Zeiterfassung - eine Computer-Aufgabe?

Die Stempeluhr als Terminal

04.07.1975

Exklusiv für CW Von Herbert F. W. Schramm

MÜNCHEN - Die These "Time is money" ist noch niemals so bestätigt worden wie heute. Von ihr lebt ein Fachzweig, der im letzten Jahrzehnt noch aus zwei Fabriken für Stempeluhren bestand, heute aber bereits eine Spannweite von mehr als einem Dutzend Firmen aufweist. Inzwischen ist das "Geschäft mit der Zeit" keine Domäne der Uhren-Industrie mehr. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, in deutschen Werkhallen die beleg- und lochkarten-orientierte Betriebsdatenerfassung durch Online-Systeme abzulösen, kümmert sich heute wieder ein Teil der Computerbranche um dieses brachliegende Gebiet. Denn im Puzzle-Spiel Menschen, Maschinen und Material im Fertigungsprozeß wirtschaftlicher einzusetzen, steht der Zeitfaktor an der Spitze.

Impuls durch Gleitzeit

Eine Integration der Zeiterfassung in die EDV versucht etwa MBB (Messerschmitt-Bölkow-Blohm) mit den Zeit- und Betriebsdatenerfassungs-Systemen "Bessy" und "Minibessy". Im Bölkow-Betrieb Ottobrunn wurde schon in den Fünfzigerjahren der erste Großversuch mit "gleitender Arbeitszeit" durchgeführt, der dann auch den stärksten Impuls auf die allgemeine Einführung der "Gleitzeit" ausübte.

Gleitzeit ist gegenwärtig das Hauptgeschäft dieser Branche. Mit ihr wurde der Schritt von der Stempeluhr zum komplexen, in wesentlichen Ansätzen bereits dezentralisierten Zeiterfassungs-System zurückgelegt. Die Kontrolluhren versagen hier, weil sie den höheren Arbeitsaufwand in der Datenaufbereitung und -verarbeitung nicht auffangen helfen. In Betrieben mit gleitender Arbeitszeit müssen außer den "Kommt"- und "Geht"-Zeiten auch Soll- und Ist-Zeiten, Differenz- und Restzeiten kontrolliert werden. Weil ein Mitarbeiter nach dem Betreten des Betriebsgeländes nicht unbedingt sofort produktiv tätig werden muß, stecken in der Zeiterfassung am Arbeitsplatz oft hohe Reserven für eine Kostenersparnis. Um Doppel-Zeiterfassungen zu vermeiden, wird häufig eine Vereinigung der Mitarbeiter-Zeiterfassung mit derjenigen aus den Produktionsschritten angestrebt. In allem zeichnet sich ein Planungsgebiet ab, in dem komplexe Beziehungen untersucht werden müssen. Dabei sind individuelle Lösungen zu berücksichtigen. Wahrscheinlich werden zunehmend EDV-Systeme diese Probleme bewältigen müssen.

Personaldaten aus Plastikausweis

Hierfür spricht schon die Tatsache, daß ein großer Teil der Anwender eigene Rechenzentren unterhält. Ansätze dieser Art findet man denn auch bei den meisten neuen Systemen dieses Jahres. So bietet nun etwa Facit ein System an, bei dem die Zeitdaten von bis zu 16 Terminals in einer Zentraleinheit zusammengeführt und auf Bandkassette gespeichert werden. Für beliebig viele Mitarbeiter läßt sich die Zeitregistrier-Einheit des Tonne-Gleitzeit-Systems GE 1000 mit dezentralen Erfassungsstationen verbinden. Isgus hat seinen Gleitzeit-Computer "time-online" mit Floppy Disk-Laufwerken erweitert und kann auf diesen Speichermedien auch auftragsbezogene Betriebszeiten automatisch erfassen.

Mit dem System 256/512 wartet Interflex auf. Auch bei ihm führt ein Computer über zahlreiche Erfassungsstationen Regie; die Kapazität des Plattenspeichers reicht für eine Zeitbuchhaltung bei mehr als 500 Mitarbeitern. Mehrere Anbieter ordnen ihren Systemen Kontroll- und Sicherungsfunktionen für betriebliche Sperrbereiche zu, etwa Facit beim Kollaflex-System oder Benzing beim SIS 800. Sei es in der Zeiterfassung oder Personenkontrolle, stets werden die Personaldaten bei den Systemen durch Plastikausweiskarten eingegeben. Als neueste Möglichkeit bietet Hengstler Ausweisleser für Scheckkarten an. Bei ihnen brauchen die Mitarbeiter keine besonderen Betriebsausweise mehr.

Aufwendige Online-Lösungen

Fast alle Zeiterfassungs-Systeme dienen bislang der Zusammenführung von Daten in eigenen Zentralstationen. Hier werden die Zeitinformationen auf Bandkassetten, Lochstreifen oder anderen Datenträgern erfaßt. Mehrere Systeme lassen sich außerdem mit DFÜ- Einrichtung ausrüsten. Online-Systeme sind in der Betriebsdatenerfassung besonders aufwendig. In der Zeiterfassung an Arbeitsplätzen lohnen sie sich im allgemeinen nur dann, wenn auch die Maschinenstatus- und Material-Daten online erfaßt werden können. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Datenverarbeitung denkbar, die mit den Produktionsabläufen Schritt hält. Sonst läßt man sich in der Auswahl der Betriebsform von der notwendigen Informationshäufigkeit leiten. Dienen die Zeitdaten ausschließlich der Lohn-, Gehalts- und Betriebsabrechnung, so genügt ihre periodische Verarbeitung und kann man es mit der kostensparenden Offline-Erfassung bewenden lassen.

Herbert F. W. Schramm ist freier Fachjournalist.