Produkthaftungsgesetz zwingt zum Umdenken

Dokumentation wird oft als eine lästige Pflicht eingestuft

08.05.1992

Unübersichtliche Mammutwerke, dürftige Beipackzettel und technische Abhandlungen in unverständlichem Fachchinesisch rufen beim Anwender eher Unzufriedenheit hervor, weil er das Produkt nicht optimal nutzen kann. Wer heute ein Produkt ohne ausreichende technische Dokumentation vertreibt, handelt grob fahre lässig, meint Godehard Pötter*.

Daß Bedienungsanleitungen und technische Dokumentationen etwas mit dem neuen Produkthaftungsgesetz zu tun haben, hat sich bei Herstellern herumgesprochen. Obwohl der Gesetzgeber eine mangelhafte Anleitung bereits als Produktfehler bezeichnet, begegnet man noch immer in Unternehmen der Ansicht, daß Dokumentationen ein "Übel" sind, das möglichst wenig kosten darf und als lästige Pflicht erledigt wird.

Kritisch wird die Sache allerdings, wenn durch fehlerhafte Anleitungen eine Gefährdung durch Fehlbedienungen entsteht, und als Folge hieraus Schadensersatzansprüche und Prozeßkosten in heute kaum abschätzbarer Höhe resultieren. Selbst wenn es nicht gleich so "dick" kommt, sind die Folgeschäden aus unzureichender technischer Dokumentation für den Hersteller immens.

Man bedenke nur einmal die erhöhten Beratungsaufwendungen, die eine mangelhafte Anleitung kompensieren müssen. Oftmals schließen sich hieran auch Garantie- und Serviceleistungen an, die der Hersteller durch eine bessere Anleitung hätte einsparen können.

Nicht zu kalkulieren dagegen sind die Kosten, die dem Hersteller durch den unerwünschten Aufbau eines negativen Produktimages und wegen unzufriedener Anwender entstehen. Erhebliche Wettbewerbsnachteile und geringere Marktchancen sind die unausbleiblichen Folgen.

Stolperfalle für Hersteller

Auch rechtlich gesehen kann eine fehlende oder fehlerhafte Anleitung zur Stolperfalle für den Produkthersteller werden, die unter Umständen das "Aus" für den gesamten Betrieb mit sich zieht. Der Gesetzgeber läßt keinen Zweifel an der Verpflichtung des Herstellers, seinem Produkt eine ausreichende technische Dokumentation mitzugeben. Als ausreichend kann eine Anleitung nur gelten, wenn sie alle Informationen liefert, die der Anwender benötigt, um das Produkt richtig und sicher zu handhaben und in der gesamten Anwendungsbreite zu nutzen.

Je komplexer die Produkte werden, desto stärker ist der Endverbraucher auf ausreichende Informationen angewiesen. Hieraus resultiert eine erhebliche Verantwortung und Verpflichtung seitens der Hersteller. Deshalb kennt das Produkthaftungsgesetz auch den Begriff des Instruktionsfehlers mit allen daraus resultierenden Konsequenzen hinsichtlich der Produkthaftung.

Zu kleine Investitionen in Dokumentationen

Wer also bislang davon ausging, daß die Instruktion allerhöchstens am Rande des Produktionsprozesses steht, wird hier gründlich eines Besseren belehrt. Um hier endgültig den Sumpf der Rechtsunsicherheit zu beseitigen, stellt das Produkthaftungsgesetz in seiner jetzt gültigen Fassung eindeutig klar: Ein Produkt ist wegen mangelhafter Instruktion genauso fehlerhaft, wie es durch die "klassischen" Produktfehler (Konstruktionsfehler - Fertigungsfehler - Produktbeobachtungsfehler) sein kann; also mit allen Risiken und Gefahren für den Hersteller.

Das neue Produkthaftungsgesetz dehnt die volle Haftung auch aus auf Importeure und Scheinhersteller, Wiederkäufer also, die den eigentlichen Hersteller nicht in Regreß nehmen können.

Wenn man also davon ausgehen darf, daß eine mangelhafte technische Dokumentation ein genauso hohes Risiko für den Hersteller darstellt, wie ein Konstruktions- oder Fertigungsfehler, dann sollte man eigentlich meinen, daß die Hersteller mit ebenso großem Aufwand hierfür Qualitätssicherung und Produktkontrolle betreiben, wie sie es gegen die "greifbaren" Produktfehler ins Felde führen.

In der Bundesrepublik Deutschland wird bislang nur ein Bruchteil dessen für technische Dokumentation investiert, was eigentlich zur Realisierung der gesetzlichen Anforderungen notwendig wäre.

Offensichtlich müssen erst schwerwiegende Folgen entstehen und ganze Firmen durch Haftungsansprüche in Millionenhöhe an den Rand des Konkurses gelangen, bevor die Entscheidungsträger in Industrie und Handel das Problem erkennen.

US-Unternehmen sind uns da bereits einige Schritte voraus. Dort werden jährlich etwa 20 bis 30 Milliarden Mark in druckfertig gemachte technische Dokumentationen investiert, was ungefähr zehn bis 20 Prozent der Entwicklungskosten für neuentwickelte Produkte ausmacht.

Informationen am Anwender ausrichten

Wie kann dem Problem begegnet werden? Es dürfte wohl mittlerweile klar sein, daß den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht schon alleine dadurch Genüge getan ist, dem Produkt "irgendein bedrucktes Papier" mitzugeben. Der Begriff des Instruktionsfehlers umfaßt nämlich auch solche Fälle, in denen eine Bedienungsanleitung zwar vorhanden, ansonsten aber hinsichtlich ihres Inhalts oder ihrer Darbietung mangelhaft ist.

