SAP-Aufrüstung ist der Outsourcing-Anlaß

Die Sempell AG zieht neuem Rechner die Auslagerung vor

25.09.1992

Werner Schettki-Middrup ist Vertriebsleiter bei der DVO Datenverarbeitungs-Service Oberhausen GmbH.

Die Notwendigkeit, ein neues Release der SAP-Software R/2 einzuführen, hat die Sempell AG in Korschenbroich vor die Alternativen gestellt, das Rechenzentrum aufzurüsten oder auszulagern. Die Entscheidung fiel für das Outsourcing. Welche Vereinbarungen die Partner dabei trafen und wie das noch andauernde Projekt bisher verlief, schildert Werner Schettki-Middrup.

Verfechter des Outsourcing führen als Argument in erster Linie den immer höheren Kostendruck in den Unternehmen an. Obwohl die Hardware einem starken Preisverfall unterliegt, wachsen die Investitionen in Informationstechnik permanent. Schuld an dieser Entwicklung sind die steigenden Softwarepreise, die kontinuierlich zunehmende Belastung durch Wartungs- und Pflegekosten sowie der hohe Personalaufwand. Diese Faktoren belasten die für die Bewertung der Investitionen wichtige Kennzahl des "Return on Investment" (ROI).

Lieferbeziehungen sind optimiert worden

Mit dem Ziel "Konzentration auf das Kerngeschäft" streben Unternehmen die Rückkehr zu ihrem eigentlichen Geschäftsfeld an. Diesen Prozeß haben Fertigungsunternehmen bereits vor einigen Jahren im Produktionsbereich hinter sich gebracht. Die Frage "Make or Buy" wurde unter betriebswirtschaftlichen Aspekten beantwortet. Die entstandenen Lieferbeziehungen sind bis heute so ausgebaut worden, daß eine minuziöse Anlieferung direkt an das Montageband an der Tagesordnung ist. Die Produkte besitzen aufgrund des besonderen Know-how der Zulieferer einen hohen Standard, und die Bevorratung konnte auf ein Minimum zurückgefahren werden.

Daher ist es nur konsequent, auch für den Bereich der Datenverarbeitung unternehmensfreundliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Viele Verantwortliche verbinden aber mit der Vergabe der DV-Versorgung an ein fremdes Unternehmen noch folgende Gefahren:

- Abhängigkeit von einem Externen,

- Verlust des strategischen Instruments DV,

- fehlende Flexibilität bei Verfügbarkeit der Dialoganwendungen,

- notwendige Personalfreisetzungen.

Daß diese Bedenken nicht unbedingt berechtigt sind, zeigt ein entsprechendes Projekt der Sempell AG in Korschenbroich bei Mönchengladbach. Das Unternehmen ist auf die Konstruktion und Herstellung hochwertiger Armaturen spezialisiert, die überall dort verwendet werden, wo hohe Temperaturen und Drucke herrschen. Zum Kundenkreis zählen Kraftwerke und die chemische Industrie.

In den Konstruktions- und Berechnungsabteilungen wird mit Hilfe von CAD und aufwendigen Rechenprogrammen, zum Beispiel der Finite-Elemente-Methode, gearbeitet. Die DV-Entwicklung hat im Hause Sempell immer einen hohen Stellenwert eingenommen. Vor der Umstellung auf das Rechenzentrum des Dienstleisters wurde zentral ein Host-Rechner von Siemens, Modell 7580 I, eingesetzt. Auf der Softwareseite kam als strategisches Produkt R/2 von der SAP AG zur Anwendung.

Im Juli 1991 hat sich Sempell für die Einführung eines neueren R/2-Releases entschieden. Diese Entscheidung war notwendig geworden, da die anspruchsvollen Aufgabenstellungen der Anwender nur mit der verbesserten Funktionalität des Release 4.3 zu erfüllen waren. Die Umstellung wurde von der DV-Abteilung mit Sorgfalt vorbereitet. Dabei kamen aber bereits Zweifel auf, ob die bestehende Hardware den erhöhten Ressourcenbedarf der Software abdecken können würde. Aufgrund der geforderten Funktionalität blieb aber nur der Weg zum neueren Release-Stand.

