CIO-Roundtable der COMPUTERWOCHE zum Thema Konsolidierung

Die Zeit zum Aufräumen wird knapp

30.05.2003
MÜNCHEN - Globalisierung und Kostendruck zwingen die Unternehmen, ihren IT-Wildwuchs zu bereinigen. Die heute gängigen Ansätze für eine nachhaltige Konsolidierung reichen jedoch nicht. Darauf einigten sich vier CIOs, die sich zu einem COMPUTERWOCHE-Roundtable trafen.

"Gesamtwirtschaftlich gesehen, ist Konsolidierung etwas ganz Normales, nirgendwo erzeugt sie so viel Aufmerksamkeit wie in der IT." Mit diesem Statement rückte Thomas Fischer, Vorstandsmitglied der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), die Perspektive zurecht. Dessen ungeachtet erzeugt die Forderung nach Konsolidierung in den IT-Bereichen fast aller Unternehmen derzeit einen nie gekannten Wirbel. "Wir sind darauf schlecht vorbereitet", schlussfolgert Fischer. Die Gründe dafür lägen in den Mechanismen der Vergangenheit: "Hat die Wirtschaft investiert, tat das auch die IT; erfuhr die Wirtschaft einen Abschwung, hat die IT entweder ungerührt weiterinvestiert, oder sie wurde mit neuen Rationalisierungsinvestitionen gefordert." Zum ersten Mal müsse die IT jetzt die Erfahrung eines "ganz normalen Zyklus" machen.

Auch Rainer Janßen, Group Information Executive der Münchener Rück Gruppe, beobachtet in puncto IT-Investitionen mittlerweile eine Pendelbewegung, die für andere Bereiche des Wirtschaftslebens längst gang und gäbe ist: "Bis vor kurzem wurde jeder Geschäftsverantwortliche gefragt: Gibst du auch genug für IT aus? Heute heißt es: Was sparst du bei der IT ein?" Nach dem "Overspend" sei jetzt das Aufräumen angesagt.

Am Ende geht es immer ums Geld

Damit macht der IT-Verantwortliche des weltweit agierenden Rückversicherers deutlich, worum es in den meisten Konsolidierungsprojekten geht: Nach dem E-Business-Hype um die Jahrtausendwende und den ersten Anzeichen für eine rezessive Wirtschaftslage haben die Unternehmensführungen ihre IT-Bereiche als Kostentreiber gebrandmarkt und den CIOs massive Beschränkungen auferlegt. Sicher gibt es andere Gründe für eine Reduzierung der IT-Komplexität, beispielsweise die Vereinheitlichung der Kundenprozesse nach einer Fusion oder die Verbesserung der Reaktionsfähigkeit. Doch die meisten Konsolidierungsprojekte bezwecken schlicht, den finanziellen Aufwand für die Informationstechnik zu verringern.

So ist auch die zweite Konsolidierungswelle der LBBW "getrieben durch ein Kostenbewusstsein, das sich in den letzten zwei Jahren massiv verstärkt hat", wie Vorstandsmitglied Fischer erläutert. Das Ziel dieses neuen Konsolidierungsprojekts fließe definitiv in die Gewinn- und Verlustrechnung ein: "Wir haben uns vorgenommen, unsere IT-Kosten im Vergleich zu denen des Jahres 2002 innerhalb von drei Jahren um 25 Prozent zu senken."

Anderen IT-Verantwortlichen ergeht es nicht besser. So zum Beispiel Dietmar Lummitsch, CIO des TÜV Süddeutschland und Geschäftsführer des TÜV Informatik Service: "Unsere Kommunikations- und Informationskosten betrugen weltweit fünf bis sechs Prozent vom Umsatz. Das Ziel des IT-Standardisierungsprogramms liegt bei vier Prozent - zu erreichen innerhalb von drei bis vier Jahren." Die angepeilten Einsparungen betrügen demnach "locker" 20 bis 30 Prozent.

