it-spezialisten auf dem weg ins topmanagement

Die neue Elite

20.10.1999
Lange waren sie als kontaktscheue Tüftler verschrien; in den Unternehmen geduldet, aber kaum respektiert. Ihr Job war die IT - und die fand weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Doch spätestens mit dem E-Business müssen IT-Experten umdenken: Auf sie kommen Management-Aufgaben zu.

andreas rose, BusinessUnit-Manager bei der Hoechst-Tochter Hiserv Hightech International Services GmbH, weiß es aus eigener Erfahrung. "Heutzutage sind in den Unternehmen weniger Leute gefragt, die komplexe Hard- und Software-Architekturen sowie Anwendungen beherrschen, sondern vielmehr Experten, die das Geschäft der Kunden verstehen und wissen, wie sich dies am besten mit einer effektiven IT-Strategie in Einklang bringen läßt", erklärt er nicht ohne eine gesunde Portion Selbstbewußtsein.

Der IT-Profi, seit 1989 in Diensten des Frankfurter Pharma- und Chemiekonzerns, hat daraus längst seine Konsequenzen gezogen: Als Programmierer für wissensbasierte Produktionsplanungssysteme eingestiegen, nahm er in Kauf, spätestens alle zwei Jahre im Konzern den Job zu wechseln. Nicht zum eigenen Nachteil, versteht sich. Die Sprossen auf der Karriereleiter des heute 36jährigen lesen sich unter anderem so: SAP-Logistik-Berater, Assistent des Abteilungsleiters Information und Kommunikation (IuK), Verantwortlicher für den Aufbau eines globalen SAP-Kompetenz-Centers.

Wichtig war dabei für Rose vorallem eines: "In unserem Beruf sind Geschwindigkeit und Flexibilität Trumpf." Parameter, die generell die Gesetzmäßigkeiten unseres Wirtschaftslebens widerspiegeln. In seinem Verantwortungsbereich (momentan koordiniert er den Aufbau eines weltweiten Helpdesk-Netzes für den "Dienstleister" Hiserv) ist er mit den Geschäftsstrategien seiner Kunden bestens vertraut. Aus diesem Grund hat der Mittdreißiger auch noch eins gelernt: "Die Zeit, in der sich Firmen Informationen beschaffen beziehungsweise selbst bereitstellen, ein Angebot unterbreiten sowie ein Produkt ausliefern können, entscheidet immer häufiger über deren Wettbewerbsfähigkeit."

Rosige Zeiten also für DV-Profis wie Rose, denen angesichts derSituation auf dem deutschen IT-Arbeitsmarkt, wo es je nach Lesart der verschiedenen Branchenverbände derzeit zwischen 50 000 und 100 000 unbesetzte Stellen gibt, sowieso buchstäblich alle Türen offenstehen. Erstmals, so scheint es, ist aus dem geflügelten Wort von der "IT als strategische Waffe im Wettbewerb" Realität geworden. Das war bekanntlich nicht immer so.

Mitte der 80er Jahre hatte es zwar in der IT-Branche eine ähnliche Aufbruchstimmung wie heute gegeben, doch Anfang dieses Jahrzehnts machte die schleppende Konjunktur viele Träume zunichte. Seither befanden sich die IT-Manager samt ihren Abteilungen meist in einer Kostenfalle, aus der sie erst der Internet-Boom wieder erlöste. Nicht was die IT an mehr Kundennähe und damit gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit bewirken kann, sondern was sie kostet, stand bis dahin allzu oft im Mittelpunkt der Diskussion.

Hinzu kamen durch Vorurteile und Mißmanagement geprägte Imageprobleme. IT fand immer hinter verschlossenen Türen, im Rechenzentrum statt. Auch als die Großrechner im Zeichen von Client-Server-Computing an Bedeutung verloren hatten, änderte sich daran nicht viel. Was blieb, war das Mißtrauen gegenüber denjenigen, die sich mit Bits und Bytes auskannten; den kauzigen Bastlern, deren soziale Kompetenz angeblich oft zu wünschen übrig ließ. Hinzu kam der Streit mit den zunehmend selbstbewußten Fachabteilungen, die ihre eigenen Vorstellungen von IT entwickelten. Als geradezu fatal entpuppte es sich dann in vielenFällen, wenn, wie manche Zeitgenossen spotten, die "Wünsche technikferner Manager auf die Produkte technikverliebter DV-Spezialisten" trafen.

Statt technikverliebt könnte man auch sagen: nicht anwenderorientiert. "Nie im Zeitplan, immer über dem Budget", lautete über Jahre hinweg das stereotype Urteil vieler Unternehmensvorstände, wenn sie ihren internen "IT-Shop" charakterisieren sollten. Ein vernichtendes Zeugnis, das nicht von ungefähr kommt - nicht zuletzt auch, weil in vielen Firmen bis heute ein zeitgemäßes IT-Management nicht stattfindet. Jedenfalls nicht so, daß es Beurteilungskriterien wie Effizienz und Return on Investment standhält.

Mehr als drei Billionen Dollar wurden in den vergangenen zehn Jahren allein in den USA für die Beschaffung von IT-Equipment und -Dienstleistungen ausgegeben, und über ein Drittel davon war nach Auffassung von Branchenkennern zum Fenster hinausgeworfenes Geld - für fehlerhafte und/oder nicht zum Einsatz gekommene Software sowie gescheiterte IT-Projekte. Überdies blieben mangels konkreter Pflichtenhefte oder nur unzureichend definierter Geschäftsprozesse rund 80 Prozent aller Systementwicklungen hinter den Erwartungen zurück. Man darf befürchten, daß diese Zahlen hierzulande noch gravierender ausfallen.

