Noch längst keine Selbstverständlichkeit

Die Verwaltung des Lagers wird DV-Systemen überlassen

29.11.1991

*Claus Arndt, Dipl.-Mathematiker, ist Berater für Anwendungssoftware bei der Münchner Geschäftsstelle der Software AG.

Viele Unternehmen träumen von der computergestützten Fertigung. Doch die Realität sieht anders aus. Häufig sind noch nicht einmal die ersten Komponenten einer solchen CIM-Umgebung geschaffen. Als sinnvollen Ansatzpunkt für die Einführung einer solchen Technologie schlägt Claus Arndt* den Bereich Lagerverwaltung vor.

In den vergangenen 20 Jahren haben sich viele Unternehmen, die einst mittelständischen Charakter aufwiesen, zu Großunternehmen entwickelt. Die herkömmlichen Lagerhallen drohten aus allen Nähten zu platzen. Gerade in Ballungszentren wie München, Stuttgart oder Frankfurt wurde das Problem der Kapazität immer dringender.

Für viele Firmen bedeutet Just-in-time-Produktion nicht sofortige Verfügbarkeit der Ware eines Lieferanten, sondern kurzfristige Bereitstellung der Ware aus dem eigenen Lager. Flexible und innovative Arbeitsweisen sind gefragt, Lagerflächen, aber sehr teuer. Daraus entstand die Idee von Hochregallagern (HRL).

Die Rororo Computer Enzyklopädie definiert diese als "eine in der modernen Wirtschaft verwendete Form des Lagers, dessen Einrichtungen hochgradig mechanisiert sind, so daß das Einlagern und Auslagern der Materialien oder Waren vollautomatisch durch Fördereinrichtungen erfolgt, die ihrerseits durch Rechner gesteuert werden".

Oft werden veraltete Methoden eingesetzt

Solche Lager werden unter anderem in der Automobil-, der chemischen, der papierverarbeitenden oder in der Getränkeindustrie eingesetzt. Neben den Hochregallagern, in denen die Ware auf Paletten gelagert wird, gibt es aber auch die Kleinteilelager (KTL). Dort werden die Gegenstände auf sogenannten Tablaren bereitgestellt.

Zahlreiche Unternehmen verwalten ihre Produktionsteile mit veralteten Methoden. Diese stellen zudem oft Insellösungen innerhalb eines Konzerns dar. So liegen der Lageranwendung manchmal mehrere kleine veraltete Rechner zugrunde, die als Subsysteme autonom arbeiten und keinen Datenaustausch mit einem zentralen Rechner führen.

In vielen Fällen existiert überhaupt keine datentechnische Unterstützung. So werden heute noch Paletten nicht computergestützt mit Regalförderzeugen (RFZ) ein- und ausgelagert. Den Zielort bestimmt der Bediener und nur er weiß - vorausgesetzt er pflegt seinen Karteikastensystem gewissenhaft -, wo welche Waren gelagert sind.

Nachteile dieser häufig vorzufindenden Ist-Zustände sind:

- fehlende Wartung alter Systeme,

- zeitaufwendige Lagerabläufe,

- mangelhaftes Informationssystem,

- veraltete Datenverwaltung,

- überholte Ansteuerung der Fördermittel und

- hoher Personalaufwand wegen fehlender Optimierungen.

Gerade im Bereich der vollautomatisierten Lagerverwaltung hat im Laufe der letzten zehn Jahre ein gewaltiger Wandel stattgefunden. Früher mußten aufgrund fehlender oder unzureichender Datenbanksysteme ausgefeilte Dateiverwaltungen realisiert werden. Die Dialogprogramme enthielten daher Unmengen von Programmiercodes. Ihre Erstellung verlangte analytische Gehirnakrobatik.

Durch die Netzwerktechnologie haben sich die Schnittstellen zu Subsystemen und anderen Rechnern grundlegend geändert. CASE-Tools veranschaulichen die Komplexität. In den letzten Jahren eroberten sich die Rechner von Digital Equipment (DEC) und auch Hewlett-Packard (HP) als Real-time-Rechner die Vormachtstellung im Automatisierungsbereich, während die Rechner von IBM und Siemens-Nixdorf vorwiegend im kaufmännischen Bereich eingesetzt werden.