In einer ähnlichen Dimension sind die Zielmarken von Roland Krieg, Senior Vice President des Flughafenbetreibers Fraport AG: Derzeit liege der Umsatzanteil der Informations- und Kommunikationskosten zwischen sechs und 6,5 Prozent. "Das ist ein guter Benchmark bei internationalen Flughäfen", betont Krieg. Dennoch will er diesen Anteil um einen Prozentpunkt verringern.

Leicht zu pflücken

Ist von Konsolidierung die Rede, denkt jeder erst einmal an die eigentliche "IT-Produktion", also an Rechenzentren, Softwareanwendungen, Speicherkonzepte und Netze. Die IT-Chefs sehen hier die kleineren Herausforderungen: "Server-Konsolidierung ist eine Aufgabe, die man sozusagen en passant erledigt", beteuert Fischer. Allerdings gebe es auch innerhalb des "Run"-Prozesses "Bereiche, die nicht gleich ins Auge fallen". Beispielsweise seien Warenkörbe und Berechtigungen für Lizenzen "durchzuflöhen" sowie Service-Levels, "die hochgeschraubt wurden, als das Geld noch reichlich vorhanden war", kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu reduzieren.

Janßen antwortete auf die Frage nach den niedrig hängenden Früchten: "Alles, was dazu beiträgt, den Client dünn zu halten." Unmittelbar lohnend seien aber auch das Verlegen des Speichers ins Netz nach dem Prinzip des Storage Area Network (SAN) sowie eine begrenzte Tool- und Softwarewelt. "Mein persönlicher Rat: An Microsoft und SAP kommt keiner vorbei, also überlege dir sorgfältig, was du sonst noch brauchst."

Über eine Homogenisierung, Konsolidierung und Standardisierung der Backoffice-Infrastruktur lasse sich "viel herausholen", hat auch Krieg festgestellt. Daneben richte er sein Augenmerk jedoch auf "das Geld, das wir neu ausgeben". Das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen künftiger Projekte gehöre ebenfalls in die Konsolidierungsdebatte: "In der Vergangenheit haben wir uns dabei immer sehr stark auf die Steuerung des "Build" gestürzt, das "Plan" vernachlässigt und im "Run" über die Heterogenität gestöhnt." Doch genauso wichtig wie die Vereinfachung der Run-Prozesse sei es, die Projekte zu priorisieren und einzuschränken.

Auch mal Nein sagen!

Lummitsch zählt zu den unmittelbar effektiven Konsolidierungsmaßnahmen das Standardisieren auf der Arbeitsplatzebene durch ein einfaches Servicemodell, das Einführen von Dienstleistungsprozessen, wie sie beispielsweise die "IT Infrastructure Library" (Itil) definiert, sowie das Reduzieren von Personal. Zudem sind die drei Grundprozesse der Informationstechnik - "Plan", "Build" und "Run" - seiner Ansicht nach um einen vierten mit Namen "Stop" zu erweitern: "Wir müssen auch mal etwas nicht tun oder abschalten."

Nach Erfahrung von Fischer sind kurzfristige Effekte insbesondere über den Einkauf - etwa die Standardisierung von Warenkörben, das Zusammenfassen von Lizenzen und Überprüfen von Verträgen etc. - zu erzielen. Auch die Preise ließen sich "in einer Zeit, in der es auch unserer Zulieferindustrie schlechter geht", besser verhandeln denn je, beobachtet der Banker aus Stuttgart.

Nicht jede Ernte lässt sich so leicht einbringen. Die Frucht, "die am schwierigsten zu pflücken, mit der aber am meisten zu verdienen ist", trägt laut Janßen die Aufschrift "Prozessstandardisierung und -vereinfachung". Im Gegensatz zum Infrastrukturbereich sei die Informationstechnik dabei auf die Mithilfe der Anwender angewiesen. "Die IT sucht immer zuerst in der Infrastruktur, weil sie das allein kann; am besten lassen sich Kosten senken, wenn der Anwender nicht mitdenken oder sich verändern muss", spottet der ehemalige IBM-Manager.