Dokumentationen müssen ebenso professionell erstellt und gestaltet werden wie die Produkte, für die sie gelten. Funktion, Inhalt und Erscheinungsbild der Anleitungen müssen konsequent auf die Erfordernisse des Marktes ausgerichtet sein.

Hierzu ist es notwendig, daß der Informationsbedarf an den Anwendergruppen auszurichten ist, die mit dem Produkt umgehen. Eine Bedienungsanleitung im Stil einer fachlich-wissenschaftlichen Dissertation geschrieben ist für ein Produkt des täglichen Umgangs - etwa ein Haushaltsgegenstand - ebenso fehlerhaft wie zum Beispiel ein Handbuch in englischer Sprache für den deutschen Markt.

Sicherheits- und Gefahrenhinweise müssen nicht nur vollständig, sondern auch ausreichend eindringlich und vor allem richtig plaziert sein. Zusammengefaßte Warnhinweise "irgendwo" in der Anleitung, womöglich etwa gar im Anhang, erfüllen ihren Zweck nicht, insbesondere wenn der Anwender einige Kapitel vorher zum Hantieren im absoluten Gefahrenbereich netzspannungsführender Bauteile oder scharfer Klingen eines Rasenmähers aufgefordert wird.

Bedienungsanleitungen müssen auch hinsichtlich Umfang. und Informationstiefe am Informationsbedarf der Anwender orientiert sein. Ein krasses Mißverhältnis liegt zum Beispiel vor, wenn der überwiegende Teil der technischen Dokumentation wohl die sonstige Produktpalette des Herstellers anpreist, ansonsten aber wichtige Fragen der Sicherheit und fachgerechten Bedienung offen läßt.

Auch hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes kann .eine Anleitung fehlerhaft sein, wenn aufgrund der typischerweise zu erwartenden Einsatzbedingungen des Produktes die Dokumentation nicht oder nur erschwert benutzt werden kann. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn in lichtschwacher Umgebung auch noch eine Schrift entziffert werden soll, die schon bei Tageslicht nur mit einer Lupe lesbar ist. Auch ist eine Anleitung für ein Produkt, welches typischerweise in feuchter oder schmutziger Umgebung eingesetzt wird, nicht gerade förderlich, wenn sie sich beim ersten Kontakt mit der Feuchtigkeit gleich in ihre Bestandteile zerlegt oder sonstwie unleserlich wird.

All dies hat der Hersteller einer guten technischen Dokumentation zu beachten. Neben dem ruhigen Gewissen hinsichtlich des Haftungsrisikos kann er sich dann auch einer positiven Marktakzeptanz seines eigentlichen Produktes sicher sein, denn der Endverbraucher honoriert sehr wohl eine Vertrauensbasis, die der Produkthersteller durch Beifügung einer guten Anleitung zu seinem Kunden schafft.

Doch wer ist zweckmäßigerweise der ideale "Ersteller" von ausreichender technischer Dokumentation? Parallel zur Bedeutungsänderung von Instruktionen haben sich auch die Anforderungen an die Qualifikation der "Ersteller" gewandelt. Dokumentationserstellung kann nicht mehr als "Nebenbeschäftigung mal eben schnell" erledigt werden, zum Beispiel von einem Entwicklungsingenieur, der viel lieber an seiner neuen Konstruktion "werkeln" würde. Professionell erstellte und gestaltete Anleitungen erfordern einen Profi, nämlich den fachlich qualifizierten und ausgebildeten technischen Redakteur.

Doch solche Fachleute sind rar, wie die zunehmenden Stellenanzeigen in den überregionalen Zeitungen belegen. Dies mag unter Umständen daran liegen, daß ein Berufsbild des technischen Redakteurs erst im Entstehen begriffen ist.

Spezialisten sind noch rar

In Zusammenarbeit mit der tekom, dem Berufsverband der technischen Redakteure, führen einige spezialisierte Firmen wohl diesbezügliche Seminare und Kurse durch, die den prinzipiellen Mangel zwar mildern, aber nicht beheben können.

Überdies stellt sich eine weitere, erhebliche Schwierigkeit dar. Wer als Produzent gute technische Dokumentation im eigenen Hause erstellen möchte, kommt nicht umhin, deutliche Investitionen in die dafür notwendige Ausrüstung zu stecken. Auch gerade die personellen Aufwendungen sollten nicht unterschätzt werden. Wenn die Dokumentationserstellung nicht zum "lästigen Nebenherjob" der Entwicklungskonstrukteure werden soll, müssen für die Dokumentationsabteilung Spezialisten abgestellt werden.

Zur Verdeutlichung: Das Anfangsgehalt eines ausgebildeten technischen Redakteurs steht dem eines Diplomingenieurs der Entwicklungsabteilung nicht nach. Im Gegenteil - aufgrund der geringen Größe einer Dokumentationsabteilung fungieren technische Redakteure dort mindestens in der Position eines Ressortleiters. Gehälter zwischen 7000 bis 10 000 Mark sind auf dem derzeit gefragten Markt für diese Berufsgruppe durchaus "drin".

*Godehard Pötter ist Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens und hat sich auf die Erstellung von Bedienungs- und Betriebsanleitungen sowie technischen Handbüchern und Werbung in der Elektronikbranche spezialisiert.