Die Prozeßperipherie braucht Intelligenz

30.09.1977

Technische Meßgrößen aufzunehmen, aufzubereiten und auszuwerten war noch vor wenigen Jahren eine Aufgabe, die für jeden einzelnen Prozeß gesondert gelöst werden mußte. Für jedes von einem Meßgrößenaufnehmer erzeugte Signal mußte eine eigene Einheit für die Signalaufbereitung entwickelt werden, damit es in die nachfolgenden Einheiten wie Bandgeräte, Telemetrieencoder, Schreiber, Anzeigeeinheiten usw. eingegeben werden konnte. Diese Signalaufbereitungsgeräte waren wenig flexibel und voluminös, die Möglichkeiten für ihren mobilen Einsatz in der Versuchstechnik damit sehr beschränkt, Kompromisse zum Beispiel im Hinblick auf die Anzahl der aufzunehmenden Kanäle unvermeidbar.

Eine a priori-Anpassung an Anforderungen aus der Versuchsauswertung stieß in der Regel auf große technische Schwierigkeiten. Die Meßergebnisse wurden üblicherweise nur in analoger Form ausgegeben und mußten erst nachträglich in digitale Form umgesetzt werden, damit sie mit Hilfe von DV-Anlagen verarbeitet werden konnten.

Trend zum Vielkanalsystem

Die Fortschritte, die in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Hardware-Technologie, insbesondere bei den integrierten Schaltkreisen, erzielt wurden, haben der Meßtechnik völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Der Trend geht heute zu weitestgehend modular aufgebauten, universell einsetzbaren Vielkanalsystemen (Signalakquisitionssystemen), mit denen praktisch jedes vorkommende Meßsignal an die unterschiedlichsten Aufgaben angepaßt werden kann. Bereiche können automatisch umgeschaltet werden. Die Ausgänge sind in den meisten Fällen rechnerkompatibel, der Telemetrieencoder ist in ihnen schon enthalten. Aus- und Eingänge können sowohl analog als auch digital sein; Abmessungen und Gewichte der Einheiten wurden drastisch reduziert, die Einsatzmöglichkeiten auf ein Vielfaches erweitert. Im wesentlichen gleichgeblieben ist allerdings das Verhältnis Preis pro Meßkanal; denn der Reduktion der Materialkosten auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite erhöhte Anforderungen an die Signalbandbreite, Filterung, Genauigkeit und Auflösung sowie gestiegene Arbeitslöhne gegenüber. Trotzdem kann der umsichtige Anwender in der Meßtechnik beträchtliche Mittel einsparen, wenn er die Vorteile moderner Signalaufbereitungssysteme richtig einzusetzen versteht:

- einfachere Anpassung an die jeweilige Meßaufgabe,

- bessere Bedienbarkeit,

- erleichterte Wartung und Reparatur.

In der Theorie ist schon seit vielen Jahren bekannt, daß man nichts an Information verliert, wenn man kontinuierliche Meßsignale abtastet und die digital verschlüsselten Abtastwerte als Folgen von Zahlen oder Binärsymbolen überträgt. Voraussetzung ist dabei allerdings, daß die halbe Abtastfrequenz höher ist als die Breite des Signalspektrums, und zwar Nutz- und Störsignal zusammengenommen. Eine direkte Folge dieser theoretischen Erkenntnis war und ist die immer weitere Verbreitung von Puls-Code-Modulationssystemen im Bereich der Meßtechnik und der Signalübertragung. Damit eröffnet sich aber auch die Möglichkeit, mit Hilfe von leistungsfähigen Methoden der digitalen Filterung das meist niederfrequente Nutzsignal vom höherfrequenten Störsignal zu trennen. Sinnvollerweise führt man diese Trennung bereits vor der eigentlichen Signalübertragung durch, denn dann läßt sich die zur Übertragung erforderliche Datenrate in vielen Fällen ganz erheblich senken. Die Datenübertragung wird wirtschaftlicher.