"Ein Großteil der Heterogenität kommt von nicht koordinierten Anwenderwünschen", untermauert Janßen seine These. Ein Verantwortlicher könne "einiges" in der Infrastuktur tun, "aber die wirklichen Kostentreiber findet man nur, wenn man sich auf die Prozessschiene begibt und den Anwender dazu bringt, nachzudenken, ob er den Gold-Card-Service und den Rolls Royce in Timbuktu wirklich braucht". Ein Gegengift gegen überzogene Ansprüche seien alle Mechanismen, die eine klare Kostenzuordnung und -verrechnung ermöglichen.

Wie der Sohn, so der Vorstand

Mitverantwortlich für die ausfasernden IT-Welten ist nach Ansicht der Experten das immer schnellere Aufeinanderfolgen technischer Neuerungen: "Viele Anforderungen kamen daher, dass der IT-kundige Sohn etwa eine spezielle Software nutzte und der Mitarbeiter sagte, das könnten wir doch für diesen und jenen Ansatz ausprobieren", erinnert sich Krieg. Janßens Problem hingegen war offenbar "weniger der IT-kundige Sohn als der Vorstand aus einem anderen Unternehmen, der meinem Vorstand das neueste Spielzeug gezeigt hat".

Auch die Informatiker selbst seien, das wollte Janßen nicht verschweigen, "ein wenig schuld an der Unordnung". Sie hätten zu oft auf ein Architektur-Management verzichtet, sobald die Zeiten hektisch wurden: "Zwei Dinge auf der Welt werden ohne Architekten gebaut: Hundehütten und Software", schimpft der wortgewaltige IT-Experte. "Hier haben wir allesamt noch zu wenig nachgedacht und investiert."

"Wir haben vor allem nicht darüber geredet", wendet Krieg ein. "Es nützt nichts, zu wissen, wie es geht; wir müssen es den Anwendern auch erklären." Während des E-Business-Hypes habe die IT ihre "hehren" Ziele oft vernachlässigt: "Im Konflikt zwischen Schnelligkeit und reinrassigem Architektureinsatz haben wir uns zugunsten der Geschäftsanforderungen entschieden." Mancher Wildwuchs sei auch aus Bequemlichkeit zugelassen worden, ergänzte Janßen, "weil man den Druck zur Vereinheitlichung nicht ausüben wollte".

In Bezug auf das Kommunikationsproblem pflichtet Janßen seinem Kollegen aus Frankfurt am Main ebenfalls bei: "Es gelingt uns immer noch nicht, den Geschäftsbereichen klar zu machen, was sie mit bestimmten Wünschen in der Infrastruktur anrichten beziehungsweise warum der dämliche PC, den man für 1000 Euro bei Vobis oder Aldi kaufen kann, bei uns so viel mehr kostet."

Vor allem aber müsse die IT eine neue Idee von ihrer eigenen Arbeit entwickeln, fordert Janßen: "Die Einstellung der Informatik, alles zu machen, was die Geschäftsbereiche wollen, entspringt einer völlig falsch verstandenen Dienstleistungsmentalität." Als interner Serviceanbieter sollte die IT-Organisation eine "Führungsaufgabe" übernehmen und bestimmte Dinge "durchsetzen".

Es gehe nicht an, dass die Fachbereiche der IT die Lösungen vorgäben, wie das heute häufig der Fall sei, bekräftigt Lummitsch: "Wenn sich das Business wirklich nur über das Business Gedanken machen würde, hätten wir in der IT mehr Möglichkeiten, die Regelungen durchzusetzen, die wir für unabdingbar halten."

Die Krise als Chance

Unter dieser Prämisse betrachtet der CIO des TÜV Süddeutschland die Konsolidierungswelle auch als eine Chance: "Wir können jetzt die Bausteine so konsolidieren, dass wir sie als Basis für die nächste Innovationswelle nutzen."

