Softwaregeneration S/4HANA

Die neue Softwarewelt von SAP

31.03.2015
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Seit SAP kürzlich seine neue Softwaregeneration S/4HANA vorgestellt hat, herrscht unter Anwendern Unsicherheit, was das für die eigene Softwarestrategie bedeutet. Auf der CeBIT bemühte sich der Softwarekonzern um Aufklärung. Eines deutet sich bereits an: Den Kunden könnten tiefere Umbrüche bevorstehen, als sie ahnen.

SAP setzt all seine Hoffnungen auf eine neue Produktgeneration. Wenige Wochen vor der CeBIT hatte der Konzern mit "S/4HANA" eine neue Version seiner Business Suite vorgestellt. Damit definiere man das Konzept des Enterprise Resource Planning für das 21. Jahrhundert neu, kommentierte Bill McDermott den Produkt-Launch. Der SAP-Chef stilisierte die Ankündigung zu einem historischen Tag, denn "unserer Ansicht nach läuten wir mit SAP S/4HANA heute den Anfang vom Ende der IT-Architektur des 20. Jahrhunderts und der damit verbundenen Komplexität ein".

Die Kunden wollten sich von der Euphorie des SAP-Chefs indes nicht recht anstecken lassen. Das Produkt eigne sich für visionäre Unternehmen, für die innovativ abgebildete Geschäftsprozesse einen großen Wettbewerbsvorteil darstellten, sagte Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAPAnwendergruppe (DSAG). "Für den Großteil der Unternehmen dürfte das Produkt noch Zukunft bleiben."

Aus Sicht der Kunden ist noch vieles unklar. Auf der CeBIT bemühte sich das SAP-Management im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE um Aufklärung. "Unternehmen sollen ihre Geschäfte in Echtzeit abwickeln, das Business stärker vernetzen und ihre Softwareinfrastruktur wesentlich vereinfachen können", fasste McDermott die Ziele mit S/4HANA zusammen. Der IT-Footprint lasse sich um den Faktor zehn verringern, der Datendurchsatz verbessere sich um den Faktor sieben, und überhaupt sei die Technik 18-mal schneller als vergleichbare Lösungen im Markt, pries der Vorstandssprecher seine neue Softwaregeneration an. Gleichzeitig äußerte er Verständnis dafür, dass die Kunden mehr über die neue Softwaretechnik erfahren wollten, und versprach Informationen in den nächsten Monaten - beispielsweise auf der SAP-Kundenveranstaltung Sapphire Anfang Mai in Orlando, Florida.

S/4HANA ist nur für HANA

Jedoch deutet sich bereits an, dass Anwenderunternehmen, die sich auf die neue SAP-Strategie einlassen, Veränderungen in ihrer gesamten IT-Infrastruktur bevorstehen - auch wenn McDermott reibungslosen Übergang in die neue Softwarewelt in Aussicht stellt. Der Umbruch betrifft in erster Linie die Datenbank. S/4HANA ist an die von SAP selbst entwickelten In-Memory-Technik gekoppelt. Zwar werde man auch in Zukunft mit den bestehenden Systemen klassische relationale Datenbanksysteme von anderen Herstellern unterstützen, sagte McDermott. "Aber S/4HANA ist ausschließlich für HANA", machte er unmissverständlich klar.

Das bedeutet, dass Kunden, die die vom SAP-Chef skizzierten Vorteile der neuen Softwaregeneration nutzen möchten, auf HANA wechseln müssen. Für SAP selbst bedeutet die Strategie, zwei Produktlinien mit unterschiedlichen Codebasen unterstützen, pflegen und weiterentwickeln zu müssen. Denn McDermott versicherte, dass es auch in der bestehenden SAP-Softwarewelt weiter Innovationen geben werde. Der Konzern hatte das Wartungsfenster bis 2025 erweitert.

Um das technische Fundament von SAPs Softwarewelt soll sich der im vergangenen November von Microsoft gekommene Chief Technology Officer (CTO) Quentin Clark kümmern. Aus Sicht des Technikchefs findet derzeit ein grundlegender Wandel in der Enterprise-SoftwareIndustrie statt. SAP habe in dieser Transformation mit S/4HANA eine gute Ausgangsposition.

