Alternativen fuer die Integration von PC-LANs

Digitals Pathworks eroeffnet den Anwendern Client-Server-Optionen

23.04.1993

Ein erheblicher Teil der heute neu installierten PCs wird bereits von Beginn an in ein Netzwerk eingebunden, der Stand-alone-PC ist immer mehr auf dem Rueckzug. Da sich das Betriebssystem DOS als wenig geeignet fuer den Netzbetrieb erwies (kein Multitasking, kein User-Konzept), kamen sehr schnell spezielle Server-Betriebssysteme fuer Datei- und Drucker-Server auf den Markt, die die PC- Hardwareplattform effizienter nutzen. Die bekannteste dieser Loesungen ist Novells Netware, das sich in den letzten Jahren aufgrund seiner Leistungsfaehigkeit den groessten Marktanteil eroberte.

Netzwerk-Betriebssysteme als Kombinationsprodukt

Server-Betriebssysteme wie Netware beinhalten in der Regel auch eigene Transportprotokolle - bei Netware ist dies das IPX- Protokoll - die fuer den eigentlichen Transport der Daten im Netz sorgen. Fuer diese Kombination aus Server-Betriebssystem und Netzwerk-Transportprotokoll bildete sich der Begriff "Netzwerk- Betriebssystem" heraus.

So nuetzlich sich auch die Verbindung von PCs mit Hilfe von Netzwerk-Betriebssystemen erweist, stoesst sie jedoch innerhalb der informationstechnischen Infrastruktur vieler Unternehmen bald an Grenzen, die von PC-fremden Rechnerwelten gezogen werden. Diese Systeme verfuegen ueber eigene Netzarchitekturen beziehungsweise benoetigen, fuer sich gesehen, keine Netzwerk-Betriebssysteme, da ihre Betriebssysteme bereits von Haus aus netzwerkfaehig sind.

Dies gilt vor allem fuer den wissenschaftlich-technischen Anwendungsbereich, wo Workstations, Server und Abteilungsrechner auf der Basis von Betriebssystemen wie Unix und VAX/VMS arbeiten oder fuer die kommerzielle DV, wo in der Regel immer noch Grossrechner-Anlagen mit angeschlossenen Terminals dominieren. Dabei handelt es sich in puncto Netzarchitektur vorwiegend um Peer-to-peer-Netze mit Protokollen wie TCP/IP und Decnet beziehungsweise um hierarchische Strukturen wie IBMs SNA oder Transdata von Siemens. Waehrend bei diesen Architekturen vor allem auf die Effizienz im WAN-Betrieb und gute Management-Eigenschaften geachtet wurde, legte man bei den PC-Netzwerk-Betriebssystemen mehr Wert auf Parameter wie geringen Speicherplatzbedarf, hohe Benutzerfreundlichkeit und ihre Einsatzmoeglichkeiten in LAN- Umgebungen. Bei einigen Netzprotokollen wie etwa Netbeui, das standardmaessig in Microsofts LAN Manager und IBMs LAN Server zum Einsatz kommt, handelt es sich um reine LAN-Protokolle - das heisst, ihnen fehlt die Routing-Funktion entsprechend der Schicht 3 des OSI-Referenzmodells; bei ihnen setzt also gewissermassen die Transportschicht direkt auf dem LAN-Data-Link-Layer auf (vgl. die Abbildung, Seite 51).

Protokolle dieser Art koennen deshalb nur in LANs eingesetzt werden, wo prinzipiell jeder Rechner direkt von jedem anderen Rechner aus erreichbar ist.

Fuer viele Anwender stellt sich mittlerweile die Forderung nach Integration dieser unterschiedlichen Netzwerk-Welten. Anders formuliert: Wenn beispielsweise Applikationen wie Electronic Mail oder Groupware eingefuehrt werden sollen, um durch eine bessere Kommunikation zwischen Entwicklungsabteilung, technischer

Dokumentation, Marketing und Kundendienst die Markteinfuehrung neuer Produkte zu beschleunigen, nuetzt ein E-Mail-Produkt, das nur im PC-LAN verfuegbar ist, relativ wenig. Und wie sollen damit die Konstrukteure an ihren Unix-Workstations oder die Layouter mit ihren Macintosh-Rechnern erreicht werden?