Die Frage, wie sich ein erneuter Wildwuchs vermeiden lässt, beschäftigt alle CIOs, die sich derzeit mit Aufräumarbeiten herumschlagen. Im Grunde sind sie sich einig, dass Konsolidierung - getreu der von Janßen nachgeschlagenen Brockhaus-Definition ("Sicherung des Bestands") eigentlich ihr tägliches Geschäft ist. Doch spätestens nach einem erneuten Wirtschafts-Boom könnte sie einmal mehr zu einem akuten Problem werden. Deshalb gilt es "die Fehler zu vermeiden, die wir bei der Einführung des PC und beim Internet wieder gemacht haben", so Janßen. "Wenn wir das nicht schaffen, sind wir quasi tot", mahnt der erfahrene IT-Manager. "Die Zeit zum Aufräumen wird einfach zu kurz."

Eine Antwort auf dieses Problem bieten "Blaupausen" (Fischer) oder "Rahmenrichtlinien" (Lummitsch) an, die als Gerüst für die künftige IT-Gestaltung dienen können. Allerdings bergen sie ein Problem: Durch zu viel Eingrenzung könnte die Flexibilität verloren gehen. "Nicht alles lässt sich mit SAP machen", räumt Lummitsch ein, "das heißt, wir benötigen eine sehr intelligente Infrastruktur, mit der wir gleichzeitig koppeln und entkoppeln." Um eine "dynamische" Effizienz zu erreichen, die schnelle Veränderungen zulässt, sei es an machen Stellen notwendig, explizit in die "Vorhaltefähigkeit" zu investieren, bestätigt Janßen.

Krieg hingegen argumentiert, der Widerspruch zwischen Standardisierung und Flexibilität werde oft künstlich herbeigeführt. Die Konsolidierung der Daten und eine einheitliche Architektur lieferten bisweilen sogar die Voraussetzung für eine flexible Handhabung der Systeme. So könne das Fraport-Management nur deshalb flexible Auswertungen über unterschiedliche Strukturen vornehmen, weil der operative und der betriebswirtschaftliche Datentopf unter einer Warehouse-Architektur zusammengefasst seien.

Geiz ist geil

Ohnehin bilden Blaupausen und Richtlinien nur die strukturelle Seite der Informationstechnik ab. "Um die Nachhaltigkeit der Kostenmaßnahmen zu garantieren, brauchen wir einen zweiten Ansatz", erläutert Fischer: "Wir müssen sicherstellen, dass das neue Denken auch dann noch unser Handeln bestimmt, wenn der Kostenzwang nicht mehr unmittelbar im Vordergrund steht." Die IT müsse sich heute selbst fragen, welchen Wertbeitrag sie eigentlich leiste. Das sei für die LBBW-Mitarbeiter anfangs "in hohem Maße gewöhnungsbedürftig" gewesen und habe zu dem "typischen Reflex" geführt, Aufwandsschätzungen in Erwartung von Kürzungen mit einer entsprechenden Sicherheitsreserve zu versehen. Inzwischen nehme aber ein großer Teil der Führungskräfte "die Herausforderungen sportlich an" - ganz im Sinne des Werbeslogans: "Geiz ist geil!"

Nun besteht der Wertbeitrag der IT wohl kaum nur im Sparen, sondern auch in der bestmöglichen Unterstützung des gegenwärtigen und des möglichen Geschäfts. Kluge IT-Chefs haben deshalb auch innovative Techniken auf ihrem Radar. Voraussetzung dafür sei jedoch nicht nur eine technische, sondern auch eine Geschäftsprozess-Architektur, meldete sich Krieg zu Wort. Damit lasse sich schon vor dem Boom herausfinden, ob eine Innovation zu einem der Geschäftsprozesse passe oder vorerst keine Beachtung verdiene: "Indem wir uns intensiv damit beschäftigen, lernen wir in der IT so viel über das Geschäft, dass wir von einer Innovation eigentlich nicht mehr überrascht sein sollten."

Karin Quack (kquack@computerwoche.de)