Gartner Group hat bereits die Hintergründe analysiert

Die Systemview Ankündigung taugt kaum als Orientierungshilfe

12.07.1991

MÜNCHEN (CW) - Kaum hatte IBM die Software-Partner für das Systemview-Projekt vorgestellt (siehe in dieser Ausgabe Seite 1), bediente die Gartner Group ihre Kunden bereits mit einer Einschätzung. Demnach ist diese Aktion, grob gesagt, vor allem den IBM-Interessen dienlich. Zur Orientierung der Anwender trage die Ankündigung wenig bei.

Eine "Lawine von Marketing FUD" (Fear, Uncertainty and Doubt = Furcht, Unsicherheit und Zweifel) sieht das renommierte Marktbeobachtungs-Unternehmen auf die Branche zurollen - ausgelöst sowohl von den als IBM-Partner anerkannten Software-Unternehmen als auch von denjenigen, die sich gegen eine Mitgliedschaft, in diesem Club entschieden haben. Die Bedeutung des IBM-Announcements liege vor allem darin, daß hier ein "blaues" Etikett geschaffen wurde, das viele Anwender möglicherweise als eine Art Gütesiegel betrachten.

"Bis zu einem gewissen Grad" sei es auch möglich, daß die Systemview-Partner die Entwicklung des Systemmanagement-Konzepts beeinflussen. Da es sich bei den vier Unternehmen um Konkurrenten handelt, äußern sich die Autoren der Gartner-Group-Analyse, Barbara Sannerud und Jeff Schulman, zu diesem Punkt eher skeptisch.

Im Hinblick auf den von IBM immer wieder erhobenen Anspruch, eine offene Architektur zu schaffen, halten die beiden Analysten es zudem für wahrscheinlich, daß die Spezifikationen künftig in der Form offengelegt werden, daß alle Software-Unternehmen gleiche Startbedingungen finden - diejenigen, die zum inneren Systemview-Zirkel gehören, nicht anders als alle anderen. Das sei ganz im Interesse der IBM, weil es zu verhindern helfe, daß irgendein Software-Anbieter den Systemmanagement-Bereich dominieren könnte.

Den Kunden geben die beiden Analysten den Rat, sich nicht von bloßen Versprechungen blenden zu lassen. Die Systemview-Partnerschaft stehe keineswegs stellvertretend für die Fähigkeit des Anbieters, die Spezifikationen der Architektur zu erfüllen. "In Anbetracht der mangelnden Systemview-Substanz und IBMs Unfähigkeit, die Ziele und die Richtung zu beschreiben," sei es ohnehin noch zu früh, eine solche Übereinstimmung einzuschätzen.

Außerdem sage es noch nichts über künftige Produkte aus, wenn ein Anbieter heute behaupte, diese Übereinstimmung bieten zu können.

Die Anwender sollten sich nicht auf ein "Sicherheitsnetz" verlassen, so die US-amerikanischen Marktbeobachter das aus Anbieteraussagen bezüglich der Systemview-Verträglichkeit ihrer Produkte geknüpft ist.

Derzeit nur auf SAA-Plattformen

Den Ansprüchen von Kunden, die "über den blauen Horizont hinausblicken", kann die derzeit nur auf SAA-Plattformen ausgerichtete Systemview-Architektur ohnehin nicht genügen. Die DME-Spezifikationen der OSF, das Polycenter-Konzept von Digital Equipment und "CA 90s" von Computer Associates servieren hier nach Ansicht von Sannerud und Schulman "ein reichhaltigeres Mahl". Vor 1995 sei kaum damit zu rechnen, daß IBM eine integrierte heterogene Lösung anbieten könne.

Aus der Sicht der IBM erfüllt die Partnerschaftsaktion eine Reihe von nützlichen Funktionen. Die beiden Gartner-Group-Mitarbeiter listen vier Ziele auf, die der Branchenprimus mit seinem Announcement verfolge: Zunächst wolle er sich der Unterstützung wichtiger Software-Unternehmen (und deren Kundenbasis) versichern.

Zweitens beabsichtige die IBM, so sich lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen, indem sie Entwicklungskapazitäten binde, die in die Arbeit an einer eigenen Architektur investiert werden könnten. Darüber hinaus würde sie Systemview gern als ein Mittel zur Beschwichtigung ihrer Kunden benutzen, die zum Teil nicht mehr daran glauben, daß das versprochene unternehmensweite System-Management - Stichwort Sysplex- bald Realität werde.

Zum dritten lassen sich über solche Kooperationen die Entwicklungskosten auf Dritte abwälzen. Und last but not least erhält der blaue Riese damit Zugriff nicht nur auf die Manpower, sondern vor allem auf das technische Know-how der Software-Unternehmen. Das ist umso wichtiger, als es sich um ein Gebiet handelt, auf dem die IBM wenig Erfahrung besitzt, da sie es Lange den Third Parties überlassen hat.