Desktop Publishing auf Normalmaß reduziert

Die Revolution schafft sich qualifizierte DTP-Handwerker

24.05.1991

Mit markigen Versprechen trat die DV-Industrie ab Mitte der 80er Jahre an die Öffentlichkeit: Jeder werde sein eigener Verleger, mühelose

Gestaltung von Drucksachen ohne Vorkenntnisse oder Abhängigkeit von Fachbetrieben. Inzwischen hat die Realität die Fiktion eingeholt, "DTP für alle" erfüllte sich nicht. Technische Probleme mit neuen Konfigurationen und ernüchternde Resultate schreckten vielfach die frischgebackenen Anwender ab.

Im professionellen DTP geben heute drei Kategorien von Anwendern den Ton an: Das Druckgewerbe, Großbetriebe und kreative Einzelkämpfer. Die einen witterten die schnelle Mark, für andere ist DTP am Mac ein neues Handwerkszeug für alte Aufgaben. Desktop publishing wurde so zu einem professionellen Werkzeug in der Hand weniger.

Auch alteingesessene Druckbetriebe haben sich inzwischen mit der vermeintlichen Konkurrenz aus dem Bereich des elektronischen Publizierens arrangiert. Heute setzen die routinierten Profis der "Schwarzen Kunst" sogar die Qualitätsmaßstäbe.

In modernen Druckereien findet sich neben den urtümlich wirkenden Satzterminals immer häufiger auch der Macintosh. So bietet ein fahrender Hersteller von Satzanlagen bereits eine neue Familie von Geräten auf Basis des Macintosh an. "Fast alle großen, professionellen Setzereien verfügen heute über DTP-Abteilungen, wo als Hardwareplattform der Macintosh dominiert", meint Michael Geissler, Inhaber eines Fachbetriebes für Druckwerbung in Augsburg. Computer auf Basis der Intel-Prozessoren 80x86, die vor allem bei Büroanwendungen und Branchenlösungen den Löwenanteil der installierten Basis stellen, sind im grafischen Gewerbe die Ausnahme.

Keine billige Satzlösung mehr

"Früher galt DTP als eine billige Satzlösung. Inzwischen aber ist der Qualitätsstandard mindestens genauso hoch, wenn nicht höher als bei konventionellem Satz." Die technischen Möglichkeiten des PCs sind zum Teil den reinen Satzgeräten überlegen, und es ergeben sich sogar Geschwindigkeitsvorteile. Outline-Schriften oder farbiges Hinterlegen war bei herkömmlichen Satzterminals unmöglich oder nur mit größtem Aufwand zu realisieren. Bei DTP-Programmen hingegen erreicht man diese Effekte mit nur wenigen Kommandos.

Sobald vom Kunden einige Besonderheiten gewünscht werden, beispielsweise die grafische Veränderung von Schrift, was früher kaum möglich war, ist DTP überlegen. Gerade diese Aufgabe wird im klassischen Satz auch heute noch oft mit Reinzeichnungen gelöst, die reprografisch weiterverarbeitet werden. Auch das Einbinden von Grafiken und Logos in den Text ist mit DTP wesentlich einfacher zu bewerkstelligen als im herkömmlichen Satz.

"Bis man die Farbverarbeitung im professionellen Bereich breit einsetzen kann, werden aber noch ein, zwei Jahre vergehen", schätzt Geissler. "Zur Zeit sind aber noch keine Vorteile im Vergleich zur herkömmlichen Lithografie zu sehen. Die Verarbeitung via DTP ist heute genauso teuer wie herkömmliche Lithoanstalten, aber in der Qualität noch wesentlich schlechter."

Zur Zeit kostet eine Stunde Satzarbeit am PC 60 bis 130 Mark. Darin ist nicht nur das Erfassen von Text, sondern auch die Gestaltung enthalten. In der Regel wird der Umbruch gleich mit durchgeführt und fließt in diesen Preis ein. Im professionellen Bereich werden diese Preise selten unterschritten. Natürlich gibt es Anbieter mit niedrigem Kostenblock, die vermeintlich günstigere Preise anbieten. Manchmal handelt es sich um Privatpersonen, die ein neues Computersystem finanzieren wollen, oder um Schwarzarbeiter aus der Druckbranche, die nach Feierabend ein paar Mark zusätzlich verdienen wollen.

