Krankenversicherer schafft objektorientierte Entwicklungsumgebung

DKV ist es leid, das Rad ständig neu zu erfinden

17.10.1997

Wer den technologischen Wandel beobachtet, aber an klassischen IT-Lösungen festhält, trifft eine Fehlentscheidung. Aus diesem Grunde hat sich die DKV zu einer kompletten Erneuerung ihrer Entwicklungsumgebung entschlossen. Die Konzeption von PAE 2000+ ist integraler Bestandteil des Projekts "Aladin", das auf die Optimierung der Geschäftsabläufe abzielt. Wie die Konkurrenz steht auch die DKV vor der Herausforderung, Tarifierung, Entscheidungsabläufe und administrativen Aufwand auf das Ziel maßgeschneiderter Angebote für den Kunden auszurichten.

Die im Rahmen von Aladin forcierte Geschäftsprozeßoptimierung soll innovative Informationstechnik mit der vorhandenen Großrechnerumgebung vereinen. Ziel der DV-Landschaftspflege ist es zudem, eine ökonomische, flexible und zügige Software-Entwicklung zu gewährleisten, die auf Wiederverwendbarkeit und Redundanzfreiheit abhebt. Anwender verlangen Informationen auf Knopfdruck; Außen- und Innendienstmitarbeiter wollen ihre Daten nur einmal eingeben. Eine ideale Basis, den verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden, ist der konsequente unternehmensweite Einsatz objektorientierter Technologie. Bereits 1992 war die grundsätzliche Entscheidung in diese Richtung gefallen.

Als einen ihrer Wettbewerbsvorteile sieht die DKV ihr Informationsangebot an, das den Kunden unterstützt, bevor ein Krankheitsfall eingetreten ist. Um solche Leistungen ökonomisch bereitstellen zu können, waren adäquate IS-Strukturen und anwenderfreundliche Programme für den Innen- und Außendienst notwendig.

Die Einführung neuer Softwaretechnologien resultiert primär aus Service-Erweiterungen sowie der Aufgabe, die Geschäftsprozesse bis zum Arbeitsplatz des Anwenders zu optimieren.

Auf den Großrechner kann die DKV auch in Zukunft nicht verzichten. Wer jedoch Arbeitsabläufe optimal gestalten will, kommt an grafischen Benutzeroberflächen, Office-Computing, Workflow-Management und Client-Server-Anwendungen nicht vorbei. Die Aufgabe lautet, beide Welten kostengünstig und sicher miteinander zu verbinden.

Ein Vorbote für die Veränderungen in der Software-Umgebung war das Dokumenten-Management-System (DMS), das in der aktuellen Endausbaustufe mehr als 1500 DKV-Sachbearbeiter unterstützt. Dabei handelt es sich um eine "Imageplus"-Applikation, die um wesentliche Funktionen erweitert wurde. Das dafür installierte Equipment liefert die technischen Voraussetzungen für künftige Client-Server-Lösungen.

Vor zwei Jahren machte sich das Unternehmen dann auf die Suche nach einer integrierten objektorientierten Entwicklungsumgebung, die den gesamten Life-Cycle abdecken könnte. Viele sogenannte integrierte Systeme wurden ihrem Anspruch nicht gerecht. Entweder sie wiesen erhebliche Verfahrensbrüche auf, oder es mangelte ihnen an der erforderlichen Produktreife. Die Smalltalk-Umgebung "Objectstudio" von V-Mark (inzwischen von Cincom übernommen) hatte sich zunächst als Minimallösung präsentiert. Aber ihre Architektur und die Schnittstellen, die die Integration mit weiteren Tools erlauben, ließen sie als tauglich für die Ziele der DKV erscheinen.

Beispielsweise führt die automatische Codegenerierung aus Analyse- und Design-Modellen zu wirklichkeitsgerechten Prototypen, die die Funktionalität des späteren Systems prinzipiengetreu verdeutlichen und überprüfen. Dadurch wird eine Gesprächsgrundlage für die Projektbeteiligten aus Fachbereichen, Betriebsorganisation und Systementwicklung geschaffen.

Nachdem die Methoden und Tools für die neue Ära gefunden waren, galt es, den produktiven Einsatz der neuen Werkzeuge vorzubereiten. Inzwischen sind mehr als 20 "Bausteinprojekte" definiert, die die Grundlage der neuen Umgebung bilden sollen.