Flut von Meßgrößen

Hier beginnt ein breites Feld für den Einsatz einer intelligenten Meßtechnik, welches über das erwähnte Beispiel der reinen Abtrennung des Nutzsignals vom Störsignal weit hinausgehen kann. Die verlockenden Möglichkeiten, welche die modernen Signalerfassungs- und Übertragungssysteme aufgrund ihrer enorm gesteigerten Leistungsfähigkeit bieten, verleiten nämlich den unkritischen Anwender nur allzu leicht dazu, sich in neue Sackgassen der Unwirtschaftlichkeit zu begeben. Weil es so leicht und so einfach ist, in beliebigen Prozessen Meßdaten in beliebiger Menge aufzunehmen, werden Unmengen von Daten erfaßt, abgespeichert und übertragen, ehe sie dem eigentlichen Auswerter und Nutzer zur Verfügung gestellt werden. Dieser sieht sich unvermittelt einer Flut von Meßgrößen und Zahlenwerten ausgesetzt und hat größte Schwierigkeiten, das ungeheure Datenmaterial auf seine Brauchbarkeit und Relevanz zu sichten und die für ihn wichtigen Informationen aus der ungeordneten Menge herauszuziehen. Viele Experimente bei Satellitenmissionen liefern dafür nur allzu instruktive Beispiele.

In der Vergangenheit waren es vor allem technologische Gründe, die in vielen Fällen einer intelligenten Vorverarbeitung von Meßgrößen im Wege standen; es fehlten schnelle, flexibel programmierbare und räumlich kleine Prozessoren. Heute ist man auf dem besten Wege, diese Lücke zu schließen, und zwar von zwei Seiten. Auf der einen Seite gibt es die Technologie der besonders schnellen und dicht gepackten Schaltkreise für spezialisierte Signalverarbeitungs-Prozessoren (etwa Array-Prozessoren), mit denen sich digitale Filter, Fourieranalysatoren etc. realisieren lassen, deren Leistungsfähigkeit alles in den Schatten stellt, was in den vergangenen Jahren auf dem Markt erhältlich war. Auf der anderen Seite stehen die zwar noch wesentlich langsameren, aber dafür ungemein flexiblen Mikroprozessoren, deren Anwendungsmöglichkeiten noch bei weitem nicht ausgeschöpft sind. In der Zukunft werden sich beide Richtungen einander nähern. Es wird ein Mikroprozessortyp entstehen, der, versehen mit der erforderlichen höheren Arbeitsgeschwindigkeit, direkt mit dem Meßgrößenaufnehmer oder Sensor verbunden ist und das ankommende Signal sofort soweit vorverarbeitet, daß nur die tatsächlich interessierende Information an eine Signalübertragungsstrecke oder an einen nachgeschalteten Verarbeitungsrechner weitergeleitet wird. Dezentralisierte Sensordatenverarbeitung mit hierarchischen Rechnerstrukturen ist keine Utopie mehr.

Intelligenz im kleinen Roboterfinger

Welche Ziele mit Hilfe einer intelligenten Meßtechnik erreichbar sind, läßt sich am Beispiel der Greifhand eines Roboters aufzeigen. Ein solches Gerät, das in vielen Bereichen industrieller Fertigung und Versuchstechnik sinnvoll eingesetzt werden kann, soll einen beliebigen Gegenstand gerade fest genug anfassen, um ihn aufheben zu können, ohne ihn zu beschädigen. Die bei der Betätigung der Greifhand auftretenden Kräfte und Drehmomente werden mit Hilfe von Drehungsmeßstreifen gemessen, die an der Greifhand befestigt sind. In herkömmlicher Technik mußten zwischen diesen Meßgrößenaufnehmern und den verarbeitenden Rechnern eine Fülle von Signalen übertragen werden. Die intelligente Meßtechnik erlaubt es, die Meßsignale unmittelbar am Sensor in einer Regelschleife so zu verarbeiten, daß nur noch der Befehl zum Aufheben des Gegenstandes resp. die Rückmeldung, daß dies geschehen ist, über die eigentliche Signalübertragungsstrecke läuft.

Der Anwender wird sich in Zukunft mehr denn je schon vor Beginn einer Daten-Auswertung überlegen müssen, welche Daten er für die Überwachung und Steuerung eines Prozesses benötigt. Die intelligente Meßtechnik mit ihrer modernen Technologie gibt ihm die Hilfsmittel an die Hand, mit denen er die Menge der zu messenden und zu übertragenden Signale auf das für die Auswertung unbedingte Maß reduzieren kann.

* Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. (DFVLR), Oberpfaffenhofen