Die Vorzüge der sanften Migration

14.11.2006
Von Frank-Thomas Drews
Eine radikale Umstellung ganzer Systeme auf Linux ist den meisten IT-Entscheidern zu gewagt. Viele Anwender ziehen stattdessen einen planvollen schrittweisen Übergang vor.

Schon im Ansatz unterscheidet sich eine sanfte von der "Big-Bang"-Migration, der gleichzeitigen und vollständigen Umstellung von Systemen und Workflows. Die sanfte Migration verfolgt das strikte Prinzip der Modularität, gekoppelt mit dem Ansatz der zeitlichen Streckung und der Methode der bruchlosen Übergänge. Anders als der Begriff sanfte Migration suggeriert, handelt es sich dabei nicht um etwas Weiches oder Undefiniertes, sondern um ein klar strukturiertes und definiertes Konzept. Eine sanfte Migration erfordert eine eindeutige Gesamtkonzeption, welche das Ziel und die nötigen Teilschritte festlegt.

Hier lesen Sie ...

  • wie sich eine Umstellung auf Linux in kleinen, statt radikalen Schritten machen lässt;

  • welche Herangehensweise dabei erforderlich ist;

  • was die Vorteile einer sanften Migration sind.

Oft geht auf Umwegen, was direkt nicht zu erreichen ist.
Oft geht auf Umwegen, was direkt nicht zu erreichen ist.
Foto:

Grundlage für diesen Ansatz ist die Aufteilung der Migration in Module. Diese sind organisatorisch, zeitlich oder technisch abgrenzbare Einheiten. Module haben bestimmte Eigenschaften, beispielsweise bezüglich ihrer finanziellen Machbarkeit, ihrer zeitlichen, räumlichen oder organisatorischen Aspekte sowie ihrer Schnittstellen zu den übrigen Modulen. Sie sind dem Baukastenprinzip entsprechend kombinierbar.

Module greifen ineinander

Dies bedeutet aber auch, dass Schnittstellen zu anderen Modulen klar erkannt und definiert sowie die Voraussetzungen für ihre Umsetzung erfüllt sein müssen. Außerdem ist zu beachten, dass manche Module davon abhängig sind, dass vorher bestimmte andere eingeführt wurden. Typische Module sind zum Beispiel der Web-Browser, die Office-Suite, das Kalendersystem oder auch das Betriebssystem. Ein Modul kann aber auch Trainingseinheiten oder die Umstellung von Workflows zum Inhalt haben.

Die Modularisierung der Migration ermöglicht ein weiteres Erfolgsprinzip: die sanften Übergänge. Diese Vorgehensmaxime besagt, dass grundsätzlich nach Möglichkeiten gesucht wird, Open-Source-Software fließend in die IT-Struktur zu integrieren. Große Brüche in der Produktivität werden vermieden, indem Vertrautes und Neues kooperieren. Ein bekanntes Beispiel ist die Einführung von OpenOffice auf Windows-Desktops: Weil das Büropaket in der gleichen Version auch für den Linux-Desktop zur Verfügung steht, sind den Benutzern bei einer späteren Umstellung auf das quelloffene Betriebssystem wesentliche Funktionen bereits bekannt.

Der Ansatz von Modularisierung und sanften Übergängen ermöglicht ein weiteres Prinzip der sanften Migration: die zeitliche Streckung. In der Praxis bedeutet dies, Open-Source-Software initial überall dort zu platzieren, wo bereits kurzfristig ein Vorteil erreichbar ist. Module, die sich mit vertretbarem Aufwand umsetzen lassen oder für deren Umsetzung zwingende Gründe bestehen, stehen auf der Zeitachse vorn. Module, deren Umsetzung auf größere Schwierigkeiten stoßen wird, weil zum Beispiel für bestimmte Fachverfahren noch keine Schnittstellen existieren, sind später dran.

Große und kleine Siege

Dieser Ansatz birgt mehrere Vorteile: Einerseits lassen sich auf diese Weise relativ kurzfristig Erfolge erzielen: Verbesserungen werden auf Benutzerseite spürbar und Einsparungen möglich. Solche Effekte sind ein wichtiger Treibstoff für Migrationen. Es gibt immer wieder quasi Etappensiege. Dies ist nicht unbedeutend angesichts der scharfen Beobachtung, unter der Migrationsprojekte stehen. Die erfolgreiche Umsetzung von Modulen macht Teilerfolge sicht- und kommunizierbar.

Dieser psychologisch wichtige Effekt der Sichtbarkeit von Erfolgen kann den Gesamtverlauf einer Migration beeinflussen: Schwierigkeiten werden auf eine einzelnes Modul zurückgeführt und nicht als Anzeichen für ein Scheitern des Gesamtprojektes interpretiert. Außerdem gewinnt man Zeit, um in Kooperation mit anderen Unternehmen oder Behörden Probleme anzugehen, Hersteller von Fachverfahren zur Portierung ihrer Software zu bewegen oder gar alternative Lösungen zu finden.

Die zeitliche Streckung bringt dabei oft die angenehme Möglichkeit, schon vorher von Neuerungen anderer (externer) Projekte zu profitieren, die ansonsten noch nicht in den Zeitplan der Migration gepasst hätten. Außerdem dient die zeitliche Streckung der Umstellung als Mittel, den Migrationsdruck abzumildern und kritische Punkte zu entzerren. Auch die technische Umsetzung profitiert von diesem Ansatz: Die Teilschritte sind eher berechen- und überschaubar, sie lassen sich besser koordinieren und umsetzen.