SBS-Chef Paul Stodden im CW-Gespräch

"Die Situation kann sich abrupt ändern"

09.04.2004
Paul Stodden,Vorsitzender des Bereichsvorstandes bei Siemens Business Services (SBS), erläuterte im Gespräch mit den CW-Redakteuren Joachim Hackmann, Gerhard Holzwart und Christoph Witte die schwierige Situation im deutschen Servicemarkt und den Trend zum Offshoring.

CW: Der Markt ist verunsichert. Kommt der Aufschwung, oder kommt er nicht?

STODDEN: Auf der CeBIT haben wir großes Interesse, insbesondere seitens der öffentlichen Auftraggeber, registriert. Tatsache ist aber, dass der Markt nach einem sehr erfolgreichen vierten Quartal 2003 in den ersten zwei Monaten 2004 mit Problemen zu kämpfen hatte. Das hängt damit zusammen, dass sich das Nachfrageverhalten der Kunden grundlegend geändert hat. Anders als in der Vergangenheit werden wir mit sehr kurzfristigen Trends konfrontiert. Wenn früher die Projekte auf den Weg gebracht waren, und die Konjunkturdaten sich ein wenig veränderten, wurden die Vorhaben wie geplant weitergetrieben. Heute kann sich in solchen Fällen die Situation abrupt ändern. Sobald sich negative Indikatoren zeigen - im Januar und Februar gab es intensive Diskussionen um den Dollar und die Entwicklung in Deutschland -, schlägt sich das sofort auf die Auftragsvergabe nieder. Die Kunden stückeln ihre Vorhaben und vergeben nur noch kleinere Aufträge. Wenn sich die Parameter ändern, halten sie ihre Projekte an. Diese kurzfristigen Änderungen im Entscheidungsverhalten sind für uns neu.

CW: Können Sie unter solchen Umständen überhaupt eine Prognose für das ganze Jahr wagen?

STODDEN: Eigentlich nicht - und das ist für uns ein schwieriges Thema, weil wir in unserem personalintensiven Geschäft darauf angewiesen sind, den Einsatz der Mitarbeiter planen zu können. Dennoch gibt es Anzeichen einer Trendwende, denn in den letzten neun Monaten hat sich der Markt belebt, die Projekte wurden wieder etwas größer, und die Auftragsvergabe ist etwas besser gelaufen. Vor allem im SAP-Bereich entwickeln sich die Geschäfte wieder gut. Unsere SAP-Consultants haben seit vier bis fünf Monaten wieder eine ordentliche Auslastung.

CW: Hat es die Wachstumsdelle vom Januar und Februar in diesem Bereich auch gegeben?

STODDEN: Ja, und das bereitet uns ein wenig Sorge. Die meisten dieser Projekte laufen nur über wenige Monate.

CW: Sie haben es bislang vermeiden können, Entlassungen aussprechen zu müssen. Dafür mussten Sie aber andere Maßnahmen zur Arbeitszeitreduzierung ergreifen. Wie lange ist dieses Modell noch tragfähig?

STODDEN: Teile davon werden wir weiterführen, anderes ist nur kurzfristig anwendbar, insofern brauchen wir in diesem Jahr den Volumenanstieg. Ich habe auch nie gesagt, dass wir definitiv und immer ohne Personalthemen auskommen werden. Das hängt sehr stark vom Volumen- und Konjunkturverlauf ab. Im Moment sind aber keine größeren Restrukturierungsprogramme geplant.

CW: Werden Sie mittelfristig ähnliche Wege wie Produktionsunternehmen gehen, also die eigene Fertigungstiefe reduzieren, um flexibler zu werden?

STODDEN: Das haben wir in der Vergangenheit auch schon gemacht. Es ist immer wichtig, in Märkten mit starren Personalsituationen wie in Deutschland, Italien und Spanien nicht die Möglichkeit zum Atmen zu verlieren. Ansonsten lassen sich die Auslastungsquoten überhaupt nicht mehr kontrollieren. Diese Themen gehen auch immer enger mit Global-Sourcing-Aktivitäten einher.

CW: Ist das für Sie nutzbar?

STODDEN: Wir können heute bereits auf rund 3000 Mitarbeiter in Indien, der Türkei, Südrussland und Kanada zurückgreifen.

CW: Wird sich dieser Trend verstärken?

STODDEN: Wir werden im Servicebereich nicht die Auslagerungsquoten wie im Produktionsbereich erreichen können. Die deutsche Automobilindustrie hat - wenn man den Statistiken glauben darf - eine Fertigungstiefe von nur noch 15 Prozent in Deutschland. Serviceunternehmen erbringen sehr viel mehr Dienste in Kundennähe. Wir brauchen nicht nur Vertriebsmitarbeiter vor Ort, sondern auch Consultants, Projektleiter und Techniker.

CW: Wie viel Wertschöpfung im Ausland halten Sie für machbar?

STODDEN: Das ist kaum zu sagen. Es gibt in der Literatur Grundsatzbetrachtungen, die von einem Verhältnis von 60 zu 40 sprechen, also 60 Prozent der Arbeiten müssen lokal erfolgen, 40 lassen sich in Niedriglohnländer verlagern. Ob sich das bewahrheiten wird, kann ich derzeit nicht abschätzen.

CW: Welche Fertigungstiefe streben Sie an?

STODDEN: Wir haben keine Größenordnung definiert.

CW: Wie ist denn der aktuelle Stand? Wie viel von der Wertschöpfung erbringen Sie in Niedriglohnländern?

STODDEN: Deutlich unter zehn Prozent.

