Die OSF hat ihre Schuldigkeit getan

10.08.1990

Bei den neuen Sinix-Rechnern des Typs MX 300 hat sich Siemens auf Unix System V, Release 4.0 als Betriebssystem-Basis festgelegt - keine Rede mehr von OSF/1 (vgl. CW Nr. 31 vom 3. August 1990, Seite 3). Man habe, so lassen Siemens-Insider durchblicken, nicht länger auf das Anti-AT&T-Produkt der Open Software Foundation warten können Nun zweifeln Beobachter der Unix-Szene, daß OSF/1 - erst muß es ja mal fertig sein - überhaupt noch zur Auslieferung kommt. Das Kapitel "OSF" scheint abgeschlossen. Nicht wenige Unix-Kenner hielten die Stiftung der OSF vor zwei Jahren für eine Schnapsidee. Zwei Gründe sprachen ihrer Ansicht nach gegen die OSF-Möchtegerne: Was die Gründungsmitglieder IBM, DEC, HP, Apollo, Siemens, Bull, Nixdorf und Philips als Motiv für das Bündnis angaben, nämlich ein Unix-Monopol des Lizenzgebers AT&T zu verhindern, schien nicht glaubwürdig. Überdies wollten die Anwender keine Zweiklassen Gesellschaft im Unix-Bereich.

Zu Punkt 1: IBMs Einstellung zu Unix beziehungsweise OSF - was nicht dasselbe ist - konnte man getrost unter "Marketing" einordnen. Der Widerspruch: Die IBM kündigte kurz danach das proprietäre Anwendungssystem AS/400 an, obwohl sie genau wußte, daß damit im Mittelstandsmarkt Verhältnisse geschaffen wurden, unter denen die Wettbewerber eine Politik der "offenen Systeme" nicht durchsetzen konnten. Nein, wenn bis dahin noch Zweifel an der tiefen Abneigung der IBM gegen Unix bestanden, so wurden sie durch das AS/ 400-Announcement beseitigt. Und welche Rolle spielte der Rest der OSF-Mannschaft? "Proprietärer" Arroganz wird man etwa Siemens nicht bezichtigen können, andererseits können die Münchner nichts dagegen tun, daß sie - wie übrigens auch Nixdorf und DEC - diesbezüglich mit Big Blue in einen Topf geworfen werden. Für doppelzüngig kann man sie allemal halten.

Zu Punkt 2: Erfreulicherweise haben einige Anwender von Anfang an klargemacht, daß sie der Herstellerstreit um Unix nervt. Andererseits fühlten sich nur wenige berufen, bei der Frage des Betriebssystem-Standards mitzureden. Die OSF-Gruppe und das Unix-V-Lager beharkten sich indes munter weiter. In der Folge gingen verunsicherte Anwender zunehmend auf das AS/400-Angebot der IBM ein. Längere Palaver über noch strittige Fragen (Was wird aus AIX?) können sich die Nicht-IBM-Anbieter jetzt nicht mehr leisten.

Das Siemens-Management scheint die Gefahr erkannt zu haben. Mit der MX-300-Entscheidung (siehe oben) wurden die Weichen in Richtung Unix V gestellt. Dieses Beispiel wird Signalwirkung haben -und das nicht, weil Siemens besonders stark ist, sondern weil die Zeit für Unix V arbeitet. Die OSF hat ihre Schuldigkeit getan.