Ein einzelner Laserdruck im Format DIN-A4 kostet zwischen zwei und fünf Mark. Dabei unterscheidet man in den meisten DTP-Studios und Setzereien nicht zwischen einzelnen Programmen, mit denen das Dokument angelegt wurde. Das würde zu überlangen Abrechnungen führen. Allerdings hat der Laserdruck-Service keine große Bedeutung im professionellen DTP. In den meisten Studios wird er nebenbei als Service, aber nicht als wichtige Einnahmequelle angeboten.

Die Preise für die Belichtung einer DIN-A4-Seite liegen zwischen fünf und 25 Mark. Es existieren aber sehr unterschiedliche Abrechnungsmodi. Bei Großkunden werden immer häufiger Pauschalpreise verlangt, beispielsweise 1500 Mark für monatlich 100 Belichtungen. Die Preise sind in der Regel nicht von der Bearbeitungsdauer abhängig, denn auch hier ist das Erfassen echter Bearbeitungszeiten zu aufwendig und vom Kunden nicht nachvollziehbar. Außerdem: Ist ein System schlecht eingerichtet, kann die Belichtung bis zu fünf mal länger dauern als mit einem optimierten System.

Kaum Geld mit Speisen- und Visitenkarten

Während Großkunden mit Pauschalpreisen bedient werden, müssen andere Interessenten ihre Preise individuell aushandeln. Für eine einzelne Belichtung ist ein Preis unter zehn Mark nicht mehr realistisch, um damit kostendeckend zu arbeiten. Bei Erstkunden wird häufig nicht in Stunden gerechnet, sondern eine Produktion zu einem Gesamtpreis angeboten. Bei einem Pauschalpreis interessieren den Kunden die einzelnen Arbeitsschritte kaum.

Wegen zu großzügiger Preiskalkulationen hat der noch junge Berufszweig des DTP die ersten Ausleseprozesse bereits hinter sich. Mancher Einsteiger mußte die schmerzliche Erfahrung machen, daß der Absatz von Speisen- und Visitenkarten doch nicht so viel Umsatz und vor allem Profit einspielten wie anfangs gehofft.

Auch die Gründungswelle hausgemachter Zeitschriften hat ihren Höhepunkt längst überschritten. Zu dilettantisch waren oft die Layouts, und die Schwarzweiß-Abbildungen ließen hinsichtlich Kontrast und Rasterung viele Wünsche offen. Bei ihren idealistischen Produktionen vergaßen die Jungverleger allzu Häufig, daß ihre Leserschaft an optisch ansprechende Publikationen gewöhnt war. Schließlich hat der zahlende Leser ein Recht auf solide handwerkliche Qualität, ganz gleich, ob hinter den Kulissen konventionell produziert oder mit DTP gearbeitet wird. Zudem erkennen immer mehr Unternehmen, daß die Kosten für eigene Publikationen in anderen Maßnahmen zur Motivation der Mitarbeiter und Imagebildung beim Kunden besser angelegt sind.

Mindestens 50 000 Mark für Hardware

"Ein DTP-Einsteiger, der sich eine Hardwarekonfiguration gekauft hat und damit produzieren möchte, wird Schwierigkeiten haben, gute Kunden zu kriegen. Eine Ausnahme ist natürlich, sich an einen Großkunden anzuhängen, der sämtliche Kapazitäten auslastet", schätzt Geissler die Lage ein.

Und immer wieder die Kosten: Professionelles DTP ist eines der investitionsintensivsten Einsatzgebiete für Personal Computer. Bei den Preisen sind nach oben keine Grenzen gesetzt, da vom PC Schnittstellen zu den professionellen Geräten für Großdruckereien und Zeitungsverlage bereits bestehen.

Wer heute wirklich mithalten will, muß allein für die Hardware mindestens 50 000 Mark aufbringen. So halten manche DTP-Studios oft die Hälfte ihres Jahresumsatzes für Neuinvestitionen bereit. Mit anderen Worten: Sie müssen ein halbes Jahr arbeiten, nur um ihr Handwerkszeug zu bezahlen. Und der Bedarf an Erweiterungsinvestitionen nimmt kein Ende. Ein Nachrüstungsrennen ohne Ende: Da sich eine zünftige DTP-Konfiguration aus Rechner, Scanner, Laserdrucker und Software zusammensetzt, muß immer der Reihe nach modernisiert werden. Ist gerade ein Teil ausgewechselt und bezahlt, steht schon die nächste Anschaffung ins Haus.

