Personal-Management-Systems/Einführung eines Personal-Management-Systems vor dem Börsengang

Die Post steuert Zehntausende Mitarbeiter mit neuem System

09.04.1999
Hohe Dienstleistungsqualität, neue Service-Angebote und ein wirtschaftlicherer Einsatz der Ressourcen sind Voraussetzungen für den geplanten Börsengang der Deutschen Post. Ein wichtiges Vorhaben bis dahin: deutliche Kostenreduzierungen und bessere Qualität der Briefpost durch eine effizientere Personalsteuerung und -einsatzplanung. Meinolf Droege* berichtet.

Höchste Effektivität und Qualität bei geringen Kosten war und ist das Ziel bei Planung und Betrieb der neuen Briefzentren (BZ) der Deutschen Post. Nicht weniger als 83 dieser Zentren bilden den Kern der Briefpost-Logistik in Deutschland. In jeder der Brief-Leitregionen wird dann die jeweils gesamte Briefpost dieser Region sortiert - und zwar die eingehende wie die abgehende. Vorsortierungen in den Postämtern, die jetzt zum Teil sogar noch nach ein- und ausgehender Post getrennt sind, finden dann nicht mehr statt.

Einige Briefzentren bedienen zwei (kleinere) Leitzonen. Das Briefaufkommen beträgt je Zentrum zwischen durchschnittlich 450000 und 4,5 Millionen Stück täglich. Dabei treten einzelne Spitzenlasten auf, beispielsweise bei Einlieferungen großer Mengen Werbepost (etwa von Versandhäusern) und in der Vorweihnachtszeit. Jeweils zwischen 200 und 3000 Mitarbeiter, Vollzeit-, Teilzeit- und Abrufkräfte, bewältigen den Postberg in drei Schichten an sieben Tagen in der Woche. In den 83 Zentren sorgen im Endausbau mehrere Zehntausend Mitarbeiter für die Briefsortierung in Deutschland.

Kernstück der Zentren ist das System zur optimalen Produktionsplanung und -steuerung (PPS). Anders als in üblichen Produktionsbetrieben mit Chargen- oder Fließfertigung ist hier die Produktionsmenge, also die Zahl der zu sortierenden Briefe, jedoch fremdbestimmt. Daher legt die Deutsche Post den Schwerpunkt auf das permanente Erfassen der Ist-Daten und auf schnelle Reaktionen zur optimalen Kapazitätsbereitstellung und -auslastung von Anlagen und Personal. Erreicht wird das durch Transparenz, durch ständigen Überblick über alle Betriebsabläufe.

Die anfallenden Mengen und die Leistung der Maschinen sind nur sehr begrenzt zu beeinflussen. Die Kostensenkung muß also über die ausgefeilte Personalsteuerung stattfinden. Kernstück der gesamten Technik ist die Modulare Arbeitszeit-Erfassung MAZE. Sie basiert auf dem Personal-Management-System "Protime" der Paderborner Team GmbH, die für den Pilotbetrieb Zeitwirtschaft als Generalunternehmerin fungierte. Technische Basis sind eine Oracle-Datenbank und ein Client-Server-Netzwerk.

Jeder Mitarbeiter hat einen persönlichen Ausweis, den er in seinem Aufgabenfeld durch den Leseschlitz des Erfassungsterminals für die Personalzeiterfassung zieht. Installiert sind Erfassungsgeräte vom Typ "INTUS Timer" der Münchener PCS Systemtechnik. In welchem Aufgabenfeld der Mitarbeiter seinen Dienst beginnt, kann er am Vortag der Produktionsplanung entnehmen. Mit seiner Anmeldung ist der Mitarbeiter im MAZE registriert. Damit hat der Disponent den permanenten Überblick über die anwesenden Mitarbeiter und ihre derzeitigen Tätigkeiten.

Zu jedem Mitarbeiter sind in der Datenbank die Qualifikations und damit die in Frage kommenden Aufgabenfelder im Briefzentrum hinterlegt. Der ständige Überblick über die "Human Resources" ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die permanente Darstellung der Auslastungssituation an den Sortiermaschinen und Handsortierplätzen, der Arbeitsvorräte sowie die ein- und ausgehenden Postmengen. Ein MDE-System erfaßt die Daten online an den Waagen und den Sortiermaschinen und speist sie im Abstand von wenigen Minuten in das Steuerungssystem ein. Damit hat der Disponent auch den ständigen Überblick über drohende Engpässe beziehungsweise nicht ausgelastete Sektoren.