Nach der Umstellung hatte sich der Ressourcenbedarf nahezu verdoppelt. Die Antwortzeiten im Dialogbetrieb waren unerträglich lang geworden. Selbst bei einfachen Transaktionen gab es Antwortzeiten von fünf und mehr Sekunden. Batch-Läufe konnten während der Dialogzeiten am Tag aus Performance-Gründen nicht mehr abgearbeitet werden. Die Nachtzeiten (Batch-Fenster) waren so kurz, daß sogar an Wochenenden die Maschine durchgehend gefahren werden mußte.

Für die DV-Abteilung war diese Situation besonders frustrierend, da trotz hohen Einsatzes die Anwender immer unzufriedener wurden. Der Vorstand des Unternehmens beauftragte die DV-Abteilung mit der Erarbeitung eines Lösungsvorschlages. Dabei wurden vier Alternativen untersucht: Ersatz der bestehenden Siemens-7580-I-Hardware durch

1. Siemens 7580-S1,

2. Siemens H90-A2,

3. IBM ES/9000-210,

4. Outsourcing.

Da die Anwender kurzfristig auf eine Verbesserung drängten, beurteilten die Verantwortlichen die Alternativen nach den Kriterien Kosten, kurzfristige Realisierbarkeit und Zukunftssicherheit (Siemens versus IBM). Dabei ließen sich die Alternativen 1 bis 3 schnell bewerten, denn hier würde die bestehende Arbeitsweise nicht prinzipiell verändert.

Outsourcing war jedoch für Sempell ein neuartiger Service, der Vorstand und die DV-Abteilung hatten zunächst Schwierigkeiten, diese Dienstleistung einzuschätzen. Die Frage kam auf, ob es zu verantworten sei, eine so wichtige Funktion wie die Datenverarbeitung auszulagern. Die Angst vor Abhängigkeit ging um.

In einer Reihe von Gesprächen wurden zu folgenden Punkten klare Absprachen und Entscheidungen getroffen:

- Telekommunikationskonzept,

- Ablaufplan für die Datenübernahme,

- Sicherheitskonzept.

Die DV-Abteilung führte einen Vergleich mit den drei anderen Alternativen durch, und man entschied sich für das Outsourcing. Mit Hilfe eines gemeinsam ausgearbeiteten Vertrages und durch intensive Gespräche mit dem Anbieter konnten die ursprünglichen Vorbehalte seitens Sempell ausgeräumt werden. Im Vertrag mußten insbesondere solch kritische Punkte wie Verfügbarkeit, Dialogbetrieb am Wochenende oder Antwortzeitengarantie geregelt werden.

Entlassungen standen nicht zur Debatte

Eine Personalfreisetzung beziehungsweise die Übernahme durch den Dienstleister stand im Zusammenhang mit der Outsourcing-Entscheidung nicht zur Diskussion, da die wesentlichen Betreuungsfunktionen im Hause verblieben sind. Weder die gesamte Anwenderbetreuung im SAP-Bereich (Help-Desk) noch die Wartung des installierten Netzwerkes sind von der Auslagerung betroffen.

Auch die Einführung neuer SAP-Komponenten wird eigenständig vom Sempell-Personal durchgeführt. Der Auftrag an das Serviceunternehmen umfaßt damit nach der Umstellungsphase ausschließlich den RZ-Betrieb und die Bereitstellung der Anwendungen auf dem im Korschenbroich installierten Remote-Control-Prozessor (RCP).

