IT im Handel/

Die Web-Site muß zum Kaufverhalten passen

08.05.1998

Besuchern der diesjährigen CeBIT und Lesern der Tages- und Wirtschaftspresse muß sich der Eindruck aufdrängen, der Handel im Internet stehe kurz davor, den traditionellen Handel zu überflügeln. Erfolgsberichte amerikanischer Firmen, markige Aussagen hiesiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, großangelegte Werbekampagnen internationaler Hardwarehersteller sowie Zukunftsprognosen amerikanischer Marktforscher verstärken diesen Eindruck. "Wer nicht mitmacht, wird untergehen", ist zu lesen oder: "Von der Entwicklung des Electronic Commerce hängt nicht weniger ab als die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland."

Auf der anderen Seite tauchen in der Presse Artikel auf, in denen von enttäuschten Erwartungen die Rede ist. Zudem halten sich Anwender merklich zurück, wenn sie nach den Umsätzen gefragt werden. Denn ganz so einfach, wie viele Anbieter weismachen wollen, scheint dieses Terrain nicht zu sein. Eine intensive Beschäftigung mit den Grundprinzipien des Electronic Commerce muß der Realisierung vorausgehen.

Früher standen sich auf den Märkten Erzeuger und Verbraucher direkt gegenüber, bis sich mit zunehmender Arbeitsteilung Groß- und Einzelhändler zwischen beide Gruppen schoben. Daneben bildeten sich in den letzten Jahrzehnten der Versandhandel sowie Super- und Großmärkte heraus. Der direkte Kontakt zwischen Erzeugern und Verbrauchern ging verloren. Im Zuge des schärferen globalen Wettbewerbs beginnen Handel und Erzeuger, sich wieder stärker auf die Kunden zu konzentrieren.

Parallel dazu hat sich aus der Technologie "Internet" das Phänomen des "elektronischen Marktes", der "Electronic Commerce", entwickelt. Unabhängig davon, ob ein Unternehmen groß oder klein ist, im Internet kann es seine Produkte und Dienstleistungen auf einem globalen Markt anbieten - ungeachtet der Landesgrenzen und Ladenöffnungszeiten. Zu relativ geringen Kosten. Der elektronische Markt gewinnt täglich an Bedeutung: durch neue interessante Anwendungen, durch die steigende Zahl an potentiellen Kunden im Internet und durch die stetig verbesserte technische Infrastruktur. So wurde etwa 1997 in den USA in jeder Minute ein neuer Domain-Name registriert.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Unternehmen, die sehr erfolgreich im Internet handeln. Die Paradebeispiele sind der ABC-Buchladen in Deutschland (siehe Seite 70) oder noch bekannter der Internet-Buchhändler Amazon in USA, Dell und Cisco aus der Computer- und Internet-Branche, Auto-By-Tel im Automobilhandel und viele, viele mehr. Für das Jahr 2000 werden im Internet Verkaufsumsätze von 500 bis 700 Milliarden Dollar prognostiziert.

Zwang zu untypischen Vorgehensweisen

Electronic Commerce am Markt zu lancieren, setzt unter anderem folgende Faktoren voraus:

Die potentiellen Kunden nutzen das Internet als Einkaufsmedium. Umfragen zeigen, daß zwischen 70 und 90 Prozent der Nutzer Männer sind, daß mehr als 70 Prozent Abitur haben und daß mehr als 55 Prozent von ihnen angestellt oder selbständig sind.

Die Produkte müssen sich für den Online-Verkauf eignen. Ob sich ein Produkt eignet, entscheidet der Kunde, indem er kauft oder indem er sich online informiert, um seine Kaufentscheidung zu treffen. Niemand geht wegen eines Pfennigartikels in eine Web-Anwendung. Ganz anders sieht es bei PCs, Büchern oder Flugtickets aus, wie die Verkaufserfolge zeigen. Gut geeignet für den Online-Verkauf sind Produkte, die sich über die Information erschließen oder sogar "veredeln" lassen. Dabei kann es sich um Produktbeschreibungen, Meinungen Dritter, Tips zur Benutzung oder um Erfolgsstories handeln.