Vorrangige Aufgabe sei es, mit HANA eine gemeinsame, einheitliche Plattform für sämtliche SAP-Softwareprodukte zu schaffen. Damit sollen die anstehenden Integrationsaufgaben gelöst werden, was beispielsweise die zugekauften Cloud-Lösungen wie Fieldglass und Concur betrifft. Ebenso sollen Trennungen und Brüche in den Systemen selbst überwunden werden, zum Beispiel hinsichtlich transaktionaler und analytischer Daten. Vor diesem Hintergrund sei die engere Verknüpfung des Applikations- und des Datenbank-Layers eine Notwendigkeit, konstatierte der SAP-CTO.

In der Unterstützung unterschiedlicher Codebasen sieht Clark kein Problem. In S/4HANA als neuer Generation der Business Suite stecke viel Code aus dem Vorgängersystem. Neu designt würden dagegen Module wie "Simple Finance" und "Simple Logistics", das später im Jahr verfügbar sein soll. Um die Entwicklung möglichst effizient und einfach zu machen, will Clark verstärkt darauf achten, bestimmte Dinge möglichst nur einmal zu entwickeln - beispielsweise Data Services und Analytics-Funktionen, die dann in der Folge von verschiedenen Softwareprodukten SAPs wie S/4HANA oder Cloud-Systemen wie Concur genutzt werden könnten.

Wie das ganze Gefüge konkret aussehen soll, steht offenbar noch nicht endgültig fest. Pläne und Roadmaps würden derzeit entwickelt, räumte der SAP-CTO ein. Es brauche ein wenig Zeit, das zu entwerfen. Dabei setzt Clark auch auf die deutschen SAP-Entwickler, für die der neue Technikchef eine Lanze brach. Es gebe hier eine Entwicklungskultur, die darauf achte, Dinge sorgfältig und korrekt zu erledigen. "Das ist auch gut so", sagte Clark. Schließlich gehe es bei SAP um Software, mit der Kunden kritische Business-Systeme betrieben. Wenn eine Consumer-App mal keine Bildchen anzeige, kümmere das niemanden. "Steht jedoch das Geschäft eines Unternehmens still, dann kann das drastische Auswirkungen haben."

Hintergrund dieses Bekenntnisses ist, dass Mitgründer Hasso Plattner zuvor die Gemächlichkeit im badischen Headquarter kritisiert und auf das hohe Tempo im Silicon Valley verwiesen hatte. Doch auch der Amerikaner McDermott sagte auf der CeBIT: "Wir sind in unserer Basis, in unseren Genen ein deutsches Softwareunternehmen."

Bill McDermott wirbt um das Vertrauen der Kunden

SAP braucht vor allem das Vertrauen der Kunden, um Erfolg mit der neuen Applikationsstrategie zu haben. Doch die Nachricht, die wenige Tage vor der CeBIT für Schlagzeilen sorgte, wonach der deutsche Softwarekonzern Geschäfte mit amerikanischen Geheimdiensten mache, heizte die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Daten und Informationen an - gerade bei deutschen Anwendern.

Bill McDermott: "Kein anderes Unternehmen fühlt sich mehr dem Datenschutz und der Sicherheit verpflichtet als SAP."
Bill McDermott: "Kein anderes Unternehmen fühlt sich mehr dem Datenschutz und der Sicherheit verpflichtet als SAP."
Foto: IDGNS

Natürlich solle SAP ihre Produkte, darunter auch die HANA-Datenbank, an Unternehmen und Behörden in aller Welt verkaufen, im Zweifel auch an die NSA, hieß es von Seiten der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). Es stelle sich aber die Frage, ob die Daten der Kunden in der SAP-Cloud sicher seien, brachte der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck die Bedenken mancher Anwender auf den Punkt.

SAP-Chef McDermott bemühte sich, die Sorgen der Kunden zu zerstreuen. Auch wenn SAP Geschäfte mit US-Behörden mache, hätten diese keinen Zugriff auf in SAP-Systemen gespeicherte Kundendaten. Es gebe keine sogenannten Backdoors, die einen entsprechenden Zugriff direkt oder remote erlauben würden, versicherte der Manager. "Kein anderes Unternehmen fühlt sich mehr dem Datenschutz und der Sicherheit verpflichtet als SAP."