Unabdingbar für Lageranwendungen ist Multitasking. Damit erklärt sich auch der Einsatz von DEC-Rechnern unter VMS als Lagerverwaltungsrechner. Folglich müssen Treiberprogramme geschrieben werden, die das Mailbox- und das asynchrone I/O-Handling realisieren. Dieser Datenaustausch zwischen Programmen, die gleichzeitig arbeiten, stellt eine der Säulen für Lageranwendungen dar.

Beispielsweise wird die Erfassung der Artikel beim Wareneingang von Identifikationsprogrammen umgesetzt und von diesen dem Einlagerungs- sowie dem Transportmittel-Programm mitgeteilt. Die erste Anwendung führt die Suche nach einem freien Fach und dessen Reservierung durch, die Fördermittel-Software teilt dann der Steuerung (Fördermittel oder fahrerloses Transportsystem) den Fahrauftrag mit.

Die zweite Säule einer Software für Lagerverwaltungsrechner ist die relationale Datenbank. Der Rechner vergibt chaotisch einen Lagerplatz. Jetzt kennt nur noch das System den Lagerort. Erfahrene Lageristen halten das für den zentralen Unsicherheitsfaktor bei computergesteuerten Systemen. Diese Angst ist unbegründet. Datenbanksysteme wie Adabas, Oracle und Ingres haben in einer Vielzahl von Lagerapplikationen ihre Zuverlässigkeit bewiesen.

Als dritte Säule ist die Darstellung der Lagerverwaltung auf dem Bildschirm zu nennen. Das Transportmittel-Programm liefert auf Wunsch dauernd Mitteilungen über den Standort einer Palette zum Bildschirm. Diese Auskunftsprogramme müssen sehr schnell arbeiten. Deshalb besteht hier Bedarf für den Einsatz von 4GL-Sprachen, die oft eng mit einer Datenbank gekoppelt sind und damit sehr schnell Informationen liefern.

Bis vor wenigen Jahren war ein Zugriff auf Systemroutinen (Treiberprogramme) mit 4GL-Werkzeugen wegen aufwendiger Triggermechanismen und schlechter Wartbarkeit noch problematisch. Daher kam die Schnelligkeit solcher Systeme nicht zum Tragen, Komfortable Programmierung und Übersichtlichkeit reichten nicht, um 4GL-Werkzeuge im Markt durchzusetzten.

Doch inzwischen hat sich viel geändert. So unterstützen Pakete wie Natural und Oracle-Forms den Aufruf von Routinen, die in den herkömmlichen Programmiersprachen geschrieben wurden. Erst dadurch läßt sich das I/O-Handling effektiv realisieren.

Komponenten eines Lagerverwaltungssystems

Ein Lagerverwaltungssystem besteht nicht nur aus Verwaltung, in der es vor allem darum geht, bestimmte Gegenstände wiederzufinden, sondern setzt sich aus mehreren selbständigen Komponenten zusammen, die miteinander kommunizieren. Folgende Grundfunktionen gehören ebenfalls dazu:

- Wareneingang und Warenerfassung: Oft findet ein Abgleich mit dem Host-System statt, das aufgrund des Bestellwesens die Ware erwartet. Bereits am Wareneingang wird ein Freiplatz im Hochregal- oder Kleinteillager gesucht und reserviert. Meistens müssen bestimmte Lagerungsstrategien eingehalten werden. Zum Beispiel dürfen Paletten mit schweren oder flüssigen Materialien nicht auf den oberen Ebenen eingelagert werden.

- Transport: Beim Wareneingang wird das Produkt auf Paletten oder Tablare gesetzt und von dort auf die Transportmittel befördert. Dabei durchlaufen die Paletten Kontrollpunkte, die durch Infrarotstrahlen die Abmessungen ermitteln. War die Warenerfassung durch die Software am sogenannten Identifikationspunkt erfolgreich, wird das Produkt bis ins Hochregallager vollautomatisch befördert. Sind die Paletten unvollständig beladen, werden sie erst gar nicht weitertransportiert, sondern aussortiert.

Der Transport kann einerseits per Fließband oder durch ein fahrerloses Transportsystem erfolgen. Sobald die Ware durch einen Regalförder-Automaten in seinem Fach abgestellt wurde, erhält die Mailbox des Lagerprogrammes eine Meldung. Dieses führt dann unabhängig von anderen Programmen die Änderung des Status in der Datenbank aus.

- Subsysteme: Fließbänder, fahrerlose Transportsysteme, Barcodeleser, Waagen und nicht zuletzt die Regalförder-Automaten gehören zu den Subsystemen, die von dem Lagerrechner angesteuert und verwaltet werden.

