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Soziale Medien gegen den Staat

Die Weibo-Revolution verändert China

05.09.2011

Über die Große Firewall

Es gebe nicht nur Gefahren für das kommunistische System, sondern auch Vorteile. "Die Regierung kann die Mikroblogs für eigene Zwecke nutzen", hebt der Zeitungsmanager hervor. "Sie bekommt heute viel schneller mit, was das Volk denkt und wie die Stimmung ist." Lokale Politiker nutzten die "Weibo" sogar erfolgreich für ihre Arbeit. Einige seien auf diese Weise sehr populär geworden. "Sie finden den richtigen Ton, um mit den Menschen zu kommunizieren."

He Hua ist so einer. Der 34-jährige Direktor des Propagandaamtes der fünf Millionen Einwohner zählenden Präfektur Qujing in der Provinz Yunnan berichtet seit zwei Jahren auf dem Tencent-Mikroblog über die Arbeit der Behörden, beantwortet Bürgerfragen und verbreitet Fotos. Auch mit einem jüngsten Fall von Umweltverschmutzung in Qujing ging He Hua offen um. Mehr als 20.000 Menschen folgen ihm.

Um ihre Lizenz nicht zu verlieren, zensieren die Betreiber der "Weibo" sich selbst. Sie haben nicht nur Filtersoftware installiert, sondern beschäftigen auch eine Armee von Leuten, die heikle Beiträge streichen. Teilnehmer an Diskussionen verändern aber ständig die Reizwörter, um Filter zu umgehen, oder verwandeln Text in Fotos um. In kritischen Kommentaren wird aus Ministerpräsident Wen Jiabao schon mal "Baobao". Der berühmte regimekritische Künstler Ai Weiwei wird mit anderen Zeichen "Ai Weilai" geschrieben: "Liebe die Zukunft".

In den Mikroblogs entwickelt sich ein Aktivismus von Bürgern, die Missstände anprangern, die Behörden der Lüge überführen oder zu Protesten aufrufen, wie jüngst gegen eine umstrittene Chemiefabrik. Die bisherige Doppelstrategie der Mächtigen in China, einerseits Wachstum und Wohlstand zu liefern und andererseits demokratische Opposition zu unterdrücken, gerät in Bedrängnis. Das Internet wächst zur sozialen Plattform heran. Bürger demonstrieren ein gestärktes Bewusstsein für ihre Rechte als Verbraucher, Steuerzahler oder Wohnungseigentümer. Während sie Korruption, Umweltzerstörung und Inkompetenz von Funktionären enthüllen, treten zunehmend die tiefer liegenden Widersprüche des autoritären Entwicklungsmodells zutage.

"Wir Chinesen sind schlau", berichtet der Journalismusprofessor stolz, wie Zensur umgangen und Online-Sperren überwunden werden. "Wir waren in der Lage, die Große Mauer zu bauen, und deswegen können wir auch über die Große Firewall von China klettern." Der Machtapparat werde weiter versuchen, soziale Netzwerke in Schach zu halten, glaubt der Journalismusprofessor. "Kurzfristig" erwartet er wenig Linderung der Zensur. "Die Medien sind vielleicht das letzte Schutzschild für die Legitimität der Regierung", sagt er. "Weil sie aber immer schwerer zu kontrollieren sind, bin ich langfristig optimistisch." (dpa/ajf)