Wenn Menschen unterschiedlicher Nationalitaet miteinander kommunizieren wollen, gibt es mehrere Ansaetze fuer die Verstaendigung. Will beispielsweise ein Franzose mit einem Italiener reden, kann er dazu Italienisch lernen - oder, die andere Moeglichkeit, der Italiener lernt, franzoesisch zu sprechen. Dritte Variante waere, beide lernen Englisch. Jedenfalls muessen sie sich auf eine gemeinsame Sprache einigen. Auf ganz aehnliche Weise lassen sich auch die verschiedenen Moeglichkeiten beschreiben, PCs mit anderen Rechnersystemen zu verbinden.

Die erste Moeglichkeit ("der Franzose lernt Italienisch") bedeutet also, die Netzfunktionen der anderen Systeme auf den PC zu bringen. Beispiel hierfuer sind die zahlreichen SNA- Terminalemulationen sowie TCP/IP-, NFS- oder Decnet- Implementierungen fuer PCs. Die Vorteile dieses Ansatzes liegen darin, dass ein PC ohne zusaetzliche Software direkt auf fremde Systeme zugreifen kann - der PC also mehr Funktionalitaet (Stichwort: multifunktioneller Arbeitsplatz) bekommt. Dieser Ansatz ist um so wirkungsvoller, je mehr PC-fremde Architekturen wie etwa Unix im Unternehmen dominieren.

Fremde Systeme als Anwendungsplattform

Die zweite Moeglichkeit ("Italiener spricht Franzoesisch") transferiert die PC-Netzfunktionen auf die Ebene der anderen Systeme und macht diese zu Servern fuer die PCs. Auch dafuer gibt es genuegend Beispiele. Eines der ersten war Netware fuer VMS, andere die zahlreichen "Ported Netware"-Implementierungen sowie ebenso viele LAN-Manager-Portierungen fuer Unix-Plattformen. Der Vorteil dieses Konzeptes liegt darin, dass der Zugriff von PCs auf fremde Systeme an den PC-Benutzer und die PC-Software angepasst ist, fremde Systeme also gleichzeitig fuer das PC-Resource-Sharing und als Anwendungsplattform beispielsweise fuer Datenbanken oder als Kommunikations-Server genutzt werden koennen (multifunktionale Server). Diese Vorteile werden um so deutlicher, je mehr im Zuge des Downsizings PC-Systeme die wesentliche Komponente der informationstechnischen Ausstattung im Unternehmen bilden.

Die dritte Moeglichkeit ("alle lernen Englisch") sieht, uebertragen auf die Netzwerkwelt, folgendermassen aus: Man implementiert auf beiden Systemwelten standardisierte Netzfunktionen, zum Beispiel die OSI-Protokolle oder OSF/DCE, wobei der Vergleich von OSI mit der Umgangssprache Englisch vielleicht etwas schmeichelhaft ist, da OSI bisher ein Erfolg auf breiterer Basis versagt blieb. Spoetter aus dem TCP/IP-Lager wuerden hier eher den Vergleich zu Latein ziehen, das zwar fuer Wissenschaftler und Historiker, nicht aber fuer den taeglichen Alltag von Bedeutung ist.

Der Vorteil dieses dritten Ansatzes ist jedoch keineswegs von der Hand zu weisen. Bei mehreren unterschiedlichen Systemen muss dabei nicht jede Netzarchitektur auf jedem teilnehmenden System installiert sein, um zu gewaehrleisten, dass jeder mit jedem kommunizieren kann. Die Komplexitaet stark heterogener Netzwerke wird auf diese Weise deutlich reduziert. So betrachtet ist ein Erfolg standardisierter und damit herstellerunabhaengiger Loesungen eigentlich nur eine Frage der Zeit und der zunehmenden Komplexitaet von Netzwerk-Umgebungen. Bereits heute zeichnet sich in Teilbereichen wie etwa der elektronischen Post ein Siegeszug normierter Protokolle (X.400/X.500) ab.

