Gastkommentar

Die Zukunft liegt bei Servern mit RISC- und Intel-Prozessoren

07.01.1994

Vom "Quantensprung" des Mainframes spricht er und behauptet, weil die Mainframe-Preise laut "Wall Street Journal" auf zehn Prozent des heutigen Standes fallen wuerden, wuerde der Spuk der Client- Server-Welt im eigenen Chaos wieder verschwinden. Angesichts dieser unschlagbaren Preise sagt Leighty voraus, dass sich in naher Zukunft endlich der Standard durchsetzt, den er offenbar verehrt: MVS-Server in allen Abteilungen. Schluss mit dem PC-Durcheinander. Heureka. Es ist ein "Quantensprung" innerhalb der Mauern des Elfenbeinturms, der immer noch das Erfahrungsgefaengnis mancher Mainframer symbolisiert.

Hat denn Leighty noch nie etwas von Abverkauf gehoert? Hat er noch nicht gemerkt, dass selbst innerhalb der IBM die Unix- beziehungsweise AIX-Fraktion die Oberhand gewonnen hat? Glauben die Mainframer, dass die riesigen Summen, die Hardwarehersteller und Softwarehaeuser in die Entwicklung von Unix-Systemen stecken, Spielgeld sind? Tun die Investoren das nur, um dann zu sagen: Die MVS-Plattform ist doch die beste?

Das letzte grosse Aufbaeumen der MVS-Fraktion innerhalb der IBM versank im Sommer 1992 in der Asche von AD/Cycle. Es war einfach nicht mehr haltbar, das Repository auf DB2 und MVS implementieren zu wollen. Auch IBM musste einsehen, dass es auf die Plattformen der Entwickler gehoert: auf Workstations und lokale Netze. IBM selbst stattet MVS immer mehr mit offenen Standards aus, so dass es einem Unix mit seinen Standards immer aehnlicher wird. Die letzten Software-Anker der IBM-Mainframe-Welt - der Transaktionsmonitor CICS und die Datenbank DB2 - stehen inzwischen auf AIX und sogar auf den Unix-Systemen von Hewlett-Packard zur Verfuegung. IBM folgt damit einem Weg, den die Software AG schon seit einiger Zeit beschreitet: Hilfe fuer die Migration existierender Anwendungssoftware von Mainframes auf preisguenstigere Unix- Plattformen. Das ist Rightsizing oder Downsizing. Eine Differenzierung dieser Begriffe ist hier nicht noetig.

Der Kunde erkauft sich damit einen wichtigen Vorteil: Er erhaelt die Chance, die Unix-basierende Software auf den Systemen verschiedener Hersteller einzusetzen. Dafuer gibt es schlagkraeftige Argumente:

1. Unix-Hardware ist eine Kommoditaet. Das Preisgebaren der Hersteller wird ueber den Wettbewerb in Schach gehalten.

2. Wenn Software in international taetigen Unternehmen eingesetzt wird, dann kann in der jeweiligen Weltregion der Hardwarehersteller in Anspruch genommen werden, der den Vorstellungen der jeweiligen nationalen Organisationseinheit entspricht. Das muss ja nicht weltweit der gleiche sein.

3. Softwarehaeuser koennen sich dank der Verbreitung von Unix auf viel groessere Maerkte ausdehnen und damit auch ihre Preise senken.

In seiner Zufriedenheit ueber den vermeintlichen Sieg von MVS stellt Leighty dann Ueberlegungen an, die zunaechst nachvollziehbar sind: naemlich ueber die Notwendigkeit der Datenstrukturierung und die Einrichtung einer zentralen Kompetenz dafuer. Ja, jedes Unternehmen muss sich heute ein Konzept fuer die Struktur der Daten zulegen, die fuer die Unterstuetzung und betriebswirtschaftliche Bewertung der Geschaeftsprozesse massgebend sind: das sogenannte Datenmodell. Allerdings kann ich auch hier nicht umhin, Leighty zwei Denkfehler entgegenzuhalten:

a) Er vermischt leichtfertig die planerische Aufgabe der Datenmodellierung mit der operativen Aufgabe der Datenadministration. Erstere bezeichnet den Entwurfs- und Pflegeprozess der Datenmodellierung, der nur in enger Kooperation zwischen Informatikern und Betriebswirtschaftlern durchgefuehrt werden kann. Es handelt sich dabei um eine Upper-Case-Aufgabe. Letztere betrifft die Pflege und Qualitaetssicherung physischer Datenstrukturen, die in einem Datenbanksystem abgelegt sind, sei es nun DB2, Adabas oder Oracle. Die erste Aufgabe muss unternehmensweit gefasst werden, ja sie muss sogar mit Blick auf externe Stellen - also Lieferanten, Kunden, Speditionen etc. - durchgefuehrt werden.

b) Die technische Implementierung der dabei entstehenden Datenmodelle fuehrt logischerweise zu mehreren Datenbank-systemen, die auf dem Mainframe und auf Abteilungs-Servern gelagert sind oder sogar bei externen Stellen. Anders ist dies heute gar nicht mehr vorstellbar. Woher Leighty die Hoffnung auf die Rezentralisierung der physischen Datenbestaende nimmt, ist einfach nicht nachvollziehbar. Sie widerspricht den aktuellen Trends.

