Versicherungskammer Bayern: der Weg ins Internet

Diener zweier Herren

16.06.2000
Von Bettina Wirth
Ist ein öffentlicher Versicherer innovativ? Martin Werner meint "ja" und verweist auf seine schnelle Karriere bei der Versicherungskammer Bayern.

Werners Karriere begann zunächst ganz konventionell. Allerdings durchlief der Wirtschaftsinformatiker die klassischen Stationen im Zeitraffer: Mit 27 hatte er nicht nur sein Diplom längst in der Tasche, sondern war bereits seit vier Jahren bei der Versicherungskammer Bayern beschäftigt. Nachdem er während seines Studiums schon für die Kammer als Programmierer gejobbt hatte, startete er seine Karriere in der DV-Abteilung als Anwendungsentwickler. Dort erkannte er als Erster im Unternehmen das Potenzial des Internet und überzeugte seine Kollegen und den Vorstand von der Notwendigkeit, im Netz präsent zu sein. Die erste Website entwickelten er und sein Team 1998 mit einem Budget von 50 000 Mark.

Mit dem Zusammenschluss aller 14 öffentlichen deutschen Versicherer zu einer Internet-Gesellschaft bot sich Werner dann früh die Möglichkeit, seinen Wirkungsradius zu vergrößern. "Jetzt habe ich eigentlich zwei Arbeitgeber", scherzt er: Nachdem er sich als Internet-Experte bei der Versicherungskammer empfohlen hatte, wurde er zusätzlich Projektleiter für die Neukonzeptionierung eines gemeinsamen Internet-Auftritts aller öffentlichen Versicherungsgesellschaften. Der Gedanke war, eine Website für ein bestimmtes Versicherungsthema und nicht für einen Konzern zu schaffen.

Von der Rentenschätzung bis zur Konzertkarte

"Warum sollte jemand eine Versicherung besuchen, und wie erreicht man, dass er wiederkommt? Die echten Anreize schafft man über Mehrwerte", ist der Wirtschaftsinformatiker überzeugt. So kann sich der potenzielle Versicherungskunde unter dem Domain-Namen Meinauto. de beispielsweise den Wiederverkaufswert des eigenen Wagens nach der Schwacke-Liste berechnen lassen. Im Bereich Meinevorsorge.de wird dem Surfer eine Rentenschätzung angeboten. Diese versicherungsspezifischen Dienste werden um Angebote erweitert, die den User zum regelmäßigen Besuch der Website anregen sollen. Dazu gehören beispielsweise der kostenlose Service einer Preisagentur für registrierte Kunden und die Möglichkeit, Konzertkarten zu bestellen.

Werners Engagement ist es zu verdanken, dass auch ein traditioneller Arbeitgeber wie die Versicherungskammer seit Anfang des Jahres eine Abteilung Neue Medien hat. Dort arbeitet er mit einem Kollegen an seinem "Baby", dem Internet-Relaunch. Die neue Abteilung ist ein Zweig der Marketing- und Vertriebsabteilung und für die technische Architektur und strategische DV-Fragen zuständig. Den Impuls, die bayrische Versicherungskammer online zu bringen, gab damals jedoch nicht der Vertrieb, wie Werner anmerkt. "Der hat die wachsende Bedeutung des World Wide Web anfangs verschlafen", blickt Werner zurück. Doch inzwischen hat sich das Internet-Projekt vom reinen PR-Objekt zum Marketing- und Vertriebswerkzeug weiter entwickelt. Werners Wechsel aus der Programmierabteilung hat nicht nur inhaltliche Gründe: Er ist überzeugt, dass seine Karriere in einer Sackgasse gemündet hätte, wäre er in der DV-Abteilung geblieben. Im Bereich Marketing und Vertrieb hingegen steht ihm der Weg nach

oben offen.

Früher der Bildschirm, heute das Flugzeug - mit dem Abteilungswechsel veränderte sich der Arbeitsalltag des jungen Aufsteigers radikal: Während er als Programmierer hauptsächlich am Rechner saß, eilt Werner nun von Meeting zu Meeting oder besucht die in Deutschland verstreuten Partnerunternehmen. Die Reisetätigkeit ist anstrengend und zeitintensiv, von geregelten Arbeitszeiten kann nicht die Rede sein. "Ein Arbeitstag ist nun einmal 13 Stunden lang", lächelt Werner geduldig. "Dafür kann ich in meinem Job die Freiheiten der großen Spielwiese Internet genießen."

Bis Jahresende peilt der junge Internet-Spezialist ehrgeizige Ziele an. So soll der Kunde seine Versicherungen künftig via Netz verwalten. Von der Ermittlung des Versicherungsbedarfs über den entsprechenden Vertragsabschluss bis zur Verwaltung im virtuellen Versicherungsordner. Dann wird es möglich sein, die Deckungssumme einer Versicherung per Mausklick zu erhöhen, wenn es die neuen Familienverhältnisse erfordern.

So sehr sich Werner über diesen Quantensprung bei seinem Arbeitgeber auch freut, vergisst er nicht, wie viel Durchhaltevermögen nötig war. Zwei lange Jahre hat es von der Idee bis zur Umsetzung gedauert. Der Relaunch war ein Millionenprojekt, "da hat die Bewilligung durch den Vorstand nicht im ersten Anlauf geklappt". Werner musste feststellen, dass die Strukturen in einem so "altehrwürdigen" Unternehmen wie der Versicherungskammer nicht immer die flexibelsten sind. Wichtig für den Projekterfolg waren daher nicht nur sein Enthusiasmus, sondern auch ein Mitstreiter im Unternehmen, der für neue Internet-Strategien zu begeistern war. Diesen fand er in Martin Joachim, dem Leiter der PR-Abteilung.

Als Werner vor acht Jahren sein Informatikstudium begann, sei Internet noch kein Thema gewesen. Deshalb spielte für ihn bei der Fächerwahl damals eher der betriebswirtschaftliche Schwerpunkt eine Rolle. Am meisten habe ihm seine Arbeit während des Studiums genützt, stellt Werner rückblickend fest. "Ich wollte immer schon bei einer Bank oder in der Versicherungsbranche arbeiten. Inzwischen kann ich mir aber durchaus vorstellen, in ein branchenfremdes Unternehmen zu wechseln und dort vielleicht noch höher gesteckte Ziele zu verfolgen."