Drogen-Abhängigkeit

24.02.1984

Zukünftige Generationen von "Mikrochipologen" werden das Verhalten der Computerindustrie in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vielleicht mit dem der Lemminge vergleichen - und vermutlich die gleichen Fragen steilen wie unsere heutigen Tierforscher: Ist es Todessehnsucht, Selbstherrlichkeit oder ganz einfach Dummheit, die so viele DV-Hersteller an den Rand des Abgrunds treibt?

Jetzt mußte der Mixed-Hardware-Anbieter Storage Technologie Corp. (STC) sein Vorhaben aufgeben, IBM-kompatible Mainframes zu entwickeln. Hier haben wir eine von mehreren möglichen Erklärungen: Das hohe Innovationstempo in der Datenverarbeitung bringt die Hersteller in Zugzwang, mit Me-too-Paketen auf den Markt zu drängen. Das muß ins Auge gehen. Angesichts des bevorstehenden Sierra-Announcements der IBM hat es STC erst gar nicht soweit kommen lassen. Kunden wurden nicht getäuscht.

Solche Absolution wird man der Siemens AG freilich nicht erteilen können, sollte das Abenteuer schiefgehen, sich ganz aufs PCM-Geschäft zu verlegen. Wie man hört, wollen sich die Münchner von ihrem OEM-Lieferanten Fujitsu abnabeln, um eigene IBM-kompatible Systeme zu vermarkten .

Die Droge "IBM-Kompatibilität" wirkt unbestritten als Marketingstimulans, sie beseitigt aber weder einen Technologie-Rückstand noch irgendwelche Schwäche-Ursachen. Die Münchner haben bereits genug Probleme, eine Brücke vom Betriebssystem BS2000 zu IBMs MVS/XA zu schlagen. Vollends gequält mutet solche Software-Manipulation an, wenn man bedenkt, daß sich noch viele Siemens-Anwender mit "alten" Konvertierungsproblemen (BS1000 auf BS2000) herumschlagen.

Dieser Interessenkonflikt wird von Siemens auf höchst merkwürdige Weise verdrängt: Es seien die Kunden selbst, so die Argumentation, die einen Zugang zum Software-Angebot des Marktführers wünschten. Sollten die Münchner wirklich so blauäugig sein, die Gefahr der IBM Abhängigkeit zu leugnen (Lehmige!)?