Streamgate steht kurz vor der Pleite

DSL-Politik der Telekom fordert erstes Opfer

22.03.2002
MÜNCHEN (ba) - Der Münchner DSL-Anbieter Streamgate hat die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt. Aufgrund unbezahlter Rechnungen in Höhe von knapp zehn Millionen Euro hat die Deutsche Telekom die Leitungen der Streamgate-Kunden gekappt. Insider machen die Monopolisierungspolitik der Telekom sowie das Versagen der Regulierungsbehörde für die Probleme verantwortlich und warnen vor weiteren Pleiten.

"Wenn sich innerhalb der nächsten zwei, drei Wochen nichts dramatisch ändert, geht es zu Ende", beschreibt Joachim Skora, Vorstand für die Bereiche Marketing und Vertrieb bei Streamgate, die augenblickliche Situation des DSL-Anbieters. Zwar gebe es nach wie vor Gespräche mit der Telekom, der Erfolg lasse sich jedoch nur schwer abschätzen. Auch die Regulierungsbehörde sei mittlerweile eingeschaltet, berichtet Skora. Er gehe jedoch nicht davon aus, dass sich schnell eine Lösung aus dem Ärmel zaubern lasse.

Obwohl der DSL-Spezialist aus München in Verhandlungen mit der Telekom versucht hatte, eine Lösung für sich und seine Kunden zu finden, scheinen diese Bemühungen gescheitert. Man habe sich nicht auf ein tragfähiges Konzept einigen können, heißt es in Telekom-Kreisen. Da der DSL-Anbieter offenbar außerstande ist, Rechnungen der Telekom in Höhe von knapp zehn Millionen Euro zu bezahlen, habe diese die Anschlüsse der Streamgate-Kunden abgeschaltet. Man habe das Unternehmen von diesem Schritt bereits in der letzten Februarwoche informiert, erklärt Telekom-Sprecher Frank Domagalla.

Telekom kappt LeitungenUnter den Streamgate-Kunden verbreitet sich indes Galgenhumor. In verschiedenen Internet-Foren machen sie vor allem ihrem Ärger über die Kommunikationspolitik des DSL-Anbieters Luft. Ein Kunde schimpft, man habe ihn erst wenige Minuten vor dem Abschalten der Leitung davon in Kenntnis gesetzt. Ein anderer berichtet, die Streamgate-Mitarbeiter würden versuchen, ihre Kunden per Telefon über die Misere zu informieren. Ärgerlich sei nur, dass mittlerweile ein Großteil davon keine funktionierende Leitung mehr besitzt.

Wie die Zukunft von Streamgate mit seinen 40 Mitarbeitern aussehen wird, blieb bis Redaktionsschluss ungewiss. Die Telekom habe das Thema nicht für wichtig genug befunden, um es auf einer Sitzung am Montag, den 4. März zu behandeln, berichtet Streamgate-Manager Skora. Man warte seit Ende Februar auf eine Entscheidung der Telekom. Ein Finanzierungsplan liege dem Telko-Riesen seit Wochen vor. Die Verantwortlichen dort würden eine Entscheidung jedoch von einem Tag auf den nächsten verschieben. Eine Erklärung für diese Hinhaltetaktik gibt es für Skora nicht.

Den Vorwurf der Verzögerungstaktik weist Telekom-Sprecher Frank Domagalla zurück. Das ganze Problem ließe sich leicht dadurch beheben, dass Streamgate die ausstehenden Rechnungen bezahle. Das Unternehmen könnte sich die entsprechenden Mittel beschaffen, die Rechnung begleichen, und die Kunden könnten wieder ans Netz. "Dieser Weg ist im Grunde recht einfach."

Mittlerweile empfehlen die Streamgate-Verantwortlichen ihren Kunden, ihre Anschlüsse über die Telekom schalten zu lassen. Da man ein Ende dieser Situation für die Anwender nicht absehen könne, sei es nur fair, ihnen zu sagen, wie sie schnellstmöglich an eine funktionierende Telefonleitung kämen, erklärt Skora.

Geldhahn zugedrehtAuslöser für die jetzige Situation sei die fehlgeschlagene Finanzierungsrunde im Januar gewesen, räumt Skora ein. Dazu beigetragen habe der extrem pessimistische Finanzmarkt, der zurzeit sehr restriktiv agiere. Das Schicksal vieler Firmen im Telko-Umfeld werde in den nächsten Monaten von deren Finanzierung abhängen. Anderen Unternehmen wie zum Beispiel QSC drohe das gleiche Los. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die noch einmal Geld bekommen", vermutet Skora.

Uta Teigel, Pressesprecherin bei QSC, weist diese Bedenken zurück. Das Unternehmen sei gut durchfinanziert, und der Geschäftsplan stehe bis zum geplanten Breakeven im Jahr 2004. Mit den aktuellen Zahlen und den Prognosen liege man im Plan. Dass jedoch nicht alles ganz so rund läuft wie beschrieben, zeigen die jüngsten Zahlen. So steigerte der DSL-Anbieter aus Köln im letzten Jahr zwar seinen Umsatz von drei auf 28 Millionen Euro. Zugleich stieg aber auch der Verlust von 79,4 Millionen Euro im Jahr 2000 auf 85 Millionen Euro im letzten Jahr an. Auch das Ziel, Ende 2001 zwischen 40000 und 50000 Nutzer zu versorgen, wurde verfehlt. Knapp 33000 Kunden greifen derzeit auf die QSC-Angebote zurück.

