Internet World: Werben um das Vertrauen der Surfer

Die Web-Branche entdeckt Standards und Moral

16.10.1998

Die Technologie ist gereift - nun wird es Zeit, daß Nutzer und Hersteller ebenfalls erwachsen werden. So könnte man den Leitfaden der wohl größten Messe der Internet-Industrie charakterisieren. Weder E-Commerce noch Communities oder andere technische Zauberwörter beherrschten das vom 6. bis 10. Oktober 1998 stattfindende Treffen im Javits Convention Center am Hudson River. Vielmehr nutzten Hersteller und unabhängige Organisationen die Ausstellung als Plattform, um die Mitspieler im World Wide Web zur Ordnung zu rufen. Es war die Stunde der ".orgs".

Dabei dürfte der "Privacy Partnership Initiative" die weitaus größte Aufmerksamkeit zuteil werden. Ins Leben gerufen wurde die Initiative von Trust-e, einer Organisation, die sich vorgenommen hat, das Vertrauen der User ins Internet durch strenge Richtlinien zum Schutz der Privatsphäre und für Datensicherheit zu stärken. Jeder Nutzer habe das Recht zu wissen, welche persönlichen Informationen über ihn gesammelt werden und was damit geschieht, so die Trust-e-Direktorin Susan Scott. Hilfsmittel ist ein Siegel, das alle Web-Site-Betreiber erhalten, die dem Anforderungskatalog entsprechen. Die Organisation fordert unter anderem die Implementierung einer Privacy-Policy, die unmißverständliche Information aller Surfer über die Praktiken des Site-Betreibers, die Kontrolle über die eigenen Daten und sichere Übertragung. Trust-e-Chefin Scott ist es gelungen, America Online (AOL), Excite, Infoseek, Lycos, Microsoft, Netscape, Snap und Yahoo an einen Tisch zu bringen, um den eigenen Bemühungen einen kräftigen Schub zu verleihen.

Die Gründungsmitglieder der Partnership Initiative erreichen nach den Berechnungen des Marktforschungsunternehmens Media Metrix zusammen mehr als 85 Prozent aller Internet-Nutzer in den USA - weltweit dürften es nicht viel weniger sein. Basis der Übereinkunft ist eine Banner-Kampagne im Wert von über drei Millionen Dollar. Alle Mitglieder verpflichten sich, das Logo der Kampagne sowohl auf der eigenen Homepage zu plazieren als auch durch Werbeeinblendungen bekanntzumachen. Durch Anklicken des Logos gelangen Besucher auf eine Web-Site, die ausführlich über die Notwendigkeit klarer Datenschutz-Spielregeln im Web aufklärt. Auf diese Weise soll das Bewußtsein der Verbraucher für den Umgang mit persönlichen Daten im Internet geschärft werden. Ferner will man so zeigen, daß die Anbieter sich bemühen, den Bedenken vieler Surfer Rechnung zu tragen.

Wie jüngste Umfragen gezeigt haben, ist die Unsicherheit zahlreicher Verbraucher über die Wahrung ihrer Privatsphäre im Web eines der Haupthindernisse für das weitere Wachstum des elektronischen Handels.

Auf Anfrage wollte Trust-e-Direktorin Scott allerdings nicht ausschließen, daß auch der verschärfte Druck von seiten des amerikanischen Gesetzgebers dazu beigetragen hat, die Unternehmen Netscape, Microsoft, IBM, Geo-Cities sowie E-Bay an einen Tisch zu bekommen (siehe www. truste.org/partners). Die US-Regierung sieht nämlich Handlungsbedarf zugunsten eines gesetzlichen verordneten Schutzes der Privatsphäre, da auf vielen Web-Sites personenbezogene Daten gesammelt werden. Im Juni erklärte die US-Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC), daß die meisten kommerziellen Web-Sites Informationen sammeln,ohne die User darüber in Kenntnis zu setzen, was damit geschieht. Die FTC hat bereits eine Gesetzesvorlage für einen besseren Schutz dieser Daten dem Repräsentantenhaus vorgelegt. Mit allen Mitteln versucht die Internet-Industrie, einer staatlichen Regelung entgegenzuwirken, und gründete die Online Privacy Alliance (OPA). Ziel der Allianz ist eine Art freiwillige Selbstkontrolle.

