Paradigmenwechsel durch Service-Engineering

Dienstleistung als Produkt begreifen

02.05.2003
MÜNCHEN (jha) - Die Probleme der IT-Dienstleister sind zum Teil hausgemacht. Sie haben es versäumt, in den guten Zeiten Strukturen und Angebote aufzubauen, um Services effizient zu erbringen und mit neuen Produkten Kunden gezielt anzusprechen.

Möglicherweise liegt es an der aktuell schlechten Auslastung der IT-Dienstleister, dass sie mehr Zeit finden, sich um die inneren Prozesse und die Entwicklung des eigenen Portfolios zu kümmern. Einer aktuellen Erhebung der Meta Group zufolge ist die durchschnittliche Auslastungsquote bei Anbietern von Professional Services im Jahr 2002 auf unter 50 Prozent gesunken. Auf jeden Fall registrierte das Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart reges Interesse an einem mittlerweile ausgebuchten Workshop und einer derzeit laufenden Befragung unter IT-Dienstleistern zum Thema Service-Engineering beziehungsweise Entwicklung von Serviceprodukten.

Bereits eine 1999 betriebene Umfrage unter 282 Dienstleistungsunternehmen sowie ergänzende Interviews zum Thema Service-Engineering im vergangenen Jahr mit 22 Anbietern förderten enorme Defizite in diesem Bereich zutage. Beteiligt waren Häuser aus sämtlichen Branchen, doch die IT-Dienstleister antworteten überproportional auf die Anfragen des Fraunhofer-Instituts. Die Analyse zeigte auch, dass bei diesen Häusern die Probleme besonders ausgeprägt waren. In den Unternehmen liefen kaum Aktivitäten, um Dienstleistungen in ähnlicher Form zu entwickeln, wie es bei Produkt- und Softwarehäusern üblich ist.

Vieles wurde ad hoc erledigt

"Es gab dermaßen viele Kundenanfragen, dass die Anbieter sich nicht die Mühe machten, durchgängige Strukturen aufzubauen. Vieles wurde ad hoc erledigt, ohne Prozesse zu definieren", schildert Thomas Meiren, Leiter Dienstleistungs-Management beim Fraunhofer IAO, die damalige Situation. Die Erhebung der Meta Group bestätigt, dass die Anbieter von Professional Services in den Boomjahren um die Jahrtausendwende voll und ganz damit beschäftigt waren, Kundenaufträge abzuarbeiten: Auslastungsquoten von 115 Prozent im Jahr 1999 und 108 Prozent im darauf folgenden Jahr wurden erzielt, weil im Dienste des Kunden Urlaubs-, Wochenend- und für Fortbildung eingeplante Tage für Projektarbeiten verbucht wurden.

Die vollen Auftragsbücher waren jedoch nicht alleiniger Grund für die Versäumnisse der Vergangenheit. "Die Servicehäuser haben sich noch nicht mit dem Gedanken angefreundet, Dienstleistung als Produkt zu betrachten. Bislang verkaufen sie nur Kompetenzen", entlarvt Peter Dück, Vice President IT-Services und Research Director bei Gartner, einen konzeptionellen Fehler. So positionierten sich beispielsweise Anbieter, die Rechenzentren betreiben können, schlicht als Outsourcer. Die Frage aber, ob Anwender mit diesem Service auch täglich Geschäftsprobleme lösen können, wird laut Dück zunächst nicht beantwortet.

Von der Idee zum Produkt

Dieser Mangel rührt daher, dass bislang kaum Zielgruppenforschung betrieben wurde, um die Probleme der Kunden erfassen und ihnen passende Komplettlösungen anbieten zu können. Aus den Ergebnissen einer Kundenbefragung ließe sich beispielsweise ein Komplettservice entwickeln, der neben IT-spezifischen Beratungs-, Implementierungs- und Betriebsdiensten auch IT-fremde Angebote wie Finanzierungsmodelle und Logistikservices umfasst. Derartige Offerten seien auch keineswegs eine exklusive Domäne für die großen IT-Dienstleister der Branche, denn das Gesamtpaket ließe sich aus vorkonfigurierten Modulen zusammenstellen, die Partnerunternehmen zuliefern, so Dück. "Viele Teile des Endprodukts müssen die Anbieter in eine Art Vorfertigung geben", erläutert der Gartner-Experte.