Drohen Kapazitätsengpässe, kann der Disponent aufgrund der vorliegenden Daten sehen, welche Mitarbeiter anwesend, für die Position geeignet und aufgrund der Auslastung in ihrem momentanen Aufgabenfeld eingesetzt werden können. Wechselt der Mitarbeiter also seinen Arbeitsplatz, geht er zum nächsten Aufgabenfeld und meldet sich am zugeordneten Terminal an. Damit ist er automatisch im alten Aufgabenfeld abgemeldet. Das Arbeitsende meldet der Mitarbeiter durch Ziehen der Karte in seinem letzten Aufgabenfeld. In mittleren Briefzentren ist, so zeigen die Erfahrungen, mit durchschnittlich 1000 solcher An- und Abmeldevorgängen pro Schicht zu rechnen.

Das Ziel ist nicht, jede Post so schnell wie möglich zu sortieren, sondern über ständig optimale Kapazitätsauslastung mit möglichst geringem Einsatz zum geplanten Ablieferungszeitpunkt fertig zu werden. Im Vordergrund steht immer das Ziel: Ablieferung beim Empfänger am nächsten Tag. Bei der normalen Briefpost ist der Spielraum allerdings gering, da dafür ohnehin nur zwei bis drei Stunden für die Sortierung zur Verfügung stehen. Infopost beispielsweise kann, je nach Terminvorgaben der Kunden, für Auslastungsoptimierungen der Kapazitäten genutzt werden.

Personaleinsatz richtig dosiert

Detailliert lassen sich für jedes Aufgabenfeld - und ein gesamtes BZ - Aufwendungen, die durch die Arbeitszeiten der Mitarbeiter und die Maschinenlaufzeiten entstehen, den verarbeiteten Mengen gegenüberstellen. Die daraus ermittelten Kennzahlen erlauben erstmals realistische Produktivitätsvergleiche zwischen verschiedenen Briefzentren. Schwachstellen werden erkannt, Verbesserungen gezielt eingeleitet.

Der nächste Schritt wird getan, wenn alle BZ in Betrieb gegangen sind: Die Vernetzung untereinander macht dann die Personalsteuerung noch einfacher. Mengen und Ziele aller in jedem BZ auf den Weg gebrachten Sendungen werden für jedes empfangende BZ ausgewertet. Schon im voraus sind die aus anderen BZ ankommenden Mengen und die Art der Briefe bekannt, der Personaleinsatz, vor allem die Anforderung zusätzlicher Abrufkräfte, läßt sich exakt darauf abstimmen.

Im Januar 1994 startete in Düsseldorf das Pilotprojekt, zwölf Monate später stand das System im wesentlichen so, wie es heute sukzessive in allen BZ eingeführt wird. Die Installation liegt - bei IT-Projekten dieser Größenordnung nicht selbstverständlich - voll im Kosten- und Zeitplan. Jeweils sechs Briefzentren absolvieren gleichzeitig die Installation und den Probebetrieb.

Die einzelnen Projektteams sorgen für die organisatorische Seite der Einführung, das Erzeugen der "PPS-Philosophie" und für die Integration der Technologie in die Abläufe.

Sie sind dafür verantwortlich, daß die Möglichkeiten der Informationssysteme voll ausgeschöpft werden, daß die Mitarbeiter Vertrauen zur Technik entwickeln, sie nicht als Überwachungsinstrument ansehen, sondern als wichtiges Mittel zur Schaffung eines Wettbewerbsvorsprungs - und damit sicherer Arbeitsplätze.

Zusätzlich steht während der gesamten Installations- und Einführungsphase ein Techniker als Ansprechpartner zur Verfügung. Patsch: "Je Briefzentrum sind etwa drei Monate bis zum Rundlauf des Systems eingeplant." Angesichts von Einführungszeiten konventioneller PPS-Systeme in der Industrie, die dort mehrere Jahre dauern, eine erstaunliche Leistung.

