Warum in Deutschland eine sich anbietende Infrastruktur für den Internet-Access brachliegt

Die Telekom sitzt ihr Kabelproblem aus

28.02.2003
MÜNCHEN (CW) - Ging es um die Zukunft des deutschen Fernsehkabels, sprachen Visionäre noch vor kurzem euphorisch von einer Art UMTS unter der Erde. Doch nachdem sich die Deutsche Telekom nun auch von Restbeständen ihres Kabelnetzes getrennt hat, ist allenthalben Ernüchterung eingekehrt. Die Aufrüstung der Leitungen zum oft propagierten Multimedia-Highway gibt wirtschaftlich kaum mehr Sinn.

Die Erwartungen an das Fernsehkabel der Telekom sind, besser gesagt, waren hoch: Es sollte digitales TV übertragen, als schneller Internet-Zugang dienen und zudem auch noch das Telefonieren ermöglichen. So in etwa las sich das Szenario in den Blaupausen des Regulierers, vieler Marktbeobachter sowie interessierter Investoren. Doch Stand heute ist das Kabel nur eines: technisch veraltet und teuer. Firmen, die sich in dem Geschäft engagierten, mussten zum Teil Lehrgeld bezahlen.

Das erste Problem lag in Brüssel

Als 1998 die Brüsseler EU-Kommisssion im Einklang mit der seinerzeit neu etablierten deutschen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) der Telekom auferlegte, sich "in angemessener Frist" von ihrem TV-Kabelnetz zu trennen, war das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Denn was "angemessen" ist, legte der Ex-Monopolist, der - so die Begründung der Kartellwächter - neben seinem Telefonnetz nicht noch über ein zweites flächendeckendes Kommunikationsnetz verfügen sollte, in der Folge nach eigenem Gutdünken aus. Der Grund war klar: Man wollte so lange wie möglich etwaige Konkurrenten ausbremsen, die das Kabelnetz multimediafähig hätten ausbauen und neben Fernsehen auch Internet und Telefonie im Ortsnetz anbieten können.

Nur scheibchenweise und mit großer Verzögerung wurden die in regionale Betreibergesellschaften untergliederten und per se verlustreichen TV-Networks deshalb an den Mann gebracht. Zunächst in Nordrhein-Westfalen, dann in Hessen und Baden-Württemberg. Erst als Analysten und Rating-Agenturen nach dem Ende des Bösrenhypes begannen, die exorbitante Verschuldung des Carriers näher unter die Lupe zu nehmen, präsentierten die Telekom-Verantwortlichen im Juni 2001 den US-amerikanischen Konzern Liberty Media als großen Käufer, der für die verbliebenen sechs Regionalgesellschaften 5,5 Milliarden Euro auf den Tisch legen wollte.

Der für die Telekom seinerzeit äußerst lukrativ anmutende Deal wurde jedoch vom Bundeskartellamt untersagt, weil die Amerikaner in zwei zentralen Punkten genau das Gegenteil dessen vorhatten, was die Berliner Wettbewerbshüter mit der "Zukunft" des deutschen Fersehkabels verbanden: Liberty wollte mit vergleichsweise geringen Investitionen von zunächst rund 700 Millionen Euro das Kabel nur bedingt rückkanalfähig und damit für Internet-Anwendungen tauglich machen. Gleichzeitig hatten die Amerikaner vor, in der deutschen "Kabelszene", die aus mehreren tausenden Kabel- respektive Wohnungsbaugesellschaften sowie Decoder-Lieferanten besteht, durch weitere Übernahmen kräftig aufzuräumen.

