Die Verschmelzung von Anwendungs- und Netz-Server Klassische Netz-Betriebssysteme enden im Kielwasser von MS-DOS

04.03.1994

Noch beherrschen Netzwerk-Betriebssysteme die LAN-Umgebungen der Anwender. Das liegt nach Ansicht von Franz-Joachim Kauffels* einzig an den Maengeln des bis dato dominanten PC-Betriebssystem DOS. Fuer ihn ist es daher ausgemachte Sache, dass es kuenftig keine auf Netzwerkfunktionalitaet spezialisierten Betriebssysteme mehr geben wird.

Zukuenftige moderne Unternehmensnetze muessen eine Vielzahl von Basis- und Anwendungsfunktionen unterstuetzen. Das hat Konsequenzen fuer ihre Verwaltung. Das automatisierte Management von Systemen, eine Forderung, die schon ganz am Anfang der Betriebssystem- Entwicklung stand, veraendert sich mit der zur Verfuegung stehenden Technologie.

Die Aufgaben von Betriebssystemen

Betriebssysteme haben die Aufgabe, aus den Hardware- und Softwareressourcen eine zusammenhaengendende Menge von operativ nutzbaren Objekten zu machen.

Fuer die Benutzung wichtige Aspekte sind dabei:

- eindeutige Bezeichnungen von Objekten,

- Mechanismen fuer den Zugriff auf Objekte und fuer den Schutz vor unberechtigtem Zugriff,

- Aufteilung der Objekte in verschiedene Klassen nach Eigenschaften wie gemeinsamer Benutzung mit Synchronisationsbedingungen oder Haeufigkeit der Benutzung,

- Kontrolle und Reaktion auf Fehler und falsche Nutzungen,

- Erkennung und Vermeidung von Verklemmungen,

- Kommunikation zwischen Objekten,

- flexible Verwaltung von dynamischen Objektmengen,

- Lebensdauer von Objekten sowie

- Zustaende von Objekten.

Im allgemeinen sind Betriebssysteme heute modular aufgebaut. Die Gesamtfunktionalitaet eines Betriebssystems ist ueblicherweise in abgegrenzte Funktionsbereiche gegliedert. Zu diesen gehoeren:

- Zugriffskontrolle,

- Auftragssprachen-Interpreter,

- Dateisystem,

- Kommunikation,

- Speicherverwaltung mit Arbeits-, Hintergrund- und virtuellem Speicher,

- Prozessverwaltung,

- E/A-System,

- Interrupt-System sowie

- Scheduler und Dispatcher

Wir gehen davon aus, dass alle einer verteilten Umgebung zugehoerigen Komponenten eigenstaendige Rechensysteme hinreichender Leistung sind, auf denen gleichermassen benutzer- wie auch systemverwaltungsorientierte Prozesse ablaufen koennen. Dabei ist es relativ gleichgueltig, ob der Benutzer unmittelbar vom PC aus, ueber lokale Terminals (wie ueblicherweise bei mittleren Unix- Systemen) oder im Rahmen der Datenfernverarbeitung auf das System zugreift.

Im Rahmen spezieller Protokollvereinbarungen kann auch das Rechnernetz selbst zum Zugriff auf die Maschine benutzt werden. Das ist etwa der Fall, wenn Leistungen eines Servers in einem PC- Netz mittels eines Netzwerk-Requesters abgerufen werden.

Heutige PC-Netze basieren auf Einplatz-Betriebssystemen wie DOS und Windows sowie Netzwerk-Betriebssystemen wie Netware. Die Vertreter beider Gruppen sind unterschiedlich aufgebaut, und es bedarf zusaetzlicher Software (Requester), damit die Clients ueberhaupt mit den Servern kommunizieren koennen. Die meisten der genannten Anforderungen werden, wenn ueberhaupt, nur von der Server- Software realisiert.

Da moderne Betriebssysteme wie gesagt modular konzipiert sind, ist es moeglich, sie gleichermassen als Client- oder auch als Server- Betriebssysteme zu organisieren. Neben den in der einschlaegigen Literatur immer wieder eroerterten Entwicklungen, meist um das Betriebssystem Unix herum, sind die heute fuer den Markt wichtigsten Betriebssysteme Windows NT von Microsoft und Unixware von Novell.