Die Ausrüstung aller BZ wird voraussichtlich im April abgeschlossen sein. Dann sind mehrere zehntausend Mitarbeiter an 83 Standorten integriert. Von der Pilotphase über Systemanpassungen bis zur Anbindung des letzten Standorts sind dann nur rund drei Jahre vergangen, eine rekordverdächtige Zeit. Sichtbarster Teil der Technik für die Personalsteuerung sind die Intus-Timer-Erfassungsgeräte. Etwa 1330 davon werden im Endausbau in den 83 Briefzentren ihren Dienst versehen. Als Mitarbeiterausweis (und Buchungsmedium) dienen derzeit Chip- und Barcodekarten. Mittelfristig werden nur noch Chipkarten im Einsatz sein.

Die Erfassungsterminals, die bis zu 1200 Meter entfernt stehen, sind sternförmig über einen Schnittstellen-Vervielfacher direkt an einen Intus-Server ge- koppelt, der die Daten an den zentralen Unix-Rechner von Siemens-Nixdorf (SNI) weiterzieht. Hier nimmt die Software der Teams die Daten entgegen, bereitet sie auf und stellt sie für die Personaleinsatzplanung bereit. Die Unix-Maschinen der Zentren sind untereinander per TCP/IP vernetzt.

Die Erfassungsterminals müssen gegen äußere Einflüsse wie zum Beispiel Papierstaub unempfindlich sein sowie hohe Ausfallsicherheit und Flexibilität aufweisen. Sie arbeiten beispielsweise mit verschiedenen Kartensystemen und mit allen Standardnetzwerken ohne zusätzliche Adapter. Und die Umstellung von den verschiedenen Karten auf die einheitliche Chipkarte ist jederzeit mit geringem Aufwand möglich.

Weitere Technik für die Mengen- und Betriebsdatenerfassung sind Wiege- und Fördereinrichtungen unterschiedlicher Hersteller sowie Thermotransferdrucker und Scanner jeglicher Art. Alle Peripheriegeräte sind per Standard-Schnittstelle angebunden.

Die Fortschritte in den Briefzentren sind erstaunlich: Mit Einführung der IT-Technologie steigt die Produktivität üblicherweise sehr schnell um einen deutlich zweistelligen Prozentsatz. Dabei akzeptieren die Mitarbeiter die neue Technik offensichtlich - auch aufgrund der Informationspolitik im Vorfeld der Installationen:

Die Brieflaufzeiten, eine wichtige Qualitätskenngröße, haben sich merklich verkürzt: 95 Prozent der in Deutschland aufgegebenen und an deutsche Adressen gerichteten Briefe erreichen den Empfänger am nächsten Tag, 99 Prozent der Briefe kommen spätestens am übernächsten Tag an. Die Systemeinführung läuft trotz der schwierigen Randbedingungen (Installation und Inbetriebnahme während des laufenden Dreischichtbetriebs an sieben Tagen in der Woche) völlig im Zeit- und Kostenplan. Wenn das Projekt abgeschlossen ist, heißt das jedoch nicht unbedingt, daß die gesamte Projektmannschaft aufgelöst wird. Patsch: "Aufgrund des erfolgreichen Projektverlaufs sind Überlegungen im Gange, Technik und Know-how auf die Abfertigung der Auslandspost zu übertragen." Und ein - sicher nicht unerwünschter - Nebeneffekt ist das Erschließen neuer, erfolgversprechender Marketing-Aktivitäten in anderen Ländern: Mehrere ausländische Postorganisationen zeigen bereits Interesse an der von Post AG, TEAM und PCS realisierten Lösung.

Angeklickt

Kurz vor dem Börsengang hat die Deutsche Post ihr Personal-Management einer Revision unterzogen. Den ständigen Überblick über das jeweils eingesetzte Personal, eine effektivere Briefzustellung und eine deutliche Kostenersparnis verspricht sich der Konzern durch die Einführung einer modularen Arbeitszeiterfassung, die auf dem Personal-Management-System "Protime" basiert. Das System gestattet es, bei Kapazitätsengpässen jeweils die geeigneten Mitarbeiter "umzuschichten" und so eine optimale Auslastung zu erreichen.

*Meinolf Droege ist freier Journalist in Ingelheim am Rhein.