CW: Spüren Sie die Konkurrenz der indischen IT-Dienstleister, die auf den deutschen Markt drängen?

STODDEN: Die indischen Unternehmen haben ein Niveau erreicht, auf dem sie sich nicht mehr mit der Rolle des Sublieferanten zufrieden geben. Sie versuchen derzeit, sich lokale Standbeine in den europäischen Ländern zu verschaffen. Das Besondere und Spannende an den indischen Anbietern ist ja, dass sie so gut wie keinen Heimatmarkt haben und nahezu vollständig vom Export leben. Es ist demnach interessant zu beobachen, ob und wie sie es schaffen, die lokalen Niederlassungen in ihre Abläufe zu integrieren. Wir kennen die Komplexität dieser Aufgabe und fühlen uns daher zurzeit keineswegs bedroht.

CW: Der europäische Servicemarkt ist gekennzeichnet durch einen starken Verdrängungswettbewerb. Aktuelle Beispiele sind die Veräußerungen von Triaton, RAG Informatik und Itellium. Verschieben sich die Kräfteverhältnisse?

STODDEN: Angesichts der Beispiele von einem Verdrängungswettbewerb zu sprechen, halte ich für stark übertrieben, sie sind nur Zeichen eines weiteren Konsolidierungschritts. In den späten 90er Jahren haben viele Unternehmen damit begonnen, ihre IT-Aktivitäten in Tochterfirmen auszugliedern und diese auch im Drittmarkt aufzustellen. Die wenigsten haben damit wirklich Erfolg gehabt. Auch Triaton hatte ein überschaubares Drittmarktgeschäft, so dass ich diese Transaktion im Grenzbereich zwischen Outsourcing und Verkauf ansiedeln würde. Ich kenne eine Reihe von Fällen, in denen Unternehmen über vergleichbare Schritte nachdenken.

CW: Werden Sie sich beteiligen?

STODDEN: Bei Triaton waren wir nicht beteiligt, weil wir relativ früh zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die Überlappung viel zu groß ist. Eine Übernahme hätte unter betriebswirtschaftlichen und strategischen Gesichtspunkten keinen Sinn gegeben. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir uns alle Vorhaben sorgfältig anschauen und möglicherweise in die eine oder andere Angebotsrunde einsteigen werden.

CW: Welche Ziele haben Sie im Auslandsgeschäft?

STODDEN: Wir wollen in den europäischen Ländern entweder die Position fünf oder fünf Prozent Marktanteil erreichen.

CW: In welchen Segmenten sehen Sie das größte Wachstumspotenzial?

STODDEN: Das Thema IT-Konsolidierung wird uns noch eine Weile begleiten. Zunehmend entstehen aber auch innovative Vorhaben, so dass sich das Projektgeschäft wieder beleben wird. Im europäischen Markt wird das Business Process Outsourcing zu einem immer wichtigeren Thema. Die Kunden arbeiten sehr intensiv daran, ihre internen Abläufe zu verbessern und unterstützende Prozesse wie etwa Personalabrechnungen, Einkauf oder Fertigung an externe Dienstleister zu übergeben. Ich gehe außerdem davon aus, dass der derzeitige IT-Outsourcing-Trend anhält.

BPO-Unit vor dem Start

Siemens Business Services wird das Thema Business Process Outsourcing (BPO) künftig stärker betonen. Im COMPUTERWOCHE-Gespräch kündigte Paul Stodden zum 1. Oktober den Start einer eigens darauf ausgerichteten vierten SBS-Geschäftseinheit an. Sie wird sich auf die zwei Bereiche Human Resources, also Personalabrechnungen, Einstellungen, Qualifizierung und Altersvorsorge, sowie Banking-Services im Backoffice konzentrieren.

Im Geschäftsjahr 2003 erzielte SBS rund 47 Prozent der Einnahmen mit Outsourcing-Diensten, 15 Prozent davon entfielen auf BPO-Verträge (etwa 360 Millionen Euro). In Großbritannien betreibt der IT-Dienstleister beispielsweise die komplette Bank für National Savings, die zuvor rund 5000 Mitarbeiter beschäftigte. Derzeit sind nur noch 400 Experten für das Produktdesign, die Strategie und Governance dort angestellt. 4000 Mitarbeiter wechselten zu SBS, davon sind heute noch 2000 für den Dienstleister tätig.

Ausgelagerte Bankprozesse

Die Produkte von National Sa- vings werden zunehmend über Call-Center und Internet vertrieben, beides betreibt SBS. Die Werbung für neue Bankendienste geschieht per Postwurfsendung, den Rücklauf bearbeitet wiederum SBS. Die Münchner verantworten außer dem Schalterbetrieb das Gros der operativen und IT-Tätigkeiten. Im COMPUTERWOCHE-Gespräch räumte Stodden allerdings ein, dass dies ein außergewöhnlich weitreichendes BPO-Abkommen ist.

SBS gewann diesen Auftrag Anfang 1999, damals noch unter der Führung des Stodden-Vorgängers Friedrich Fröschl, gegen die Konkurrenz von EDS. Presseberichten zufolge stach SBS den Wettbewerber beim Preis, der Risikoübernahme und weiteren Schlüsselfunktionen wie etwa Benchmarking und transparenter Buchführung aus. Die Laufzeit wurde auf zehn Jahre festgelegt, das Volumen belief sich auf rund 950 Millionen Euro. Der Deal bescherte SBS in der Folge viele Probleme und hohe Abschreibungen. Die Situation soll sich dem Vernehmen nach inzwischen stabilisiert haben.