Man werde sich weiter auf den Geschäftskundenmarkt konzentrieren, erklärt Teigel die künftige Strategie. Im Massenmarkt sei es angesichts des Preisdumpings der Telekom und der "fortschreitenden Remonopolisierung" zurzeit nicht möglich, alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Zusammenarbeit mit der Telekom, von der man die "letzte Meile" zum Kunden mieten müsse, "funktioniere im Wesentlichen auf Arbeitsebene", berichtet die Sprecherin. Es gebe zwar Auseinandersetzungen über strittige Punkte, wie Installationsgebühren oder Vertragsstrafen, im Großen und Ganzen bekomme man jedoch die meisten Kunden zur anvisierten Zeit angeschlossen.

Telekom taktiert und verzögertDas kann ein Sprecher von M-Net nicht bestätigen. "Es ist sehr schwierig und verzögert das Geschäft ungemein", berichtet er. So habe das Unternehmen, das im Großraum München agiert, in manchen Gegenden wie zum Beispiel Freising und Fürstenfeldbruck keine Kollokationsflächen von der Telekom bekommen. Das bedeute, dass es dort keine Alternative zur Telekom geben wird. In anderen Gebieten habe M-Net zwar Zugang zu den Hauptverteilern erhalten, wichtige Räume habe die Telekom aber nicht freigegeben. So könne M-Net beispielsweise die Kunden im Zentrum von Ingolstadt nicht bedienen. Ob die Restriktionen von Seiten der Telekom tatsächlich technische Gründe haben oder ob Taktik beziehungsweise Unvermögen dahinterstecken, vermag der Sprecher nicht zu sagen.

Mittlerweile habe man angesichts dieser Praktiken einen Protest bei der Regulierungsbehörde eingereicht. Viel verspreche man sich davon jedoch nicht. Bis genug Fälle gesammelt und dem Regulierer vorgelegt seien, dieser daraufhin ein Verfahren eröffne und auch abschließe, dauere es im günstigsten Fall ein halbes Jahr. Diese Verzögerungen seien für M-Net zwar ärgerlich, bedrohten aber nicht die Existenz des Unternehmens, da man über ein unabhängiges Glasfasernetz verfüge, das die Großkunden direkt ohne Zutun der Telekom bediene. Für Firmen wie Streamgate, die ohne eigenes Netz auskommen müssten, sei es allerdings schwieriger, die Verzögerungen zu überbrücken.

Diese Vorwürfe will Matthias Kurth, Chef der Regulierungsbehörde, nicht gelten lassen. Es liefen Hunderte von Verfahren, die alle fristgerecht zu Ende gebracht würden. Der Vorwurf, die Behörde schaue den marktbeherrschenden Unternehmen nicht auf die Finger, sei nicht gerechtfertigt. Man gebiete jedem von der Telekom praktizierten Missbrauch Einhalt. "Das ist unser Verdienst."

Das sehen die deutschen Branchenverbände jedoch ganz anders. "Die Untätigkeit der Regulierungsbehörde ist aus unserer Sicht ein Skandal", schimpft Rainer Lüddemann, Geschäftsführer des Bundesverbandes der regionalen und lokalen Telekommunikationsgesellschaften (Breko). Es habe eineinhalb Jahre gedauert, bis die Telekom die Preise erhöht habe. Diese Zeit habe der ehemalige Staatsbetrieb dazu genutzt, den Markt mit Preisdumping zu erobern. Um dies zu verhindern, hätte die Behörde schnell und massiv eingreifen müssen. So habe die Telekom aus Sicht eines großen Wettbewerbers sehr geschickt agiert. "Sie hat alle Register gezogen, die man ziehen kann."

Spiel auf ZeitAuch nach Ansicht von Marion Krause, Sprecherin des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), hat die Telekom alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft. "Aber das war natürlich ein Spiel auf Zeit." Den Deal mit der Regulierungsbehörde, im Gegenzug für die Genehmigung der DSL-Niedrigpreise Line Sharing und Resale anzubieten, hätten die Telekom-Verantwortlichen mit den im Grunde aussichtslosen Klagen ausgehebelt. Entsprechende Angebote vom rosa Riesen gebe es bis heute kaum.

Da die Regulierungsbehörde offenbar nicht in der Lage ist, der Telekom Paroli zu bieten, suchen die Wettbewerber den Weg über die Gerichte. Laut einem jüngst gefällten Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster darf die Telekom den Wettbewerbern die Nutzung der bestehenden Verkabelung künftig nicht mehr verwehren. Damit wies das Gericht die Berufung gegen einen bereits im Jahr 2000 gefällten Spruch des Verwaltungsgerichts Köln zurück. In der Urteilsbegründung kritisierten die Richter die Verweigerungshaltung der Telekom als offensichtliche Diskriminierung. Das Unternehmen habe seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt. Damit habe es versucht, sich in telekommunikationsrechtlich verwerflicher Absicht einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. Um einer weiteren Hinhaltetaktik vorzubeugen, hat das OVG Münster keine Revision gegen den Spruch zugelassen.