"Flucht nach vorn" bedarf üppiger Kapitalausstattung

Diebold-Forum: IuK-Mittelständler müssen ihr Heil im Wachstum suchen

06.08.1999
Von Beate Kneuse* FRANKFURT/M. - Mehr denn je müssen deutsche mittelständische IT-Unternehmen auf Wachstum setzen - wollen sie im Wettbewerb überleben. Finanzielle Stärke ist dafür eine der Hauptvoraussetzungen. Welche Möglichkeiten der Expansionsfinanzierung heute zur Verfügung stehen und in welcher Form sie sich eignen, nahmen Finanz- und Branchen-Spezialisten auf dem Diebold-Forum "Wachstumsstrategien für Unternehmen der IT- und Kommunikations-Branche" Ende Juni in Frankfurt am Main unter die Lupe.

Beim allmorgendlichen Blick in den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen zeigt sich längst ein gewohntes Bild: Schlagzeilen über Börsengänge von Newcomern und Mittelständlern aus der IuK-Szene. Bevorzugtes Segment: Neuer Markt. Die Helfer im Hintergrund: Vor allem Venture-Capital-Unternehmen. Die neue Begeisterung am Going Public entspringt jedoch nicht nur dem Spaß an der Freud. Vielmehr geht es um das schnelle Beschaffen finanzieller Mittel, um durch nationale wie internationale Expansion im IuK-Wachstumsmarkt mithalten zu können. Gerade dieser dehne sich, so Diebold-Deutschland-Chef Gerhard Adler, aufgrund der zunehmenden globalen Vernetzung aus, alte Geschäftsmodelle würden nicht mehr gelten, immer mehr virtuelle Unternehmen entstünden. Wer hier nicht in die Offensive geht, dürfte künftig kaum eine Chance im Wettbewerb haben.

Die "Flucht nach vorn" erfordert aber Kapital - und zwar, wie der Münchner Unternehmensberater Bernd Kannapee betonte, Eigenkapital. Nur diese Form der Finanzierung sichere die Unabhängigkeit eines Unternehmens. Dabei existierten mittlerweile verschiedene Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung und Stärkung des eigenen Unternehmens.

Eine der derzeit populärsten Methoden zur Geldbeschaffung ist die Arbeit mit Risikokapital. Überzeugt die "externen Geldgeber" das Produkt und der Business-Plan, steigen sie bei den Newcomern ein und legen so meist erst die Grundlage für die weitere (positive) Entwicklung des Unternehmens. Man kann es auch so formulieren: Ohne eine boomenden Risikokapitalmarkt mit der vielzitierten "Exit"-Möglichkeit des Börsengangs hätten in den vergangenen Jahren zahlreiche Neugründungen nicht stattgefunden.

Risikokapital, so konstatierte demnach Albrecht Hertz-Eichenrode, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Deutscher Kapitalgesellschaften (BVK), Berlin, auf dem Diebold-Forum, steht in Deutschland ausreichend zur Verfügung. Von einem Risikokapital-Volumen in Europa von rund 15 Milliarden Euro entfielen 1998 auf Deutschland rund zwölf Prozent - damit wurde Frankreich erstmals von Rang zwei verdrängt.

Und die Nachfrage nimmt zu, wie der BVK-Chef beobachtet hat. Nicht nur, daß die Zahl der Unternehmensgründungen steige, auch der Mittelstand begreife zunehmend, welche Chancen sich durch Risikokapital ergeben würden. "Vor drei Jahren", so Hertz-Eichenrode, "wußten viele noch gar nicht, was Venture-Capital ist." Fest stehe, so der BKV-Topmann weiter, daß mit fremdem Eigenkapital finanzierte Unternehmen zwei bis dreimal schneller wachsen würden und trotz höherer Ausgaben für Investitionen und Forschung und Entwicklung ertragsstärker seien.

Kapital läßt sich aber auch über strategische Beteiligungen gewinnen. Diese, so Consultant Kannapee, gehen aber im Regelfall mit dem Mehrheitsbesitzanspruch des Geldgebers einher. Darüber hinaus verfolge der Investor geschäftliche Interessen. So gehe es ihm darum, sich zusätzliches Know-how einzukaufen, das eigene Geschäftsfeld zu erweitern, regionale beziehungsweise lokale Lücken zu schließen und/oder die Marktstellung durch höheren Umsatz und Gewinn zu verbessern. Manchmal sei dieser aber auch schlicht von der Absicht getrieben, einen Wettbewerber auszuschalten.

Eine in Deutschland nach Ansicht des Münchner Beraters bislang viel zu selten genutzte Beteiligungsmöglichkeit ist die der Fusion. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der IT-Branche und den damit verbundenen Zwängen - beispielsweise die aufgrund des rasanten Technologiewandels erforderlichen enormen finanziellen Aufwendungen - sei das Instrument des Zusammenschlusses gerade für mittelständische Software- und Service-Anbieter hervorragend geeignet: "Eine Fusion ermöglicht zum einen den Unternehmern, als Geschäftsführer die Entwicklung weiter maßgeblich mitzugestalten und bietet zum anderen den Firmen Optionen, die jede für sich allein genommen nicht hätte ausüben können - sei es die regionale Ergänzung, der Aufbau komplementärer Geschäftsfelder oder einfach nur das Erreichen der kritischen Masse."

Gerade der Neue Markt, der im März 1997 von der Deutschen Börse AG als neues Handelssegment aus der Taufe gehoben wurde, hat einen Run ausgelöst, der noch vor Jahren unvorstellbar erschien. Mehr als 100 Unternehmen sind mittlerweile notiert, davon stammen laut Kannapee rund 60 Prozent aus den Bereichen Software, IT-Services, Kommunikation und Hardware. Und täglich werden es mehr. "Für Unternehmen aus der IuK-Branche, die für einen kommerziellen Erfolg eine globale Präsenz benötigen, ist es heute notwendig, schnell an die Börse zu gehen", unterstrich der Berater. Gehe man bei der Streuung der Aktien von dem von der Deutschen Börse unlängst erhobenen Mittelwert von 33 Prozent aus, seien in den vergangenen Jahren rund 28 Milliarden Mark an Kapital über den Neuen Markt beschafft worden, rechnete Kannapee vor.

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.