Die Web-Site muß das Kaufverhalten des Kunden unterstützen. Ein Negativbeispiel: Wer über den Online-Shop der Lebensmittelkette Kaiser´s ordert, wird zu einer für den täglichen Einkauf untypischen Vorgehensweise gezwungen. Unter dem Stichwort "Milch" wird die Reinigungs"milch" genauso ausgegeben wie die Voll"milch"schokolade.

Die Web-Site muß bekannt sein. Der Web-Auftritt muß in das gesamte Werbe- und Kommunikationskonzept einbezogen sein. Durch Bannerwerbung, Einträge in Suchmaschinen und Links kann zusätzlich auf die Web-Site aufmerksam gemacht werden.

Online-Kunden erwarten Vorteile. Dies kann ein geringerer Preis sein, Sonderpunkte im Bonusprogramm, Zusatzinformationen oder Bequemlichkeit. Fast alle erfolglosen Web-Sites verstoßen gegen den letzten Punkt.

Mit diesem kleinen Regelwerk lassen sich die bekannten Handelsanwendungen im Internet untersuchen.

Versandhandel: Der Schritt vom Versandhandel zum Online-Handel ist nicht sonderlich groß. Folglich sind die klassischen Versandhäuser wie Otto, Neckermann und Quelle mit eigenen Online-Shops zu finden. Leider entpuppen sie sich lediglich als elektronische Ausgaben der Papierkataloge, allerdings mit einem kleineren Sortiment. Einen Restnutzen bilden aktuelle Sonderangebote.

Handelsketten: Karstadt hat sich intensiv mit dem Internet auseinandergesetzt. Als Folge davon entstanden die Shopping Mall "my-world", diverse Kiosk-Systeme und eine Reihe von "Cy- berbrs", in denen Karstadt-Kunden im Internet surfen können. Karstadt soll 65 Millionen Mark in den Internet-Auftritt investiert haben.

Hohe Benutzerzahlen, aber nur wenige Läden

Ansonsten hat man den Eindruck, daß die Handelsketten wie etwa Kaufhof oder Spar mit dem Internet noch nicht viel anzufangen wissen (siehe Seite 64). Die meisten Web-Sites enthalten ein paar Informationen über das Unternehmen, nur ein kleines Warensortiment steht zur Verfügung und schließlich einige Hinweise auf Produkte in den Filialen. Nichts, was lohnte, die Web-Site wieder zu besuchen. Edeka befindet sich seit Monaten im Aufbau, E-Mails werden grundsätzlich nicht beantwortet.

Mall-Betreiber: Die Idee der Mall besteht darin, meist kleineren Unternehmen unter dem Dach eines virtuellen Kaufhauses elektronische Geschäftsräume anzubieten. Der bekannteste Anbieter einer Mall war IBM. Allerdings wurde die Einrichtung nach kurzer Zeit wegen Erfolglosigkeit geschlossen. In Deutschland gibt es noch einige Mall-Anbieter mit zum Teil guten Besucherzahlen. So konnte "Netzmarkt" im März 1998 250 000 Besucher vermelden. Allerdings muß die Frage erlaubt sein, warum bei diesen hohen Besucherzahlen die Zahl der Läden so klein ist? Cybershop, ein weiterer Betreiber, hat ebenfalls nur wenige Läden vermietet und reizt damit nicht zum Einkaufen. Es wird sehr interessant sein zu beobachten, ob die Mall eine Einrichtung des traditionellen Handels bleiben und im elektronischen Markt wieder verschwinden wird.

Produzenten von Waren und Dienstleistungen: Wenn der traditionelle Handel keine überzeugenden Konzepte für ein Agieren im Internet zu finden scheint, müßte der Weg doch frei sein für Erzeuger und Dienstleister, ihre Waren und Dienstleistungen unter Umgehung des Handels direkt an den Kunden zu bringen. Nichts anderes macht die Lufthansa mit ihrem "Info-Flyway". Angelockt durch Sondermeilen, Versteigerungen, Überwachung des Meilenkontos und einem guten Informationskonzept buchen immer mehr Fluggäste ihre Tickets online.

