Hit-Märkte bekommen eine neue IT-Architektur

Die Zentrale soll wissen, an welcher Kasse Papier fehlt

23.07.2004
MÜNCHEN (qua) - Der Handel ist aufgewacht: Nicht nur Metro und Karstadt-Quelle, sondern auch die kleineren Handelsgruppen bemühen sich um mehr Effizienz. So bekommen auch die zur Dohle-Gruppe gehörigen "Hit"-Märkte und "Marktfrisch"-Häuser eine neue, zentrale IT-Architektur.

Ohne Claudia Schiffer und mit mäßigem Presseauftrieb eröffnete die Dohle Handelsgruppe GmbH & Co. KG, Siegburg, im Münchner Westend ihren "Vision-Store": Ähnlich dem "Metro Future Store" in Rheinberg (siehe www.computerwoche.de/go/80112089 hat sie dort auf 4000 Quadratmetern ein Praxislabor für neue Techniken im Einzelhandel errichtet. "Persönliche Shopping-Assistenten" (PSA) mit Selbst-Scanning-Funktion am Einkaufswagen, automatischer Abgleich von PSA- und Kassendaten sowie eine zentrale Aktualisierung der digitalen Werbebotschaften sind seit der Neueröffnung des Marktes am 19. Juli Realität; die Möglichkeit zum Self-Checkout soll in Kürze folgen. "Die Schnelligkeit des Kassiervorgangs ist für den Kunden ein wichtiges Entscheidungskriterium", weiß der für IT, Organisation und Personal zuständige Geschäftsführer Reinhard Schütte.

Allerdings wird die nach eigener Einschätzung eher "mittelständische" Dohle Gruppe (Gesamtumsatz 2003: rund 2,8 Milliarden Euro) keineswegs alles nachbauen, was die 20mal größere Metro Group im Rheinberger "Extra"-Markt testet. Beispielsweise hält Schütte die Technik der "intelligenten" Waage für noch nicht ausgereift: Häufig identifiziere die eingebaute Bilderkennungssoftware rote Äpfel als Tomaten.

Skeptisch steht der Dohle-Geschäftsführer auch dem Thema Radio Frequency Identification (RFID) gegenüber. Hier gebe es ebenfalls noch einige technische Hürden zu überwinden. Vor allem aber sei eine gewisse kritische Masse notwendig, damit sich der Aufwand überhaupt lohne: "Das verursacht derzeit nur Kosten."

Doch auch für die Dohle Gruppe sind die von außen sichtbaren Neuerungen im Münchner Vision-Store nur der eine Teil der Geschichte. Eine wesentlich größere Bedeutung kommt den Veränderungen zu, die sich hinter den Kulissen vollziehen: Das Handelsunternehmen überarbeitet derzeit seine gesamte IT-Architektur - angefangen von der über ein Virtual Private Network (VPN) realisierten Anbindung jedes einzelnen Peripheriegeräts an den Zentral-Server in Siegburg bis hin zur Implementierung eines neuen Warenwirtschaftssystems auf der Basis von SAP-Software.

Die Ziele der Umgestaltung lauten: Transparenz aller Daten, automatische Disposition und zentrale Steuerung der Prozesse. Das 25 Jahre alte, auf dezentralen Betrieb abgestimmte Warenwirtschaftssystem war diesen Ansprüchen nicht gewachsen. Deshalb suchte Schütte nach einer Alternative. Weil bereits die Entscheidung für den Kassenanbieter Wincor Nixdorf gefallen war, kam beispielsweise das mit eigenem Kassensystem arbeitende Warenwirtschaftssystem von Retek nicht in Frage. Zudem habe, so Schütte, "die einmalige Integration" für die SAP-Lösung "R/3 Retail" gesprochen. Sie soll in den kommenden beiden Jahren eingeführt werden.

Wie der für die Filialanbindung verantwortliche Projektleiter Thomas Neuhaus erläutert, wird das vorhandene Warenwirtschaftssystem übergangsweise mit Übersetzern und Parsern für die "XLM"- und "Idoc"-Schnittstellen (XML = Extended Markup Language; Idoc = Intermediate Documents) des Zielsystems ausgerüstet. So sei es möglich, bei der späteren Migration nur noch "den Schalter umzulegen".

Für die zentrale Datenversorgung der Filialen wird derzeit sukzessive die Steuerungssoftware "M-Server" des SAP-Partners Solquest Consulting GmbH mit Sitz in Waldbronn eingeführt. Noch in diesem Jahr sollen 40 der 87 Hit-Märkte angebunden sein, die andere Hälfte sowie die derzeit 24 Marktfrisch-Niederlassungen in Sachsen werden im kommenden Jahr folgen.

Im Backend radikal

Die Solquest-Lösung wird zum einen dafür sorgen, dass der Zentral-Server Zugriff auf das gesamte Equipment aller Märkte - von den Kassen über die Leergutautomaten und die Waagen bis zu den mobilen Datenerfassungsgeräten - bekommt. "Die Zentrale soll wissen, wenn an einer Kasse eine Bon-Rolle fehlt", erläutert Schütte.

Die Verantwortlichen der mit dem "Frische"-Argument werbenden Märkte wollen exakt und zeitnah wissen, was ihre Kunden eigentlich kaufen. Deshalb funktioniert der Datenabgleich auch in umgekehrter Richtung. Mögen andere Handelsunternehmen mit spektakuläreren Frontend-Lösungen aufwarten, so hält Schütte die Backend-Strategie der Dohle Gruppe doch für richtungsweisend: "Im rückwärtigen Bereich sind wir sehr radikal."