Noch boomt der Markt fuer Internet-Server-Software

Die Web-Server entwickeln sich zu Allround-Talenten im Netz

03.05.1996

In der Welt der World-Wide-Web-Server werden die Produkte immer oefter einem Facelifting unterzogen. Kunden sollten sich von dieser Dynamik nicht ins Bockshorn jagen lassen. Erste User- Pflicht bei der Wahl der passenden Software ist die Frage: Welche Funktion benoetigt der Internet-Server im eigenen Unternehmen wirklich? Siehe hierzu Marktuebersicht und "Kaufkriterien fuer Web- Server" auf der naechsten Seite.

Hersteller wie DEC, IBM oder Sun offerieren beispielsweise leistungsstarke Bundles aus Unix-basierter Hardware, die mit bereits vorinstallierter WWW-Software erhaeltlich sind. Meist basiert diese auf Produkten von Netscape. Eine andere Moeglichkeit ist, entsprechende Server-Programme separat zu erwerben. Dabei kann zwischen einer Vielzahl von Anbietern gewaehlt werden, einschliesslich Netscape, wobei das Unternehmen den Anwendern in den Einzelversionen mehr Funktionen bietet als in den OEM-Paketen. Fast alle Hersteller haben wie zum Beispiel die kuerzlich von Cisco uebernommene TGV Software Inc. auch Pakete im Programm, die auf den gaengigsten Betriebssystemen laufen, angefangen bei Netware ueber Windows NT bis hin zu DECs Open VMS.

Die Karten im Markt werden mittlerweile neu gemischt, seit mit Microsoft einer der ganz Grossen mitspielt. Zudem hat die Gates- Company mit dem "Internet Information Server" (IIS) ein Trumpf-As im Aermel: Lizenzierte Windows-NT-User bekommen den Server kostenlos, ein Punkt, der die Konkurrenten ueber kurz oder lang sicherlich zu einem Ueberdenken ihrer Preisstruktur zwingt. Mit Hinweis auf das Kostenargument laesst sich auch leichter ueber einige fehlende Funktionen des IIS hinwegsehen, die die Wettbewerber mit ihren NT-Produkten bieten. Hinzu kommt, dass Microsofts Loesung relativ einfach zu konfigurieren ist.

Manche Produkte erfordern viel Know-how

So gehoert der IIS zu den am leichtesten zu installierenden Produkten, falls der Anwender bereits Grundkenntnisse in Sachen Windows NT besitzt. Im Test war der IIS bereits nach 30 Minuten einsatzbereit. Sollte es aber mit dem NT-Wissen hapern, ist deutlich mehr Zeit einzuplanen. Das gilt aber auch fuer manch anderes Produkt. So verlangen beispielsweise einige auf Novells Netware Loadable Modules (NLMs) basierende Programme vom Anwender die Einbindung von TCP/IP an der Netzkarte des Servers. Dieser Vorgang muss der Installation des Web-Servers vorangehen und setzt den Erfahrungsschatz eines Netzadministrators voraus.

Ausser auf die Benutzerfreundlichkeit legte die CW- Schwesterpublikation "Network World" ein besonderes Augenmerk auf die Zusatzfunktionen der Server-Plattformen, die in eine Kaufentscheidung miteinbezogen werden sollten.

Dank zusaetzlicher Internet-Features wie auf dem Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) basierender E-Mail, Domain Name Services (DNS) oder File Transfer Protocol (FTP) eruebrigt sich unter Umstaenden die Einrichtung weiterer Server. Allerdings ist zu beruecksichtigen, dass eine oder mehrere dieser Ser- ver- Applikationen, die mit der WWW-Implementierung um die verfuegbare Rechenzeit ringen, einen kompletten Server in die Knie zwingen koennen. Sind also moeglichst kurze Reaktionszeiten auf Browser- Anfragen gewuenscht, sollten keine weiteren Prozesse auf dem gleichen Rechner laufen.

In diesem Zusammenhang faellt oft auch der Begriff "Proxy-Server". Doch Vorsicht, nicht alle Hersteller verstehen hierunter dasselbe. Eine Definition von Proxy bezieht sich auf die Faehigkeit eines Web-Servers, in Verbindung mit dem darunterliegenden Betriebssystem Browser-Anfragen transparent weiterzuleiten oder die Arbeitslast auf verschiedene Rechner zu verteilen. Glaubt man den Anbietern, kann mit einer solchen Architektur, wenn die Feinabstimmung stimmt, ein sehr leistungsfaehiges Multiprozessor- Web-Server-Cluster aufgebaut werden. Ebenso ist damit ein Cluster aus Web-Servern realisierbar, die so zusammenarbeiten, dass sie sich dem Anwender als eine logische Einheit praesentieren. Eine andere, weniger gebraeuchliche Erklaerung definiert Proxy als die Moeglichkeit, auf einem Server mehrere WWW-Angebote mit unterschiedlichen Internet-Protocol-(IP)-Adressen zu plazieren.

Die IP-Nummer dient dabei zur Identifikation der Sites und wird in die entprechenden Domain-Namen uebertragen. Waehrend einige Anbieter den Proxy-Begriff also dazu verwenden, die Unterstuetzung von mehreren IP-Adressen beziehungsweise Domain-Namen zu beschreiben, haben andere hierfuer neue Wortschoepfungen erfunden. Microsoft spricht beispielsweise vom "Virtual Web Server".

Vor einer Kaufentscheidung sollte das Augenmerk auch auf die Sicherheitsfunktionen der Server gelegt werden. Zur Zeit gehoeren die konkurrierenden Sicherheitsmechanismen "Secure HTTP" (SHTTP) und "Secure Sockets Layer" (SSL) zu den gaengigsten Verfahren bei Web-Browsern und -Servern. Aufgrund der weiten Verbreitung des Netscape-Browsers sowie der Tatsache, dass viele Bundles derzeit die Server-Software von Netscape enthalten, dominiert momentan SSL die Szene, unabhaengig davon, welches der Verfahren nun mehr Sicherheit bietet.

Allgemein gesagt werden Protokolle wie SHTTP oder SSL zu User- Identifikation, Datenschutz, Verschluesselung und Transaktionssicherheit verwendet. Dabei entscheiden Browser und Server gemeinsam ueber die Verwendung dieser Mechanismen. Unterstuetzen die beiden also unterschiedliche Standards, erfolgt in der Regel eine ungesicherte Kommunikation. Auch wenn derzeit SSL einen Vorsprung hat, ist das Rennen noch nicht gelaufen, denn woechentlich werden den Internet-Standardisierungsgremien neue Sicherheitsentwuerfe vorgelegt. Deshalb duerfte es auch noch eine Weile dauern, bis eine endgueltige Spezifikation fuer die Zukunft gefunden ist.

Der Markt ist bereits gesaettigt

Ebenso unklar ist, wie sich der Markt der WWW-Server in Zukunft weiterentwickelt. Zumindest in einem sind sich die Analysten jedoch einig: Eine Verdoppelung des Produktangebots wie im letzten Jahr wird es wohl nicht mehr geben. Vielmehr sehen zahlreiche Branchenkenner bereits eine Marktsaettigung erreicht. Darueber hinaus duerfte der von Microsoft angezettelte Preiskampf gerade unter den kleineren Anbietern etliche Opfer fordern. Daraus zu schliessen, dass eine Kaufentscheidung kuenftig leichter faellt, waere jedoch ein Trugschluss. Denn der Trend, die Produkte mit immer mehr Funktionen auszustatten, wird wohl weiter anhalten.