Diebold: Wiederbelebung des Grossrechnergeschaefts zwecklos Mainframe-Konzept der Anbieter geht nicht auf

18.11.1994

FRANKFURT/M. (CW) - Waehrend IBM, Siemens-Nixdorf und andere ihr Grossrechnergeschaeft noch einmal mit aufwendigen Marketing- Kampagnen zu reanimieren versuchen, urteilen Marktforscher: Die Mainframe-Aera ist zu Ende, leistungsfaehige Parallel-Server unter Unix loesen den Host im mittleren Segment ab.

"Wir kommen heute mit zentralen Systemen nicht mehr weiter", referierte Michael Rudolphi anlaesslich des diesjaehrigen Technologie-Forums der Diebold Deutschland GmbH in Frankfurt. Wie der Leiter des Geschaeftsbereichs Technologieberatung ausfuehrte, hat der Grossrechner nur noch im High-end-Sektor eine Chance - etwa bei Banken und Versicherungen, wo grosse Transaktionsvolumina und Datenbestaende anfallen. "Je mehr wir in die Welt der Bilder und Grafik gehen, desto weniger eignet sich der Mainframe."

Im oberen Segment werde sich die IBM mit ihrer parallelen Sysplex- Architektur tummeln, die es gestatte, bis zu 32 MVS/ESA-Systeme zu koppeln. Da Big Blue allerdings eine Preispolitik vorziehe, die sich nicht mehr nach Prozessorgruppen, sondern nach dem undurchsichtigeren "Parallel Sysplex Software Pricing" richte, muessten sich Kunden dieser Systeme auf eine komplizierte Kostenplanung einstellen. Amdahl ziehe bei der Parallelprozessor- Technik mit und werde im High-end-Sektor eine ernsthafte Alternative bieten.

Schwierigkeiten macht Big Blue dagegen offenbar die grosse Gruppe der VSE-Anwender sowie das untere MVS-Segment. Fuer diese Klientel gibt es laut Rudolphi zwei Alternativen.

Entweder sie setzt preiswerte Gebrauchtmaschinen ein, oder sie orientiert sich in Richtung offene Systeme. Als Daten-Server waehlen diese Anwender maechtige Parallelrechner unter Unix - etwa die Modelle HP9000/T500 von Hewlett-Packard, Tandem Himalaya K10 000, NCR 3600 oder inzwischen auch IBMs System 9076-SP2 mit den entsprechenden Datenbanksystemen.

Die Neuorientierung in Richtung des skalierbaren Unix-Systems sei auch wegen der zu erwartenden Kostensteigerung im MVS-Bereich interessant: Laut Rudolphi ist die IBM offenbar dabei, ihre neueste MVS/ESA-Version 5.1 voll auf die Parallel-Sysplex- Architektur hin zu optimieren - etwa beim Design des Workload- Managers. Die hohen Entwicklungskosten habe jedoch die gesamte MVS-Benutzergemeinde zu tragen.

Der Analyst argumentierte in seinem Vortrag auch, dass sich im Mainframe-Sektor die "Bloessen bei der Anwendungsarchitektur" zunehmend als nachteilig erwiesen. IBMs Konzepte SAA, AD/Cycle und Officevision seien mehr oder weniger gescheitert, die Anwendungssoftware R/2 von der SAP naehere sich dem Ende ihres Lebenszyklus - heute investierten die Walldorfer in R/3.

Sicher traeume die IBM davon, dass attraktive Anwendungspakete wie R/3 unter MVS zur Verfuegung stuenden, doch da werde SAP nicht mitspielen. "Die Systemkosten fuer die IBM-Plattformen sind einfach zu hoch", meinte Rudolphi. SAP werde dorthin verkaufen, wo diese Aufwendungen niedrig seien, denn so falle der Profit fuer das Softwarehaus hoeher aus. Das Angebot an Standardsoftware bestimmt heute die Systemlandschaft, stellte der Diebold-Mann klar. Hier seien die Weichen fuer dezentrale Systeme laengst gestellt.

Dezentralisierung ist keineswegs billig

Der Referent machte aber auch deutlich, dass die Migration von einer Host- auf eine dezentrale Umgebung weder einfach noch preiswert ist. Mit der Eins-zu-eins-Portierung von Anwendungen sei niemandem gedient. Damit werde nicht mehr erreicht, als den alten Status quo in puncto Funktionalitaet aufrecht-zuerhalten. Am Redesign traditioneller Host-Anwendungen fuehre kein Weg vorbei, zumal Informationsarten wie Grafik, Bilder, Audio und Video eine Selbstverstaendlichkeit wuerden und somit eingebunden werden muessten.

Dezentrale Anwendungssysteme sind komplex - dass diese Binsenweisheit viel Wahres enthaelt, ist eine schmerzhafte Erfahrung, die zur Zeit offenbar viele Anwender machen. Sollen unternehmenskritische Programme adaequat abgesichert werden, so zeigten diverse Vortraege auf der Diebold-Veranstaltung, ist ein hoeherer Entwicklungs- und Systemverwaltungsaufwand erforderlich.

Ausserdem fuehrt die Verbreitung des PCs als Endgeraet zu einem hoeheren Administrationsaufwand und zu Sicherheitsproblemen - beides hat Kostensteigerungen zur Folge. Ausgaben, die frueher fuer Systemsoftware-Lizenzen anfielen, entstehen heute im User-Support. Dies haetten viele Firmen noch nicht erkannt, manche Helpdesks seien heillos ueberfordert.

Folgerichtig stellte ein interessierter Zuhoerer den Referenten die Frage, ob es unter diesen Umstaenden ueberhaupt Sinn mache, die Datenverarbeitung komplett auf den intelligenten Arbeitsplatz, den PC, auszurichten. Vielleicht bestuenden ja doch noch Arbeitsplaetze, fuer die Terminals vollauf ausreichten.

Eine Antwort, die allgemein Zustimmung fand, formulierte Reiner Kusch, verantwortlich fuer PCs, Netze und Client-Server-Systeme bei der Mitsubishi Electric Europe GmbH, Ratingen: "Bei uns gibt es den reinen Datenerfasser, der mit einem dummen Terminal auskommt, nicht mehr. Die Arbeitsplaetze sind hoeher qualifiziert, Mitarbeiter muessen heute viele verschiedene Dinge tun." Fuer Mitsubishi, derzeit mit der Einfuehrung von R/3 auf Basis des Microsoft- Betriebssystems Windows NT beschaeftigt, fuehrt an der Einrichtung intelligenter Arbeitsstationen kein Weg vorbei.