Disco mit 62 Kameras

Disco Infernale: Wie man seine Zielgruppe total überwacht

07.03.2008
In einer Diskothek in Thüringen wird alles überwacht. Die Zielgruppe scheint sich nicht daran zu stören.

Kamera Nummer 3 hängt am Haupteingang. Sie filmt Jungen mit Bastian-Schweinsteiger-Frisuren und Mädchen in Miniröcken, die auf Einlass warten. Kamera 34 hat eine Tanzfläche im Visier: schwitzende Körper, abwechselnd in blaues, grünes und violettes Licht getaucht. Harmlose Szenen in der Eisenacher Diskothek "MAD". Doch was passiert dort auf dem Parkplatz? Kamera 15 verfolgt zwei Schatten, die verdächtig um ein Auto schleichen. Clubbesitzer Stefan Wagner zoomt heran - und gibt Entwarnung: nur zwei knutschende Teenager.

Sonntag, 00.00 Uhr - rund 1.500 Besucher drängen sich in Thüringens größtem Tanztempel. Inhaber Wagner hat alles unter Kontrolle. Denn hinter der zweistöckigen Partyzone in einem Nebenbau hat sich der 40-Jährige eine Überwachungszentrale nach orwellschen Visionen errichtet. Auf eine Leinwand überträgt ein Beamer die Bilder von insgesamt 62 Videokameras - so viele wie in keiner anderen Diskothek in Deutschland. Von Theken bis zu Toilettenvorräumen - Wagner hat fast jeden Winkel des 2.900 Quadratmeter großen Gebäudes im Blick.

Für die Totalüberwachung hat der Disco-Betreiber sich vor zwei Jahren entschieden. "Wir hatten immer wieder Vorfälle von Vandalismus und Gewalt." Deswegen hat er rund 100.000 Euro in die Sicherheit investiert. Glaubt man ihm, hat sich die Summe gelohnt: "Die Kriminalität ist drastisch zurückgegangen." Wagner sitzt aber nicht ständig vor der Videoleinwand. Ihm reicht, dass alle Bilder für sechs Monate auf einem 8.000 Gigabyte fassendem Server gespeichert werden. "Wenn etwas passiert, stellen wir die Daten der Polizei zur Verfügung." Auf diese Weise ist schon so mancher Fall gelöst worden. "Das spricht sich rum und schreckt ab. Über eine rote Ampel fährt ja auch keiner, wenn da geblitzt wird."

Christian Pfeiffer bezweifelt das. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover geht davon aus, dass die Diskotheken ihre Hauptprobleme - Drogen und Gewalt - auf diese Weise nicht in den Griff bekommen. "Die Menschen weichen ganz einfach auf die Bereiche ohne Überwachung aus." Außerdem entwickeln sich aggressive Konflikte meist spontan, wenn Alkohol im Spiel ist. "Wenn da jemand zuschlagen will, wird er nicht zuerst an die Kamera denken."

Doch nicht nur beim Thema Sicherheit hat Clubchef Wagner "gerne alles unter Kontrolle". Um sein Geschäft anzukurbeln, hat er eine Mitgliederkarte entwickelt, auf der Getränke und Bestellzeit gespeichert werden. Etwa 40 Prozent seiner Gäste nutzen die Karte bereits. Dafür gibt es Vergünstigungen wie freien Eintritt. Im Gegenzug erhält Wagner Name, Alter, Wohnort und Handynummer der Besucher. Mit diesen Daten kann er Personenprofile erstellen.

"Das ermöglicht uns zum Beispiel, den Gast an der Theke mit Namen anzusprechen und ihm sein Lieblingsgetränk anzubieten." Er zeigt auf einen jungen Mann, der sich laut Computer zuletzt um 00.20 an der großen Theke in der zweiten Etage ein Pils bei Barfrau Cathleen bestellt hat. "Am liebsten trinkt er aber offenbar Wodka-Energy." Unter dem Namen und dem Foto des Mannes, der 23 Jahre alt ist und aus einem kleinen Ort in der Nähe von Eisenach kommt, stehen sechs Wodka, fünf Sambuca, ein Hefe-Weizen und zwei Pils. "Insgesamt hat er heute 49,90 Euro ausgegeben", liest Wagner. "Der beste Einzelumsatz der Nacht. Seine Gäste scheint die Totalüberwachung nicht zu stören, wie die 18-jährige Julia, die sich im abgetrennten Mitgliederbereich am kostenlosen Buffet mit Sektbowle und Käsehäppchen eindeckt. Dass sie dafür ihre Daten verkauft, stört sie nicht. "Das ist zwar enorm, was die hier über mich wissen, aber ich habe ja nichts zu verheimlichen."

Datenschützer sehen das anders. Der Thüringer Beauftragte Bernd Schöneweck hat gegen Wagners Konzept zwar prinzipiell nichts einzuwenden - wenn das System für alle Gäste transparent ist. Doch er warnt vor Pannen. "Es besteht immer die Gefahr, dass Daten in die Hände unberechtigter Dritter kommen. Die könnten sie ins Internet stellen. Da stehen sie dann für die Ewigkeit." Die halbjährliche Speicherung der Überwachungsbilder geht Schöneweck allerdings zu weit. "Wenn nichts vorgefallen ist, müssen Videobilder nach ein paar Tagen gelöscht werden." Stefan Wagner sieht die Kritik gelassen. Im Gegenteil: Sein Big-Brother-Konzept hat er mittlerweile schon an 25 weitere Diskotheken verkauft. (dpa/ajf)