Neben Trust-e vergeben seit diesem Sommer auch das American Institute of Certified Public Accountants und das Canadian Institute of Chartered Accountants - sozusagen die Standesorganisationen der Buchhalter - ein Web-Siegel. "CPA Web-Trust" steht für die Offenlegung der Online-Geschäftspraktiken, sichere Transaktionen sowie Datenintegrität (mehr unter http://www.cpawebtrust.org).

Auch die Werbeindustrie wollte nicht abseits stehen und gab auf der Internet World die Gründung eines Internet Direct Marketing Bureau (www.idmb.org) bekannt. Die Organisatoren möchten Web-Nutzer über die Notwendigkeit von Web-Werbung informieren und um Vertrauen werben. Das Büro soll sich zudem um die Entwicklung von Standards für interaktives Online-Marketing kümmern. Standards waren auch für die Centraal Corp. (www. realnames.com), Anbieter eines alternati- ven Internet-Adreßsystems, der Grund, in New York ein "Technology Advisory Board" ins Leben zu rufen. Ziel ist die Entwicklung von benutzerfreundlichen Netznamen, die sich Surfer leicht merken können (Human Friendly Identifiers). Die üblichen Internet-Adreßverfahren wie Domain-Namen und URLs seien für Rechner gemacht und ließen die menschlichen Gewohnheiten außer acht, so Keith Teare, CEO von Centraal. Jeder Mensch identifiziere beispielsweise ein Unternehmen anhand einer Kurzform seines gesamten Namens (Coke oder Coca-Cola). Das Advisory Board soll nun nach neuen Wegen in der Web-Adressierung suchen - natürlich auf Basis der Centraal-Technik.

Nicht ganz uneigennützig dürfte die Gründung einer "Web Host Guild" durch Concentric Network, Hiway Technologies, Sage Networks, Sumo, Web 2010, Worldwide Internet und Net Mechanic sein. Die "glorreichen Sieben" haben einen Kriterienkatalog entwickelt, nach dem sie ein Prüfsiegel für Anbieter von Web-Hosting vergeben. Damit wollen sie sicherstellen, daß Unternehmen künftig nur die Servicequalität versprechen, die sie auch halten können. Verläßlichkeit, Support und Geschwindigkeit hat sich die Gilde auf die Fahnen geschrieben (www.whg.org).

In der Partnerschaftsflut ist eine der wirklich wichtigen Ankündigungen beinahe untergegangen. Die Open Group (www.opengroup.org) und das Web Standards Project (WSP, www. webstandards.org) kündigten in New York eine Reihe gemeinsamer Aktivitäten zur Wahrung offener, allgemeingültiger Standards für die Gestaltung von Web-Seiten an. Darunter fällt die öffentliche Bereitstellung einer Testsuite, um die Kompatibilität von Web-Browsern mit der HTML-3.2-Spezifikation festzustellen (siehe Seite 33). Beide Organsationen wollen außerdem gemeinsam Tests für die 4.0-Version von HTML entwickeln und die Prüfverfahren des World Wide Web Consortium (W3C) für Cascading Style Sheets verschärfen.

EU-weite Regelung

Große Aufregung herrschte auf der Internet World in New York, als Einzelheiten über eine Direktive der Europäischen Kommission über den Schutz der Privatsphäre im Internet bekannt wurden. Mit der Vorschrift, die am 24. Oktober in Kraft tritt, will die EU eine europaweit einheitliche Regelung einführen. Ferner dürfen laut Gesetz Informationen von Privatpersonen nur in solche Länder außerhalb des Staatengemeinschaft gelangen, in denen ähnliche rechtliche Standards gelten. Dies beträfe auch den Datentransfer zwischen europäischen Niederlassungen von US-Firmen und deren Mutterhäusern. Da es in den USA noch keine vergleichbaren Gesetze gibt, sind Schwierigkeiten absehbar. Nach Ansicht des amerikanischen Rechtsprofessors Peter Swire könnte dies bedeuten, daß ein solches Unternehmen, bevor es Datenbankinhalte in die USA schickt, jede Person, über die Informationen gespeichert wurde, um deren Erlaubnis fragt. Nach Ansicht von Swire werden die EU und Amerika Regelungen treffen, die diese Verfahren vereinfachen.