Gerade die Software muß immer auf dem neuesten Stand gehalten werden. Wer über eine ältere Version als ein Kunde verfügt, kann dessen Dateien häufig nicht mehr weiterverarbeiten. In der Branche klagen viele Anwender über neue Versionen altbekannter Programme, die wesentlich langsamer arbeiten als die Vorgängerversion. Geissler: "Bedenkt man, daß sich die Leistungsfähigkeit der Hardware alle ein bis zwei Jahre verdoppelt, paßt sich die Software automatisch mit der Zeit an. Die Wartezeiten können jedoch für andere Arbeiten genutzt werden. Viele DTPer sind über kurzzeitige Phasen des Leerlaufs sogar eher erfreut. Oder man hat einen zweiten Rechner, an dem während des Druckvorgangs ein weiterer Job abgewickelt werden kann."

Uberlebenswichtig ist auch die Beherrschung der einschlägigen Programme. Jedes Handbuch informiert über Tricks und Abkürzungen. Es gibt Anwender, die nie mit Druckvorlagen arbeiten, andere hingegen verwenden sie fast ausschließlich. Daraus ergeben sich Unterschiede in der Geschwindigkeit, mit denen sich Kosten steigern oder reduzieren lassen.

Doch die technische Ausstattung allein ist noch kein Garant für zufriedenstellende Arbeiten. Handwerkliche und typografische Vorkenntnisse sowie Berufserfahrung in angestammten Bereichen sind heute erforderlich, um im Bereich DTP zu überleben. Während die Tradition des Druckerhandwerks mehrere Jahrhunderte alt ist, hat DTP noch kein eigenes Standesbewußtsein. Für die neuen Anforderungen existieren noch keine eindeutig festgelegten Ausbildungskriterien. So haben auch Autodidakten noch gute Chancen, eine Beschäftigung in DTP-Studios zu finden. Im Druckerhandwerk hingegen müssen Anfänger zunächst eine mehrjährige Berufsausbildung absolvieren.

"Im DTP sind heute viele am Werk, die sich kaum mit Typografie beschäftigt haben", führt Geissler weiter aus. "Dazu gehören die richtige Plazierung von Sonderzeichen und andere Feinheiten, die in der traditionellen Ausbildung zum Schriftsetzer vermittelt werden. Es gibt im DTP viele Beschäftigte, die auch vom Satz nur wenig verstehen. Sie lernten einmal Schreibmaschine schreiben, und das war's. Die Frage ist jedoch: Welche Drucksachen brauchen höchstwertige Typografie, und wo kann man darauf getrost verzichten. Es ist ein Unterschied, ob ein Imageprospekt für eine große Bank produziert wird oder nur die Bedienungsanleitung für eine Faltschachtel."

Spürbare Rationalisierung

Sind die handwerklichen Voraussetzungen erfüllt, bringt DTP in der Tat spürbare Rationalisierungen im Druckvorstufenbereich: Die traditionell separaten Funktionen des Setzens, Layoutens und Montierens können nun an einem Arbeitsplatz vereint werden. Wer sich als Neueinsteiger ins Druckgewerbe vorwagt, und das ist mit professionellem DTP ganz sicher der Fall, muß aber mit einer äußerst wachsamen und listenreichen angestammten Konkurrenz rechnen. Kein Druckbetrieb läßt sich in seinem lokalen Einzugsgebiet gerne seine Stammkunden abspenstig machen.

Die Tricks, mit denen alteingesessene Unternehmen einem Neuling das Leben schwer machen können, sind äußerst vielfältig. Daher wird sich die Konzentration im professionellen DTP weiterhin fortsetzen. Für die DV-Industrie dürfte sich daher ein vertikaler Markt mit qualifizierten Abnehmern auf tun. Die vielzitierte Sekretärin, die mühelos mit ihrem PC farbige und perfekt gestaltete Drucksachen produziert, wird wohl kaum dazugehören.