Die meisten Produkte fuer die Integration von PCs in heterogene Systeme verwenden entweder den beschriebenen Ansatz der Einfuehrung PC-fremder Netztechnologien oder setzen auf die Implementierung von PC-Netzwerk-Technologie auf "fremde" Systeme. Die Integrationsloesung von Digital, "Pathworks", unterscheidet sich von diesen Loesungen dadurch, dass sie beide Ansaetze gleichzeitig realisiert. So ist es moeglich, die Vorteile beider Vorgehensweisen zu kombinieren mit dem Ergebnis, dass man ein flexibles Integrationsprodukt, das sich vielen Systemumgebungen anpasst, erhaelt.

Pathworks hat sich dabei immer mehr von einer DEC-spezifischen PC-Host-Koppelung zu einer vielseitig einsetzbaren PC- Integrationsloesung entwickelt, die vor allem bei den Betreibern grosser und heterogener Netze Anklang gefunden hat. Grund: Ein Pathworks-Server ist als LAN-Manager-kompatibler Server von allen PC-Systemen mit entsprechend kompatiblem Netzwerk-Betriebssystem - beispielsweise von Microsoft, IBM oder Hewlett-Packard - als Datei- oder Drucker-Server anzusprechen. Darueber hinaus befindet sich eine Netware-kompatible Version derzeit im Betatest und wird voraussichtlich im Fruehsommer 1993 verfuegbar sein. Das System kann also mit seinen Server-Komponenten die Funktion eines PC-Netzwerk- Betriebssystems uebernehmen, das heisst, wenn noch kein solches vorhanden ist, macht Pathworks die Installation ueberfluessig und hilft auf diese Weise, Kosten zu sparen.

Ein Pathworks-Client hat seinerseits - auch ohne Server - direkten Zugriff auf viele fremde Systeme, kann sich also via Terminalemulation auf jedem TCP/IP- oder Decnet-Rechner interaktiv einloggen und Daten transferieren. Zudem ist es moeglich, direkt Mails mit allen VAX-Mail- oder Unix-sendmail-Teilnehmern auszutauschen sowie direkt die X-Windows-Applikationen von Unix- oder VMS-Workstations vom PC aus zu bedienen. Zu guter Letzt kann die Client-Komponente auch als Add-on-Kommunikationsprodukt in einer vorhandenen PC-Netzwerk-Betriebssystem-Umgebung, etwa Netware, eingesetzt werden, um beispielsweise von einem PC im Netware-LAN aus den Zugriff auf ein VMS-System ueber Decnet zu ermoeglichen.

Digitals Netzwerk-Loesung bietet dem Anwender aber mehr als nur die Addition der Vorteile unterschiedlicher Kommunikationsansaetze. So koennen zum Beispiel die PC-Resource-Sharing-Dienste nicht nur ueber die zugehoerigen LAN-Protokolle, sondern auch ueber TCP/IP oder Decnet abgewickelt werden. Diese Protokolle sind nicht nur im LAN- sondern auch im WAN-Bereich aeusserst leistungsfaehig und machen vor allem die vorhandenen WAN-Infrastrukturen (TCP/IP- oder Decnet- Router, SNA Gateways etc.) fuer die PCs zugaenglich. Diese erweiterten Einsatzmoeglichkeiten bewirken nicht zuletzt, dass auch die Anbindung einzelner PCs in entfernten Aussenstellen ueber X.25 oder ISDN mit annaehernd gleicher Funktionalitaet wie im LAN moeglich ist.

* Harald Binder ist Product Manager PC-Integration bei der Digital Equipment Deutschland GmbH, Muenchen.

Abb: OSI-Modell und herstellerspezifische Protokolle. Quelle: Binder