Die wichtigsten Bausteine sind- die Entwicklung eines DKV-Frameworks,

- die Integration des zentralen Repository auf dem Großrechner als "Central Point of Documentation",

- die Guidelines für Programmerstellung,

- die Rollen bei der künftigen Entwicklung,

- Dokumentation und UIs,

- die Vorgaben für das Installa- tions-Management,

- die Standardisierung der Architektur,

- die Berücksichtigung eines künftigen Workflow-Management-Systems sowie

- spezielle Maßnahmen für die Migration.

Nicht vergessen werden darf die umfassende Weiterbildung der Mitarbeiter sowie die Neuorientierung des Projekt-Managements. Bei den Trainingseinheiten hat die DKV von Rundumschlägen abgesehen. In Ad-hoc-Schulungen werden die etwa 200 Anwendungsentwickler projektorientiert auf die neue Software-Entwicklungstechnik vorbereitet.

Ohne gezielte Qualifikationsmaßnahmen ist objektorientierte Software-Entwicklung zum Scheitern verurteilt. OO stellt neue Anforderungen an den Entwickler und wird sicherlich zu einer Veränderung seines Berufsbildes führen. Unerläßlich sind Kommunikationstalent, Teamarbeit, ein transparentes Projekt-Management und die Fähigkeit, die eigene Tätigkeit im Rahmen des Ganzen zu sehen.

Im Verlauf künftiger Projekte soll eine Reihe komplexer Applikationen entstehen, zum Beispiel Antrags-, Vertrags- und Leistungsbearbeitung. Ziel sind hochintegrierte Anwendungssysteme, die jeweils auf viele in anderen Anwendungssystemen realisierte Funktionen und Services zurückgreifen.

Um die Komplexität zu verringern, werden die Anwendungen nach vertikalen oder horizontalen Gesichtspunkten in Teilsysteme zerlegt und gekapselt. Die Beziehung zwischen aufrufender und aufgerufener Applikation soll weitgehend entkoppelt werden. Solange die Schnittstellenkompatibilität gewahrt bleibt, lassen sich dann auf relativ einfache Weise Komponenten des Systems gegeneinander austauschen - beispielsweise für neue Versionen, bei geänderter Datenbanktechnologie oder beim Einsatz von Standardsoftware. Last, but not least sind solche Kapseln eine notwendige Voraussetzung, um komplexe Applikationen auf verschiedenen Plattformen verteilen zu können.

Zu den Produktivitätsvorteilen, die Objektorientierung dem Konzept nach verspricht, führt jedoch nur ein ganzheitlicher Ansatz, der bei der Analyse beginnt und über das objektorientierte Design in die Programmierung mündet. Trittbrettfahren nach dem Motto: "OO - machen wir auch", führt nicht zum Ziel; dabei dürften allenfalls Insellösungen entstehen.

Ohne ein zentrales, unternehmensweites Repository, das ständig konsolidiert wird, sowie eine akribische, standardisierte Dokumentation, muß die Objektorientierung ebenfalls ihr Ziel verfehlen. Dann wissen die Entwickler möglicherweise gar nicht, daß die eine oder andere Aufgabe bereits zur Hälfte gelöst ist.

Die DKV ist davon überzeugt, daß sich der anfänglich höhere Aufwand für die Abstimmung und Qualifizierung des großen Entwicklerteams auszahlt. An der Richtigkeit der Entscheidung für eine zukunftssichere Entwicklungsumgebung besteht jedenfalls kein Zweifel.

Die DKV in Daten und Fakten

Die Deutsche Krankenversicherung AG wurde am 11. Januar 1927 ins Handelsregister Berlin eingetragen. 1953 gründete sie in Köln einen zweiten Verwaltungssitz. Großaktionäre sind die Allianz, die Hamburg-Mannheimer und die Münchener Rück. Den etwa 6500 Angestellten in der Kölner DKV-Zentrale sowie den mehr als 40 Geschäftsstellen und den europäischen Niederlassungen stehen für ihre Arbeit hauptsächlich PCs oder Workstations zur Verfügung. Konventionelle 3270-Terminals sollen bald der Vergangenheit angehören. Die Daten der rund 2,7 Millionen Versicherungskunden werden im Kölner Rechenzentrum bearbeitet - mit klassischen Transaktionen unter MVS/ESA, CICS, Cobol II etc. Auch für Tarifabfragen oder die Risikoprüfung kommen Host-Programme zum Einsatz. Mehr als 3000 Terminals und Arbeitsstationen sind online mit dem Rechenzentrum verbunden.*Dieter Moldrings ist Leiter der Abteilung Unterstützung der Anwendungsentwicklung bei der Deutschen Krankenversicherung AG in Köln.