Damit ist man beim zweiten grundlegenden Problem: der heillosen Zersplitterung des deutschen TV-Kabelnetzmarktes. Diese geht auf politische Vorgaben der 80er Jahre zurück. Damals wollte man den neu zugelassenen privaten Fernsehsendern angesichts fehlender terrestrischer Frequenzen anderweitig den Weg auf die Bildschirme öffnen. Dabei wurde das deutsche TV-Kabelnetz in unterschiedliche hierarchische Ebenen vom produzierenden Sender über die regionalen Kabelnetze bis hin zur jeweils individuellen Hausverteileranlage untergliedert, um letztlich, wie es heute in Fachkreisen spöttisch heißt, auch den Antennenbauern ein Stück vom Kuchen zu sichern. Konsequenz: Das Telekom-Kabel oder die Infrastruktur der US-amerikanischen Firmengruppe Callahan, mit der sich die Bonner im Jahr 2000 in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg handelseinig geworden waren, endet in vielen Fällen an der jeweiligen Grundstücks- beziehungsweise Hausgrenze. Die berühmte "letzte Meile" zum Kunden gehört somit vielfach Firmen wie Telecolumbus, Bosch, Primacom oder eben tausenden Klein- und Kleinstunternehmen.

Allein die Summen, die ein Investor aufbringen müsste, um eine Marktbereinigung im Sinne einer möglichen Vermarktung von Diensten an Endkunden durchzuführen, sind also exorbitant hoch. Hinzu kommen die Kosten, die für einen Ersatz der größtenteils verlegten alten Kupferkoaxialkabel durch Glasfaser samt der (für Internet-Anwendungen unabdingbaren) Rückkanalfähigkeit anfallen würden. Die Deutsche Bank geht in einer unlängst vorgestellten Studie allein für die Aufrüstung des Kabelnetzes zur so genannten Bidirektionalfähigkeit von neun Milliarden Euro aus.

Zwar sind 22 Millionen und damit gut die Hälfte aller bundesdeutschen Haushalte an das Kabelnetz angeschlossen, aber sie nutzen es immer noch weitgehend zum Empfang von TV- und Rundfunksendungen. Ein bittere Erfahrung, die unter anderem unlängst auch die in Nordrhein-Westfalen tätige Callahan-Tochter Ish machen musste, die das dortige Netz flächendeckend für Digital-TV, schnelles Internet und Telefonie aufrüsten wollte und sich dabei bis zur Zahlungsunfähigkeit überhob. Diesen Fehler wolle man tunlichst vermeiden, hieß es deshalb vor kurzem vielsagend bei der Investorengruppe um die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs, die Ende Januar für knapp 2,2 Milliarden Euro den Deal machte, der Liberty Media versagt wurde.

Neues Monopol bei DSL geschaffen

Wie kümmerlich sich der Anteil kabelnetzbasierender Internet-Anwendungen hierzulande im Weltmaßstab darstellt, machte unlängst auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) deutlich. Danach liegt Deutschland bei der Verbreitung von Kabelmodems gemessen an den führenden Industrienationen an vorletzter Stelle (siehe Grafik).

Deutlich mehr Augenmerk richtet der Bitkom naturgemäß auf eine für Deutschland weitaus erfreulichere Bilanz: Die Verbreitung breitbandiger DSL-Anschlüsse im herkömmlichen Telekom-Festnetz - und die daraus nach Ansicht des IuK-Verbandes entsprechende Perspektive eines mittelfristig boomenden Dienstleistungsmarktes. Doch der damit verbundene faktische Abgesang auf das Fernsehkabel hätte nicht sein müssen. Experten wie dem früheren Bertelsmann-Multimedia-Vorstand Bernd Schiphorst dämmerte es schon vor Jahren, dass ein modernisiertes TV-Kabelnetz nur so lange Marktchancen habe, wie die Telekom "ihr T-DSL-Angebot nicht flächendeckend vermarkten" könne. Doch Stimmen wie diese fanden kein Gehör. So entstand, wie man es heute zynisch formulieren könnte, unter den Augen des Regulierers und der Bundeskartellamtes bei der DSL-Technik ein neues Telekom-Monopol. (gh)

Abb: Kabelmodems je 100 Haushalte

Bei der Verbreitung von Kabelmodems ist Deutschland fast Schlusslicht. Quelle: Bitcom/Eito