Die Lufthansa spart die Provision an die Reisebüros und steht im direkten Kontakt mit den Kunden. Allerdings sollte die Lufthansa ihre technischen Probleme irgendwann in den Griff bekommen. Auch Reiseveranstalter wie die TUI versuchen über das Internet den direkten Kontakt zum Endkunden aufzubauen und sie über ein gutes Online-Angebot zu binden. Da sich die Zahl der Reisen durch das Online-Angebot nicht steigern läßt, findet zwangsläufig ein Substitutionsprozeß statt. Die Reisebüros könnten die Verlierer in diesem Spiel werden.

Das Paradestück der deutschen Industrie, die Automobilindustrie, steht dem Internet noch ziemlich konzeptionslos gegenüber. Wer glaubt, die Web-Site der Hersteller würden ihn bei der Auswahl eines Neuwagens unterstützen, sieht sich getäuscht. Im Regelfall stößt er auf elektronische Versionen der Hochglanzprospekte. Hinzu kommen technische Unzulänglichkeiten, so daß die Qualität des Dialogs sehr stark vom eingesetzten Browser abhängt.

Eine wichtige Größe in der Automobilindustrie sind die Zulieferer. Jeder weiß, daß sie unter großem Druck der Hersteller stehen. Wieso sie allerdings noch nicht die Gelegenheit genutzt haben, um mit einer guten Web-Anwendung das eigene Ersatzteilgeschäft anzukurbeln, ist unverständlich. Vielleicht hält sie ein warnender Finger der Hersteller ab, die mit Ersatzteilen ein gutes Geschäft machen.

Niemand muß sich sorgen, daß der Einzelhandel durch Electronic Commerce verdrängt wird. Einkaufen ist ein soziales Erlebnis und bietet vielschichtige Eindrücke, an die der schönste multimediale Shop nicht heranreicht. Es bedeutet aber in vielen Situationen auch Mißvergnügen, Streß und Hektik. Dies kann die Bereitschaft erhöhen, online einzukaufen.

Wir alle wissen, wie langsam wir uns von liebgewordenen Verhaltensweisen trennen. Deshalb werden die den traditionellen Einkauf gewohnten Kunden nur langsam die elektronischen Angebote annehmen. Vor den virtuellen Schaufenstern steht aber schon die Gameboy-Generation, deren Verhaltensweisen eng mit dem PC und dem Internet verbunden sind.

Der traditionelle Handel wird Marktanteile verlieren. Wie hoch diese sein werden, hängt von den einzelnen Branchen ab. Kürzlich hat der Chrysler-Vorstand amerikanische Autohändler davor gewarnt, daß sich 50 Prozent der US-Kunden Umfragen zufolge vorstellen können, den nächsten Neuwagen im Internet zu kaufen. Keine rosigen Aussichten für Autohändler. In anderen Branchen sieht es ähnlich aus.

Der elektronische Markt folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Die gilt es zu erkennen und sinnvoll umzusetzen. Der Wandel wird an Tempo zulegen. Neue Technologien werden in immer kürzeren Abständen neue Herausforderungen stellen. Der Kunde wird entscheiden, wie sich der Handel darauf einstellen muß. Die optimierte technische Infrastruktur dürfte Electronic Commerce weiteren Auftrieb geben. Es bleibt abzuwarten, wie Handel und Erzeuger die Chancen aufgreifen. Tut der Handel dies mit der gleichen Geschwindigkeit, wie er seinen Kunden das Zahlungsmittel Kreditkarte angeboten hat, werden vermutlich andere das Rennen machen.

Harald Telorac ist geschäftsführender Gesellschafter der Alphalink - elektronische Kommunikationssysteme GmbH in Berlin-Schönefeld.