Windows NT Advanced Server und NT auf einem Client sind nichts weiter als unterschiedliche Modulanordnungen um ein- und dasselbe Basis-Betriebssystem. Windows NT besteht aus einem Systemkern, dem sogenannten Executive, der im privilegierten Modus des Prozessors laeuft, und aus Systemmodulen, den geschuetzten Subsystemen, die im Protected Mode eines Prozessors laufen. Subsysteme im Protected Mode koennen jederzeit wie Anwendungsprogramme gewechselt werden, ohne dass die Sicherheit und Integritaet des Gesamtsystems darunter leidet. Windows NT und seine virtuelle Speicherverwaltung sind schwerpunktmaessig fuer 32-Bit-Systeme gedacht. Der Einsatz in anderen Zielsystemen ist nach Aussagen von Microsoft denkbar, aber zu deutlich hoeheren Kosten.

Ein in Schichten strukturiertes Betriebssystem benoetigt einen schnellen und effektiven Mechanismus zur Kommunikation zwischen seinen inneren Einheiten. Microsoft hat dafuer den nachrichtenorientierten Local Procedure Call ausgewaehlt.

Auch wenn es oft anders dargestellt wird, so laufen doch alle Nachrichten ueber den NT-Kern. Der Executive kann beliebig viele Server unterstuetzen. Sie machen ihm Anwender- und Programmier- Schnittstellen zugaenglich und bilden die Betriebssystem-Umgebung fuer verschiedene Anwendungen.

Unix wurde in der Vergangenheit differenziert eingeschaetzt. In der kommerziellen Datenver- arbeitung hatte es wegen angeb- licher Komplexitaet der Konfiguration und Administration und als taegliche Bedienung eine relativ schlechte Marktdurchdringung.

Zwei Hersteller versuchen heute jedoch, Unix mit verbesserten Eigenschaften und Lauffaehigkeit auf dem 486er im Endbenutzerbereich zu positionieren. So entsteht die Moeglichkeit, von DOS und Windows in hoeherwertige Umgebungen zu migrieren. Sunsoft, Schwesterfirma von Sun Microsystems, setzt die schon seit langem begonnene Reihe wichtiger Entwicklungen mit Solaris fort.

Im folgenden ein Blick auf Unixware. Es ist ein 32-Bit-Client- Server-Betriebssystem fuer 386- und 486-Rechner von Intel. Wesentliche Charakteristika sind eine grafische Oberflaeche nach OSF/Motif oder Open Look, Emulation einer Windows-Umgebung und die integrierten Netware-Funktionen. Unixware unterstuetzt tausende kommerzielle Anwendungen fuer System V, SCO Xenix, SCO Unix und Interactive Unix.

Unixware besitzt eine moderne, kernorientierte Systemarchitektur. Die Oberflaeche des Kerns bilden Systemaufrufe fuer virtuelle Speicherverwaltungssysteme und die Prozessverwaltung. Erstere beruhen ihrerseits auf den in Unix ueblichen unterschiedlichen Dateisystemen. Bei Unixware umfasst dies auch Netware-spezifische Dateisysteme und Kontrollprogramme sowie das Network File System (NFS). Die Dateisysteme ihrerseits koennen durch eine Vielzahl unterschiedlicher, zur PC-Umgebung passender Geraetetreiber unterstuetzt werden.

Der Verkehr im Netz wird mittels der IPX/SPX- oder der TCP/IP- Protokolle realisiert. Unter dem Kern sitzt die Hardware. Die Unix-Systemaufrufe dienen zur Implementierung unterschiedlichster Unix-Dienste wie X-Window, Benutzeroberflaechen, Print-System oder Netzwerk-Utilities. Die kernorientierte Architektur ist durch praktisch beliebige Koppelmoeglichkeiten fuer neue Module bestens fuer die verteilte Datenverarbeitung geeignet und bietet die Grundlage fuer Flexibilitaet und Skalierbarkeit.