Oftmals muß als Zwischenebene eine kleinere Recheneinheit eingesetzt werden, auf welcher zum Beispiel der "Handshake"-Betrieb zwischen fahrerlosen Transporteinheiten oder der dahinterliegenden Steuerung und dem Rechner realisiert wird.

Darüber - ab der Ebene der Lagerverwaltungs-Computer - liegen sogenannte Leitprogramme, die Fahr- oder Wiegeaufträge weiterleiten beziehungsweise jedesmal vom Subsystem informiert werden, sobald die Palette den vorher zugeordneten Zielpunkt erreicht hat. Der Regalförder-Automat erhält dann die Fachkoordinaten, die anzufahren sind.

Ist ein Fach belegt oder wurde etwas entnommen, erfolgt eine Meldung dieser Lagerbewegung

an den Computer.

- Auslageraufträge und Kommissionierung: Bei reinen Versandlagern muß kommissioniert werden, einmal um Aufträge mengenmäßig zu erfüllen, aber auch, um das Lager effektiv zu nutzen. Eine Palette sollte zu 100 Prozent gefüllt sein. Sonst kann der Fall eintreten, daß kein freies Fach mehr zur Verfügung steht, obwohl das Lager möglicherweise nur zu 50 Prozent gefüllt ist. Mit Hilfe effektiver Datenbanksysteme können Auslageraufträge so sortiert werden, daß die Palettenauswahl nach der LKW-Ladeordnung erfolgt.

- Dialogfunktionen: Seit Aufkommen der 4GL-Sprachen sind Dialogfunktionen ein eigenständiger Komplex. Früher waren diese an die Leitprogramme gekoppelt. So gehören die Bildschirmdialoge "Erfasse Zugang" nicht mehr zum Einlagerprogramm und "Führe Inventur durch" oder "Erstelle Kommission" nicht mehr zum Auslagerprogramm.

Zum Standard von 4GL-Sprachen gehört heute auch die Benützerberechtigung. So ist es dem Lagermeister möglich, den einzelnen Lagerorten bestimmte Bedienerfunktionen zuzuordnen. So kann er etwa dem Lageristen am i-Punkt, der nur für Entnahmen zuständig ist, sämtliche Datenkorrekturfunktionen sperren.

Automatisierung beginnt im Lager

Das erste Hochregallager (HRL), das ein Unternehmen einführt, ist in der Regel ein Versandlager. Kennzeichen eines solchen Lagers sind:

- die Möglichkeit, LKW-gerechte Auslieferaufträge entweder vorn Bediener direkt am Lager-Rechner oder über Netzwerkleitung vom Host aus zu starten,

- Fließbänder, die die Paletten (oder beim Kleinteilelager die Tablare) zu den Zielpunkten transportieren,

- Kommissionierzonen, die eine optimale Ausnutzung des Lagers erlauben,

- umfangreiche Dialogfunktionen und

- Wiegeverfahren zur Unterstützung der Kommissionierung.

Anforderungen an die Software

Eine Software für den Lagerverwaltungsrechner muß so konzipiert sein, daß der Lagerbetrieb fortgeführt werden kann, sollte einmal der koordinierende kommerzielle Rechner ausfallen. Die gesamte Lagerverwaltung, die Ansteuerung der Fördermittel und die Kommunikation zum Host sind typischerweise pro Lager von einem einzigen Rechner auszuführen. Die Einbindung des Rechners in ein Cluster ermöglicht bei dessen Ausfall das Hochfahren eines Ersatzrechners in wenigen Minuten. Die Benutzung von Spiegelplatten garantiert eine fast hundertprozentige Ausfallsicherheit.

Die Aufgaben der einzelnen Rechner müssen vor Einführung einer Lagerverwaltung geklärt sein. Betriebswirtschaftliche Funktionalitäten, wie der Einsatz eines Produktionssteuerungs-Systems (PPS) oder einer Finanzbuchhaltung, gehören zu den Funktionen des Host-Rechners. Jedes PPS-System verfügt über eine eigene Lagerverwaltung.

Das Zusammenspiel beider Systeme ist Bestandteil einer effektiven CIM-Technologie. Auch CAD-Anwendungen sind auf anderen Rechnern zu realisieren. Die gesamte Lagerverwaltung, die Ansteuerung der Fördermittel und die Kommunikation zum Host sind die Grundlage von CIM.