BS2000-Mainframe ausrangiert

Downsizing: Bildschirme wurden zu Clients für Unix-Server

06.12.1996

Das Rechenzentrum des Europäischen Parlaments hat im April dieses Jahres seinen Siemens-Großrechner BS2000 ausrangiert. Für die etwa 4000 Benutzer in Straßburg, Brüssel und Luxemburg, die die BS2000-Anwendungen über eine 9750-Terminalemulation bedienten, hat sich dennoch fast nichts geändert.

Vorausgegangen war eine internationale Ausschreibung, bei der Siemens-Nixdorf und die Software AG zusammen den Auftrag erhielten, die umfangreichen Adabas- und Natural-Anwendungen des Europäischen Parlaments auf Unix-Hosts (RM600) zu migrieren. Geeignet schienen die beauftragten Unternehmen, weil sie bereits die Altsysteme geliefert hatten.

Die gesamte Migration konnte innerhalb der vereinbarten zwölf Monate abgeschlossen werden. Die Wirtschaftlichkeit des Projektes, so der verantwortliche Leiter des Luxemburger Rechenzentrums, Christian Geoffrion, ist angesichts einer Amortisierungsdauer von zwei Jahren offensichtlich.

Eine Eins-zu-eins-Portierung von Großrechner-Anwendungen auf Unix-Umgebungen gilt normalerweise als nicht praktikabel, da der Datenfluß zwischen Unix-Host und dem typischen VT220-Terminal zeichenweise und nicht blockorientiert erfolgt wie bei den Mainframes von Siemens oder IBM. Eine einfache Übertragung der Programmstruktur führt daher bei erhöhter Rechnerlast oder in Verbindung mit entfernten Terminals immer zu unakzeptablen Performanzproblemen der Datenein- und -ausgabe am Bildschirm.

In solchen Fällen wird gewöhnlich die Programmstruktur in Richtung einer Intranet- oder Client-Server-Architektur umgestaltet, um einen mehr oder weniger großen Teil der Anwendung mit lokaler Rechenleistung abzuwickeln und die Transferaktivitäten im Netz zu verringern. Solche Re-Designs sind jedoch im allgemeinen nicht nur mit erheblichen Risiken hinsichtlich Analyse- und Realisierungsaufwand verbunden, sondern erfordern wegen der unvermeidlichen Änderungen der Oberfläche auch teure Benutzerschulungen.

Beim Europäischen Parlament wurde ein einfacherer Weg beschritten: Das Problem des Datentransfers wurde mit Hilfe der Terminalemulation "mf9750tn" der Luxemburger Firma Dokumenta S.A. gelöst, die block- und zeichenorientierte Transfermodi kombiniert. Siemens-Nixdorf und die Software AG steuerten einen Baustein bei, mit dem Natural-Unix-Anwendungen nun auch die Kommunikation im Siemens-9750-Blockmodus beherrschen. Damit kommt die klassische Terminalemulation als moderner "Client" zu neuen Ehren, der große verteilte Systeme auch auf Unix-Servern zügig bedient.

Der Verbindungsaufbau von der Emulation zum Unix-Host erfolgt wie üblich im Telnet-Modus. Auf diese Weise können die Unix-Logon- und -Logoff-Routinen, die zeichenorientiert arbeiten, normal ablaufen. Nach dem Logon an eine Natural-Unix-Anwendung wechselt die Emulation in den Blockmodus, in dem die bekannten Natural-Bildschirm-Formulare integral empfangen, lokal bearbeitet und zurückgesendet werden. Selbst der Bypass-Druck aus der Anwendung funktioniert unverändert.

Ausschlaggebend für die Wahl der Emulation war, daß sie die Anforderungen des Europäischen Parlaments bereits beim BS2000-Anschluß erfüllte - was beim Zugriff auf die Siemens-Mainframes der anderen EU-Institutionen auch weiterhin eine wichtige Rolle spielt - und den geforderten Telnet-Blockmodus für die neuen Unix-basierten Anwendungen innerhalb der Vertragslaufzeit des Migrationsprojektes problemlos integrierte.

Die entwickelte Systemarchitektur ermöglicht es, Adabas- und Natural-Anwendungen ohne Re-Design auf Unix-Hosts zu portieren. Die Benutzer bearbeiten mit ihrer vertrauten PC-Emulation die gewohnten Ein- und Ausgabeformulare, so daß sie die Umstellung möglicherweise gar nicht bemerken.

*Dr. Monika Weißgerber ist Mitarbeiterin der Dialogika GmbH in Saarbrücken.