Allen Betriebssystemen liegt ein simples Prinzip zugrunde: Das einzige System, das in der Lage ist, einen Computer schnell genug zu verwalten, ist ein Computer. Dies gilt natuerlich auch fuer vernetzte und verteilte Umgebungen. Idealerweise sollte das Betriebssystem ein Programm sein, das die Verwaltung durch Menschen ueberfluessig macht, also das automatisierte Management realisiert.

Dies stand auch noch in den 60er Jahren im Brennpunkt des Interesses. Danach haben Minis, PCs und LANs jeweils eine eigene Generation von spezialisierten Betriebssystemen hervorgebracht. Sie alle unterschieden sich zwar von ihren unmittelbaren Vorgaengern, aber mehr evolutionaer als revolutionaer. Die vergangenen 20 Jahre haben die Betriebssystem-Konstrukteure so sehr mit der Reaktion auf neue Technologie-Entwicklungen beschaeftigt, dass sie ihre eigentliche Mission, das automatische Management von Systemen, vernachlaessigt haben. Dies zeigen auch die vielen Netzwerk-Management-Tools, die es bei einer sinnvoll integrierenden Betriebssystem-Entwicklung gar nicht geben muesste, denn sie alle erfuellen isoliert Funktionen, die eigentlich die Betriebssysteme der vernetzten Umgebung wahrnehmen muessten.

Die Betriebssysteme des Jahres 2000 werden viele der Verfeinerungen beinhalten, die heute entwickelt werden. Insbesondere wird die Systemverwaltung mit wesentlich weniger manueller Intervention verlangt, obwohl (und weil) die Anforderungen immer weiter steigen. Die kommenden Systeme koennen sehr grosse, leistungsstarke Netze mit heterogenen Knoten umfassen. Sie werden einen weiten Bereich von Diensten abdecken und aeusserst unterschiedliche Anwendungen unterstuetzen.

Netz-Features sind eine Selbstverstaendlichkeit

Betriebssysteme muessen sich unter solchen Umstaenden mit Betriebssystem- und Netzwerkfehlern befassen, temporaere Verbindungen zu Laptops aufbauen, sowie den Datenaustausch mit Tausenden von Systemen ueber nationale Grenzen hinweg und mit unterschiedlichen Protokollen ermoeglichen. Das Management dieser Systeme muss sich mit Problemidentifikation und Wiederaufsetzen nach Stoerungen, Fehlern in grossem Massstab sowie Sicherheitsproblemen befassen.

Die derzeit verfuegbaren Betriebssysteme werden weiterentwickelt und den veraenderten Anforderungen der Benutzer sowie den neuen Moeglichkeiten der Hardwarekomponenten angepasst. Netzwerk- Betriebssysteme wie Netware, LAN Manager oder LAN Server sind eigentlich nur aufgrund gravierendster Unzulaenglichkeiten der laecherlichen, Betriebssystem genannten PC-Treibersammlung namens DOS entstanden, die alleine die Vernetzung nicht ermoeglicht haette.

Mit DOS werden sie im Rahmen einer sanften Migration einen wuerdigen Platz in der DV- Geschichte einnehmen. Ihre Weiterentwicklung ist durch die wesentlichen Verbesserungen auf den Client-Rechnern nicht mehr notwendig. Dies wissen auch Novell, Microsoft und IBM. Nur modulare General-purpose- und kernbasierte Betriebssysteme koennen mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt halten und die Entwicklungskosten begrenzen.

Daneben tritt in zunehmendem Masse die verteilte Verarbeitung mit verteilten Betriebssystemen in den Vordergrund. Ausserdem sinkt mit steigender Leistung der Benutzerendsysteme die Notwendigkeit sturer Client-Server-Modelle, und die jetzt mit Personal Netware oder Windows for Work-groups begonnene Peer-to-peer-Verarbeitung wird einen immer breiteren Raum einnehmen, falls dies fuer die jeweilige Anwendung zweckmaessig ist.

* Franz Joachim Kauffels ist Unternehmensberater und freier Autor in Euskirchen