Mit dem hier praktizierten Outsourcing-Konzept stellt die Sempell AG sicher, daß die DV-Verantwortlichen zukünftig nicht mit Alltagsproblemen zu kämpfen haben, sondern ihre Konzentration auf die strategische Weiterentwicklung der Software richten können. Auch die Frage der Sicherheitsvorkehrungen für RZ und Daten wurde im vorhinein eingehend geklärt.

Hier ließen sich die Experten nach einer Besichtigung des Großrechenzentrums in Oberhausen und der Begutachtung der dort getroffenen Sicherheitsvorkehrungen überzeugen. Das Sicherungskonzept für die Daten und die kundenindividuellen Bereiche der Anwenderprogramme wurden ebenfalls detailliert abgestimmt und festgelegt.

Gemeinsames Team realisiert das Projekt

Erste Module der SAP-R/2-Software sind bei Sempell seit 1987 im Einsatz. Die Module RF, RK, RA, RM-MAT waren Ende 1991 komplett eingeführt, RM-PPS und RV wurden teilweise produktiv eingesetzt, weitere Komponenten dieser Module befanden sich in der Einführung.

Um eine schnelle und effiziente Umstellung auf das externe Rechenzentrum gewährleisten zu können, wurde zunächst gemeinsam ein Projektteam gegründet, für das ein Projektleiter von Sempell und ein Mitarbeiter des Dienstleisters verantwortlich waren. Eingebunden war eine Reihe von Mitarbeitern aus den Fachabteilungen. Das Team arbeitete einen detaillierten Terminplan bis hin zum Umstellungszeitpunkt aus.

Folgendes Grobkonzept wurde entwickelt:

- Übernahme der produktiven und der in Einführung befindlichen SAP-Anwendungen auf den DVO-Rechner;

- parallel dazu die Fortsetzung der Einführung weiterer SAP-Komponenten - nach der Übernahme muß die Einführung nahtlos weitergehen; Ziel ist, die alten Individualprogramme bis Ende 1992 durch SAP-Software abzulösen;

- Übernahme der Personalabrechnung (Paisy) und der Zeiterfassung (Azea) auf den Rechner des Dienstleisters;

- Ablösung des bei Sempell installierten Siemens-Rechners bis Ende 1992.

Die Übernahme der SAP-Anwendungen vollzog sich in folgenden Schritten:

1. Bereits in der Akquisitionsphase wurde ein Testsystem mit Sempell-spezifischen Daten aufgebaut. Der Kunde wollte vor der Auftragserteilung die Antwortzeiten bei Nutzung einer DFÜ-Leitung testen. Dies konnte er in den Räumen des Dienstleisters mit seinen eigenen Daten tun.

2. Nach Auftragserteilung installierte der Dienstleister ein erweitertes Testsystem, welches alle benötigten Softwaremodule in der Standardversion beinhaltete. Alle Daten des Produktionsvorbereitungs-Systems sowie sämtliche kundenspezifischen SAP-Tabellen wurden eingespielt. Dabei konnten die Daten bei Sempell mit SAP-Utilities aus der Adabas-Datenbank unter BS2000 auf Magnetbänder kopiert und beim Dienstleister ebenfalls mit SAP-Utilities in VSAM-Dateien unter CICS geladen werden. Die Sempell-spezifischen Modifikationen am SAP-System ließen sich ebenfalls nachvollziehen. Damit war das Dialogsystem komplett eingerichtet.

Anschließend erfolgte die Übernahme der Batch-Verarbeitung. Zunächst war die beim Kunden gefahrene Nachtproduktion in das SAP-Umfeld bei DVO mit Restart-Möglichkeiten und Sicherungsläufen einzubetten. Anschließend stellte der Outsourcing-Partner innerhalb von 14 Tagen in sehr enger Zusammenarbeit mit den Systemverantwortlichen der Sempell AG für rund 200 Jobs die Steuerkarten von BS2000 auf MVS um. Die Tests aller neu eingerichteten Jobs waren nach weiteren fünf Tagen abgeschlossen.

