Software-Technologien in der Diskussion:

Don Quichotte und die Entscheidungstabelle

01.07.1977

DÜBENDORF/SCHWEIZ (uk) - Der Anwender selbst muß sein "Methodenbündel schnüren" und seinen "Werkzeugkasten füllen", um seine "Software-Produktions-Maschine" leistungsfähig zu halten. - Dr. Reinhold Thurner, als Softwarewissenschaftler exzellenter Kenner der Materie, greift mit einem Plädoyer für die Kompatibilität der Methoden und Werkzeuge wieder einmal in die Diskussion über neuartige Software-Technologien ein.

Er hält nichts von getrennten Methoden, Werkzeugen und Maschinen, die von den Schulungsleuten, Soft- und Hardwareherstellern als des Rätsels einzige Lösung angepriesen werden. Er erwartet, daß wir zu einer Technologie der Systementwicklung kommen, die einen geordneten Einsatz von Personen und Hilfsmitteln unter Anwendung zweckmäßiger Methoden im Rahmen eines geplanten Entwicklungsprozesses ermöglicht.

Es ist uns spätestens nach dem Diebold-Bericht, daß die DV-Personal-Kosten (mit 7 Mrd.) die Sachkosten (mit 6 Mrd.) überholt haben, klargeworden: Die Software-Technologie ist das Thema der nächsten 15 Jahre.

In die von Ängsten und Befürchtungen geplagte Welt ziehen nun die Missionare ein und künden die richtige Software-Religion - mit Exklusivitäts-Anspruch für den Himmel, das versteht sich: Einer findet die Strukturierte Programmierung völlig unnötig, kann man doch alles mit Entscheidungstabellen auch lösen, und wird sekundiert vom Bekenntnis daß Struktogramme nur unbefriedigend ein Problem lösen das die ET einfach lösen kann. Die "Strukturierten Programmierer" nehmen die Begriffe ET und NP nur mit allen Zeichen des Abscheus in den Mund.

Jeder findet "den Kern des Problems", das "im Grund" ganz einfach ist, sofern man nur sein Verfahren anwendet. Und alle anderen Verfahren sind schlecht. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis wir bereit sind, gemeinsam an einem Methodenkonzept zu arbeiten, nicht Einzellösungen zu verabsolutieren, sondern eine Kompatibilität der Methoden und Werkzeuge anzustreben.

Methode - Werkzeug - Verfahren

Die Diskussion in der CW vom Herbst letzten Jahres ging um die Frage: Werkzeug ja oder nein? - Und wenn ja, welches Werkzeug? Sie ging keineswegs am Kern vorbei, sie behandelte nur ein anderes Thema. Die Antwort zu diesem Thema scheint mir klar: Wenn die Entscheidungstabellen (oder irgendeine Methode) eingesetzt werden soll, kann die Verwendung von Werkzeugen wesentlich zum besseren, systematischeren und normierten ( = gleichartigen) Einsatz der Methode führen: Eine allgemeine Methode kann durch Werkzeuge zu einem Verfahren konkretisiert werden. Solche Werkzeuge können in Formularen, Lösungs-Sammlungen Software, Hardware etc. bestehen. Ein Verfahren - Methode und Werkzeug -ist nur in seiner Einsatz-Umgebung zu beurteilen, und Rückschlüsse auf andere Umgebungen und Vergleiche mit anderen Verfahren sind sehr schwierig, wenn sie seriös gemacht werden sollen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Auswahl des Umwandlungs-Verfahrens für Entscheidungstabellen: Durch geeignete Wahl der umzuwandelnden Tabellen kann für ein bestimmtes Verfahren ein unvergleichlich gutes Resultat erzielt werden. Dem Anwender wird dann häufig vorgespiegelt, das Verfahren sei absolut besser. Messen allein genügt nicht: Es gehörten Sachverstand und ehrliche Absicht dazu. Kriterien bei der Auswahl der Werkzeuge sind neben der Effizienz,

- die Einsatzbreite, das heißt gute Resultate für alle vorgesehenen Anwendungen,

- die Einfachheiten der Anwendung das heißt einfache Syntax, einfache Handhabung, Änderungsfreundlichkeit,

- Kompatibilität mit mehreren eingesetzten Werkzeugen.

Bei den Methoden selbst bestehen die gleichen Ziele, Apodiktische Urteile helfen auch hier nichts. Notwendig ist die sorgfältige Abklärung, welche Methode in welcher Form ergänzt durch welche andere Methoden, für welches Einsatzgebiet gewählt werden soll.

GOTO ist keine Sünde

Als Darstellungsform für komplexe Selektionen eignet sich die Entscheidungstabelle. Für die graphische Darstellung der übrigen Konstruktionen (insbesondere geschachtelter Schleifen) ist das Struktogramm vorzuziehen: So bestehen hat der Kreuzzug mancher Entscheidutstabellen-Anhänger gegen Struktogramme und strukturierte Programmierung etwas Don Quichotte-haftes.

Software-Methoden sind keine Religion, ein GOTO ist keine Sünde, die Entwicklung neuer Methoden keine Häresie. Zweckmäßigkeit ist das Kriterium, das über die Anwendung eines Verfahrens im Rahmen eines Methoden-Konzeptes entscheidet. Wir werden zu einer Technologie der Systementwicklung kommen, die einen geordneten Einsatz von Personen und Hilfsmitteln unter Anwendung zweckmäßiger Methoden im Rahmen eines geplanten Entwicklungsprozesses ermöglicht. Bis dahin werden auf dem Jahrmarkt der DV weiterhin

- die Schulungsleute die Methode

- die Software-Hersteller die Werkzeuge

- die Hardware-Hersteller ihre Maschinen

als des Rätsels einzige Lösung anpreisen. Es wird die Aufgabe des Anwenders sein, die Entwicklung in seinem Sinn zu beeinflussen und nicht an Propheten zu glauben. Der Anwender hat das Methodenbündel zu schnüren, seinen Werkzeugkasten zu füllen. Je besser ihm das gelingt, um so leistungsfähiger wird seine "Software-Produktions-Maschine" sein, um so sicherer ist er nach der Nacht der langen Messer immer noch mit von der Partie.

Softwarewissenschaftler an der Universität Zürich.