Versucht man, der Basis seiner Argumente auf die Spur zu kommen, dann stoesst man auf eine weitere Merkwuerdigkeit: den beklagten "Abteilungsegoismus". Diesen Terminus verwendet Leighty, um zu brandmarken, dass sich die Abteilungen - was ja in der Tat der Fall ist - der zentralen Kontrolle durch die Mainframer entziehen. Hier kommen wir dem Konservativismus auf die Spur. Im Sinne von Leighty koennte man auch formulieren: Abteilungen, unterwerft euch wieder dem MVS- und DB2-Diktat der Mainframer, dann wird es um die betriebliche Informatik wieder gut bestellt sein.

Richtig ist aber, dass sich die Abteilungen dem zentralen Diktat entzogen haben, weil ihre Anforderungen von der Zentrale einfach nicht ernstgenommen worden sind. Warum hat es denn den PC- Wildwuchs gegeben? Warum waren schon vorher die Buerosysteme von Wang so beliebt in den Abteilungen der grossen Unternehmen? Doch erwiesenermassen deswegen, weil die Abteilungen nach aussen auf Kunden gerichtete Aufgaben wahrzunehmen haben - zum Beispiel in bezug auf Angebotsbearbeitung, Kundenservice etc. -, bei denen sie von den Mainframern einfach nicht genuegend unterstuetzt worden sind beziehungsweise fuer die diese nicht die technischen Moeglichkeiten hatten.

Heute kann es nicht darum gehen, den Zentralismus zu restaurieren. Umgekehrt, die zentralistischen Mainframer muessen lernen, dass sie nur eine Moeglichkeit haben, um zu ueberleben: Sie muessen von ihrer Abgeschiedenheit im Elfenbeinturm der Mainframe-Ideologie herabsteigen und sich als Dienstleister der Fachabteilungen verstehen. Sie muessen das Gespraech ueber die Geschaeftsanforderungen der Abteilungen suchen und nicht immer noch ueber technische und sonstige Zwaenge des Mainframes dozieren. Nicht der Mainframe ist der Nabel des Unternehmens, sondern die "Bottom line", das heisst der Profit. Dafuer massgebend sind die wertschoepfenden Verrichtungen der Fachabteilungen. Die gesamte Informatik im Unternehmen ist lediglich eine Unterstuetzungsfunktion.

Wie ernst dieser Ratschlag zu nehmen ist, laesst sich sehr leicht mit dem Trend zum Outsourcing belegen. Weil auch den Unternehmensleitungen immer deutlicher wird, dass auf den Mainframes nur noch Aufgaben abgewickelt werden, die zur Wertschoepfung des Unternehmens keinen spezifischen Beitrag leisten, kann man diese Aufgabe an externe Dienstleister vergeben. Die machen das viel kosten- guenstiger. Betriebswirtschaftlich spricht man auch von der Verringerung der Fertigungstiefe in der DV-Produktion, ein Ziel im Kontext des Themas "schlankes Unternehmen".

Outsourcing geht immer mit Downsizing einher. Fuer die Informatiker bedeutet das: Profilieren sie sich mit wertschoepfungsintensiven Massnahmen der DV-Unterstuetzung, dann erlangen sie die Wertschaetzung der Abteilungen und sichern ihren Arbeitsplatz. Konzentrieren sie sich jedoch auf die Restaurierung des Mainframes, dann setzen sie ihre Jobs aufs Spiel, weil der Outsourcing-Anbieter ihnen auf der Spur ist.

Zu Beginn dieses Kommentars sprach ich von Abverkauf, bezogen auf den Preisverfall fuer MVS-Systeme. Damit meine ich die Erscheinung, die jedem Betriebswirtschaftler gelaeufig ist: Wenn ein Produkt dem Ende seines Lebenszyklus entgegengeht, dann versucht der Produzent, noch moeglichst viel Umsatz damit herauszuschlagen. Entwicklungskosten und Produktionsanlagen sind abgeschrieben, moderne Wettbewerbsprodukte muessen im Preis noch hochgehalten werden. Also: Chance nutzen, Preise runter, Stueckzahlen verkaufen. Das kann aber nur eine sogenannte Sunset-Verlaengerung sein, ein Aufflackern kurz vor dem Ende der Mainframes.

Dieses Argument wird dadurch erhaertet, dass moderne Hochleistungsrechner mit Parallelarchitektur, basierend auf den massenweise verfuegbaren RISC- oder PC-Prozessoren, bereits ein Vielfaches der Leistung bieten, die MVS-Mainframes je erbringen koennen. Natuerlich sind sie noch nicht so vollstaendig ausgestattet mit all den Softwarefunktionen, die ein Rechner fuer den Betrieb von robusten Anwendungen braucht, aber alle Hersteller investieren kraeftig in diese Funktionen, auch IBM. Das wuerden sie wohl kaum machen, wenn das Mainframe-Revival bevorstuende.

Der proprietaere MVS-Mainframe ist also in jeder Hinsicht ein Auslaufmodell. Die Zukunft liegt im Client-Server-Schema und bei Servern aller Leistungsklassen mit RISC- oder Intel-Prozessoren. Wenn Bedarf an extrem hohen Server-Leistungen entsteht, dann wird er von massiv-parallelen Rechnern (MPP-Technik) gedeckt, die auch mit Standardprozessoren und dem Betriebssystem Unix arbeiten. Das sind die Mainframes der Zukunft. MVS geht dann den Weg der Abendsonne, aber einen Sonnenaufgang wird es dafuer nicht wieder geben.