Dieses Vorgehen wäre ein kompletter Bruch mit dem derzeit üblichen Verfahren, wo die Neuentwicklung bei Dienstleistern meistens aus Projektarbeiten mit Pilotkunden erfolgt. Aus Erkenntnissen dieser Vorhaben versuchen die Anbieter dann, Wiederholungseffekte zu erzielen. So habe sich bei den Anbietern in der Vergangenheit allmählich so etwas Ähnliches wie ein Dienstleistungsportfolio entwickelt, erläutert Dück den Innovationsmechanismus der Szene. Eine in die Zukunft gerichtete Produktentwicklung gab es bislang jedoch kaum.

Der jüngste Zuspruch zu Workshop und Umfrage des Fraunhofer-Instituts zeigt, dass die Anbieter mittlerweile aktiv nach geeigneten Methoden suchen, das im eigenen Unternehmen vorhandene Wissen so umzusetzen, dass es Einnahmen erbringt. "Ideen waren und sind immer da. In den Unternehmen besteht jedoch ein Defizit, dieses Potenzial in marktreife Dienstleistungen zu überführen", identifiziert Meiren den entscheidenden Schwachpunkt. In dem Leitfaden für die Entwicklung von Dienstleistungen liefert das Fraunhofer IAO ein Rahmenkonzept, das dabei helfen soll (Thomas Meiren, Tilmann Barth: "Service Engineering in Unternehmen umsetzen", www.iao.fraunhofer.de/d/shop).

Das fünfphasige Modell besteht aus den Modulen "Ideenfindung- und -bewertung", "Anforderungsanalyse", "Dienstleistungskonzeption", "Dienstleistungsimplementierung" und "Markteinführung". Lediglich die Ideenfindung lässt sich nicht erzwingen, hier sind die Unternehmen auf die Geistesblitze der Mitarbeiter und Kunden angewiesen. "Alles weitere ist durch die Systematik steuerbar", gibt sich Meiren zuversichtlich. Zudem, so der Fraunhofer-Manager, lasse sich das Phasenmodell für das Redesign von Diensten verwerten. Wenn Unternehmen feststellen sollten, dass ihre Betriebsdienstleistungen nicht marktfähig oder zu langsam sind, könne das Modell helfen, die Leistungen zu überarbeiten.

Auch die Autoren bestätigen in dem Leitfaden, dass bei vielen Unternehmen eine mentale Blockade verhindere, die Dienstleistungsentwicklung professionell im Hause zu verankern. Die Immaterialität von Services habe ein Übriges dazu beigetragen, denn das Ergebnis der Entwicklungsarbeiten sei wenig greifbar. Zudem wiesen die analysierten Dienstleister darauf hin, dass Dienste immer auch von Menschen erbracht würden und diese kaum in Serviceschablonen pressbar seien.

Immaterialität von Services

Die Einwände haben ihre Berechtigung, dennoch plädieren die Autoren des Leitfadens dafür, Service als Produkt zu betrachten. Das hat zur Konsequenz, dass Dienstleistung nicht als "Black Box", sondern als gestaltbarer Bestandteil betrieblichen Handels betrachtet werden kann. Gleichzeitig sprechen sich Meiren und Barth dagegen aus, Konzepte der klassischen Produktentwicklung unreflektiert zu übernehmen, weil weiche Faktoren bei der Entwicklung von Dienstleistungen eine wesentlich größere Rolle spielen. Gefordert sei ein planbares Zusammenwirken von Mensch, Technik und Organisation. Den von ihnen entworfenen Leitfaden bezeichnen die beiden als vergleichsweise leicht umsetzbaren Ansatz, um einen Dienstleistungs-Entwicklungsprozess durchgängig von der Ideenfindung bis zur Markteinführung zu beschreiben. Mängel bestehen noch in der mangelnden Flexibilität und dem sequenziellen Ablauf. Allerdings ist das Service-Engineering noch eine junge Disziplin und will selbst erst entwickelt werden.