Kolumne

"Die Rache der Komplexität"

01.11.1996

Schwarzer Dienstag für die SAP. Mit einem Kurseinbruch von über 65 Mark sackten die Vorzugsaktien der Walldorfer in der vergangenen Woche zum zweiten Mal in diesem Jahr dramatisch ab. Die Flucht aus den Anteilsscheinen des Softwarehauses setzte ein, nachdem Dietmar Hopp die Gewinn- und Umsatzprognose für das gesamte Jahr nach unten korrigiert hatte.

So besorgt die Aktionäre auf die veränderten finanziellen Aussichten reagiert haben (siehe Seite 12), so sehr sollte Anwendern Hopps Eingeständnis zu denken geben, man habe zuviel in die Entwicklung und zuwenig in den Vertrieb investiert.

Zum einen räumt er damit ein, daß das mit viel Aufwand eingeführte Partner-Vertriebskonzept bislang nicht die erwarteten Früchte getragen hat. Zum anderen weisen die hohen Entwicklungsausgaben, die in erster Linie für die Modularisierung von R/3 aufgewendet wurden, darauf hin, wie kompliziert es ist, die "footprints" der etliche Megabyte großen Funktionsblöcke zu verkleinern und über Schnittstellen offener zu gestalten. Man darf gespannt sein, ob R/4, pardon: R/3 Version 4.0, so modularisiert und offen ist wie versprochen.

Mit den notwendig gewordenen F&E-Aufwendungen rächt sich die schon seit Jahren kritisierte Komplexität von R/3, die SAP angesichts des großen Funktionsumfangs bisher immer als unvermeidlich dargestellt hat. Dieser Alleskönneranspruch der integrierten Standardsoftware ist übrigens auch für die geringeren Einnahmensteigerungen mitverantwortlich. Die immer noch langwierigen Einführungsphasen binden zu viele SAP-Experten, von denen es weder in Walldorf noch bei den Vertriebspartnern genügend gibt. Vor allem in den USA, wo das deutsche Wunder-Softwarehaus in den letzten Jahren seine größten Erfolge feierte, müssen inzwischen für große Projekte die Experten buchstäblich zusammengekratzt werden.

Trotz des hohen Aufwands führt kein Weg an der stärkeren Modularisierung von R/3 vorbei. Nicht nur weil große, monolithisch aufgebaute Software nicht mehr im Trend liegt, sondern weil sich nur vergleichsweise wenige Anwenderunternehmen R/3 in seiner jetzigen Form leisten können, vom Preis und vom Aufwand her. Wollen die Walldorfer weiterwachsen, müssen sie ihr Angebot Richtung Mittelstand erweitern. Und der braucht preiswerte und einfach zu handhabende Programme.