von den einen für unverzichtbar erklärt als Schutz gegen Kursverluste bei Aktienanlagen, von den andern verdammt als hochspekulatives Gewinnspiel, waren in Deutschland nach dem schwarzen Freitag 1929 verboten und erst vierzig Jahre später mit starken Einschränkungen wieder zugelassen worden. Besorgt, die internationalen Geldströme könnten die Bundesrepublik links liegen lassen, hatten deutsche Bankiers schon seit längerem die Aufhebung der Restriktionen gefordert.

1987 schließlich nahmen sie die Sache in Angriff. Ein Konsortium aus fünf deutschen Großbanken erteilte im Oktober den Auftrag zur Realisierung. Neun Monate später gründeten 17 Kreditinstitute in Frankfurt die Trägergesellschaft DTB Deutsche Terminbörse GmbH. Die Voraussetzung dazu hatte kurz zuvor eine Novelle zum Börsengesetz geschaffen, mit der privater Optionshandel und Geschäftsabschlüsse am Terminal zugelassen wurden.

Die Entscheidung, die DTB als reine Computerbörse aufzubauen, begründet Christian Imo, Chef der DTB-Handelsabteilung, damit, daß die elektronische Schnittstelle Kommunikationsfehler minimiert, Abwicklungszeiten verkürzt und bei den Handelsteilnehmern Informations- und Relationsschnelligkeit erhöht: "Mehr Sicherheit, höhere Handelseffizienz und Markttransparenz sind die Folge."

Zugleich allerdings, räumt DTB-Sprecher Wilhelm Brandt ein, fällt durch die Anonymisierung am Bildschirm die soziale Kontrolle weg, die auf dem klassischen Börsenparkett wirksam ist: "Da muß die DTB einspringen, sowohl durch ihre Kontrollfunktion, die sie täglich wahrnimmt, als auch durch Händlertreffen, bei denen sich die Geschäftspartner mal kennenlernen können."

Technisch, zumindest hardwareseitig, ist die Terminbörse ein relativ kleines und gar nicht so revolutionäres System. Das Rechenzentrum besteht aus zwei VAX-Rechnern der Serie 6330, 51 externen Speicherkapazitäten ESE 20 mit insgesamt 16,8 Gigabyte Kapazität, 20 bis 25 Terminals und einigen Bandlaufwerken.

An die Zentrale sind über Standleitungen fünf "Access-Points" (in Frankfurt, Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München) angeschlossen, die als Netzknoten den Datenverkehr mit den Computern der derzeit 53 Marktteilnehmer (28 davon alleine in Frankfurt) abwickeln. Dort, in den "User-Devices", werden die Daten bildschirmgerecht aufbereitet und auf die

Händler-Terminals ausgegeben. Die Access-Points bilden zwei (in Frankfurt vier) VAX-Stations 3100, die User-Devices können DEC- oder IBM-Rechner unter VMS beziehungsweise AIX sein.

Um die erforderliche Verfügbarkeit sicherzustellen - 98 Prozent gelten bereits als unannehmbar - sind sämtliche Systemkomponenten doppelt ausgelegt. Nur die Standleitungen von der Zentrale zu den

Access-Points sind wegen der hohen Kosten (20 000 bis 25 000 Mark pro Monat und Leitung) nur einfach vorhanden. Als Ausfallsicherung dienen hier zwei Notleitungen zwischen Hamburg und Düsseldorf sowie zwischen München und Berlin, auf die automatisch umgeschaltet wird, wenn die Hauptverbindung ausfällt. Und wenn tatsächlich einmal gar nichts mehr

gehen sollte, hofft man, den Betrieb mit Telefon, Fax und Telex aufrechterhalten zu können.

Die Software besteht aus insgesamt über 1200 Programmen (an die 700 für den Börsenbetrieb und rund 500, die auf den Rechnern der Teilnehmer laufen) mit zusammen mehr als 1,3 Millionen Codezeilen. Etwa 100 verschiedene Darstellungsweisen sollen den Händlern helfen, mit der Fülle der Informationen in der nötigen Geschwindigkeit fertigzuwerden. Für spezielle Verarbeitungen, etwa Risikoanalysen, gibt es Schnittstellen,

über die eigene Programme der Bank (Back-Office- und Front-Office-Systeme) mit der DTB-Standardsoftware zusammenarbeiten können.

Im Vorfeld kursierende Gerüchte über unzuverlässige Software und unterdimensionierte Hardware will Rainer Teschner, DTB-Projektleiter bei Andersen Consulting, nicht gelten lassen. Natürlich habe es Probleme gegeben während des viermonatigen Simulationsbetriebs. Aber das sei doch etwas hochgespielt worden. Nichts davon habe das Funktionieren ernsthaft in Frage gestellt.

Einmal, erinnert er sich, seien bei einem High-volume-Test von einem Basiswert in einer Stunde 500 000 Kontrakte, etwa 15 bis 20 Prozent vom gesamten Jahresgeschäft dieses Wertes, gehandelt worden. Da habe es "natürlich eine etwas schlechtere Performance gegeben, aber wir waren sehr erfreut, daß das System das ohne Schwierigkeiten durchgestanden hat, also ohne daß etwas abgestürzt ist."

Ein weiteres Problem gab es beim Umstieg von VMS 5.1 auf die Version 5.2. Hier habe Fremdsoftware, die für IBM-User-Devices die Schnittstelle von Decnet zu TCP/IP betreibt in regelmäßigen Abständen die Leitung zugemacht und ein Umschalten zum zweiten Communication-Server des Knotens erzwungen, wodurch dann, wie er zugibt, "alle Banken von der Performance her etwas beeinträchtigt wurden". Bis der Fehler behoben ist, würden deshalb die Access-Points jetzt wieder mit VMS 5.1 arbeiten.

Trotzdem rechnet man allgemein nicht mit ernsteren Problemen. Den Eröffnungstermin für die Börse hatte man sicherheitshalber dann aber doch auf einen Freitag gelegt - damit im Notfall genügend Zeit für die Reparatur bleibt.

Bislang ging alles gut, obwohl die Realität die Erwartungen schon jetzt weit hinter sich gelassen hat. 24 887 Kontrakte wurden am fünften Börsentag gehandelt, am sechsten waren es über 25 000. Mit 10 000 pro Tag hatte man ursprünglich gerechnet für das erste Jahr, 15000 sollten es im zweiten Jahr werden, 20 000 im dritten. "Kein Problem", behauptet Teschner, "auch bei 120 000 haben wir l noch eine vernünftige Performance." +