3. Wenige Tage vor dem produktiven Start auf dem neuen Rechner wurde das Produktionssystem ohne Daten komplett eingerichtet. Die Einspielung der Produktionsdaten erfolgte an einem Wochenende. Am folgenden Montag stand das neue Produktionssystem bereits zur Verfügung. Zwischen Auftragserteilung und Übertragung der SAP-Systeme auf den Rechner waren genau drei Monate vergangen.

Outsourcing-Vertrag läuft über fünf Jahre

Es wurde entschieden, die Personalverwaltungs- und Personalabrechnungs-Systeme zunächst unverändert auf den Rechner des Dienstleisters zu übernehmen. Dieser Schritt ist für den Herbst 1992 vorgesehen. Ebenfalls geplant ist eine spätere Umstellung auf SAP-RP, wobei die notwendigen Voraussetzungen bereits geschaffen wurden.

Der Outsourcing-Vertrag läuft zunächst über fünf Jahre. Für das erste Vertragsjahr wurde festgelegt, daß der im Hause vorhandene Siemens-Rechner übergangsweise stehenbleibt, und die SAP-Übenahme sowie die Umstellung der Individualprogramme durchgeführt werden kann. Bei Ablauf des Vertrages gilt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten. Natürlich läßt sich der Vertrag nach fünf Jahren verlängern. Der Anbieter garantiert vertraglich für das erste Verlängerungsjahr die Beibehaltung der vereinbarten Konditionen. Danach erfolgen neue Verhandlungen.

Für SAP-Übernahme Einmalpreise vereinbart

Grundsätzlich beinhaltet die monatliche Nutzungsgebühr den Komplettservice, der aus Rechenzentrumsnutzung, Hardwaremiete und Leitungskosten besteht. Für die Übernahme des kompletten SAP-Systems und der darüber hinausgehenden Individualprogramme (Cobol, RPG, Natural) sind Einmalpreise vereinbart.

Die Fertigung bei Sempell fährt im Zweischichtbetrieb, so daß auch dementsprechende Dialogzeiten festgelegt wurden. An normalen Werktagen dauert die Dialogzeit von 7.00 bis 23.00 Uhr, samstags bis 12.00 Uhr. Verlängerungen sind möglich, werden dann aber gesondert berechnet.

Die Verfügbarkeit des Systems, gemessen am RCP, garantiert der Dienstleister für den Normalbetrieb im Monatsdurchschnitt zu 94 Prozent. Für den Fall einer schlechteren Verfügbarkeit sind Gebührenkürzungen möglich. Die Tatsächliche Verfügbarkeit im ersten halben Jahr des Betriebes lag mit rund 99 Prozent erheblich oberhalb des Limits.

Auch die Antwortzeiten sind vertraglich fixiert. Beim Einsatz der SAP-Software wurde vom Anbieter zugesagt, das die Antwortzeit im Durchschnitt eines Kalendermonats bei 90 Prozent der Menü-Transaktionen unter einer Sekunde liegt. Gemessen wird am Remote-Control-Prozessor für das Normal-Arbeitssystem. Für die verbleibenden zehn Prozent der Transaktionen darf die Antwortzeit im Durchschnitt nicht mehr als drei Sekunden betragen. Ausgenommen sind Transaktionen mit besonders hohem Verarbeitungsumfang. Auch hier steht der Firma Sempell vertraglich die Möglichkeit von Gebührenkürzungen für den Fall zu, das die tatsächlichen Antwortzeiten wesentlich über den zugesagten liegen.

Auch die Möglichkeit, aus dem Outsourcing-Vertrag auszusteigen, ist in den Abmachungen definiert. Sollte der Kunde sich nach Vertragsablauf wieder für ein eigenes Rechenzentrum oder einen anderen Outsourcing-Anbieter entscheiden, so wird der jetzige Dienstleister die notwendige Unterstützung bieten.