In den Vereinigten Staaten hat man auf die Misere längst reagiert. Seit Jahren ist dort zumindest in fast allen großen Unternehmen der Titel Chief Information Officer (CIO) gang und gäbe - sozusagen die letzte Herausforderung für das IT-Management: kein schmückender Titel, sondern meistens ein mit konkreten Befugnissen ausgestattetes Vorstandsressort. Angesichts der kommerziellen Bedeutung dessen, was dort an Geld verbraucht wird, hat dies auch seine Berechtigung.

Schon vor vier Jahren lagen laut Untersuchungen des amerikanischen Unternehmens IDC die Pro-Kopf-Ausgaben für Hard- und Software (bezogen auf die Mitarbeiterzahl) mehr als 50 Prozent über den vergleichbaren Werten hierzulande. Für die meisten hiesigen IT-Manager blieben der Posten des CIO genauso ein Traum wie die hohen Pro-Kopf-Ausgaben; das IT-Department ist oft genug noch ein Anhängsel des Finanzvorstands oder der allgemeinen Verwaltung.

Dennoch stehen auch bei uns die Zeichen inzwischen auf Umbruch. Möglich gemacht hat dies besagter Internet-Boom beziehungsweise der Drang der Unternehmen, beim vielzitierten E-Commerce dabei zu sein. Wenn schon die Konkurrenz nur einen Mausklick entfernt ist, verliert die IT ihren bisherigen Selbstzweck-Charakter. "Macht nichts, setzen wir halt ein neues Projekt auf oder entwickeln wir einfach ein anderes Tool", läßt sich so ohne weiteres nicht mehr sagen. Auch die Frage "SAP ein halbes Jahr früher oder später" relativiert sich unter Umständen. Dagegen entscheidet der Auftritt im Cyberspace über das Verhältnis eines Unternehmers zu seinen Kunden sowie über seine Fähigkeit, überhaupt neue Märkte zu erschließen. Mit anderen Worten: Für die Unternehmen wird IT überlebenswichtig.

Die Jungenzeigen es den Alten

Die Konsequenzen sind einschneidend: Unternehmensvorstände müssen (wieder einmal) in eine zeitgemäße Business-to-Business- und jetzt auch Business-to-Comsumer-Kommunikation investieren, von der sie im Prinzip keine Ahnung haben und deren Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung sie nicht abschätzen können. Oder schlimmer: Sie haben sich ein zweifelhaftes Halbwissen angeeignet und sind umgeben von Marketing-Fachleuten, die im Zeichen von E-Business über eine unabdingbare neue Produkt- und Markenstrategie schwadronieren. Dabei dürfte es unstrittig sein, daß diese Fachleute zumeist in der Sache recht haben. Doch die "Chefsache" E-Commerce stößt vielfach noch auf Strukturen, die wenig förderlich sind.

IT-Führungskräfte, die in der Großrechner-Ära Karriere gemacht haben, werden jetzt plötzlich ganz nach oben gespült: Sie bekommen auch hierzulande die höheren Weihen eines CIO. Doch was nützt es, wenn diese Verantwortlichen nicht zugleich auch gelernt haben, in Marktkategorien zu denken? IT unterstützt nicht mehr nur die Geschäftsprozesse, sie muß sie künftig selbst verkörpern. Das, so scheint es, ist weniger eine Verständnis als vielmehr eine Generationenfrage.

Und die Jungen zeigen es den "Alten": Die junge Generation rückt nicht nur nach, sondern in der Hierarchie ganz weit nach oben. Projektleiter mit Ende zwanzig zu sein, ist heute oft schon eine Selbstverständlichkeit. CIO mit Vorstandsmandat im Alter von vierzig, warum nicht? Die Newcomer unter den IT-Professionals profitieren geradezu zwangsläufig davon, daß in den Unternehmen reihum "Land unter" gemeldet wird.

Denn es ist ja nicht nur die Herausforderung E-Commerce, die am besten schon gestern hätte bewältigt sein müssen. Euro-Umstellung, Datumswechsel sowie "Legacy"-Probleme wie die Einführung komplexer Standardsoftware binden Ressourcen, die man eigentlich gar nicht hat. Die Folgen dieses Notstands sind bekannt: Informatiker mit Hochschulabschluß können in der Regel zwischen drei und fünf Angeboten wählen; auf sogenannten Recruting-Messen und "Carreer Days" stehen nicht die Bewerber Schlange, sondern die Firmen, die händeringend nach qualifiziertem Personal suchen.

Und natürlich sind auch Quereinsteiger jeglicher Couleur gefragt - Hauptsache, sie bringen mit, was man von den neuen Hoffnungsträgern erwartet: Sie müssen teamfähig sein und intern wie extern kommunizieren können. Also nicht das landläufige Bild vom kommunikationsgestörten PC-Freak, der es sich mit Pizza und Cola im Cyberspace bequem macht. Die angehenden IT-Experten müssen ihr Handwerk beherrschen, vor allem aber das Geschäft ihrer Kunden verstehen. In je mehr Branchen sie sich auskennen, desto besser. Weniger Programmierkenntnisse sind also gefordert, dafür ein besseres Verständnis vom Markt, in dem sich das eigene Unternehmen bewegt. Die neuen IT-Experten müssen ein gesundes Maß an wirtschaftlichem Denken mitbringen. Schließlich wird auch ein E-Commerce-Projekt nicht dadurch schlechter, daß Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Man kann es auch so formulieren: Wenn schon die Zukunft der Unternehmen im E-Business, also in virtuellen und vernetzten Märkten liegt, muß das IT-Management entsprechend marktorientiert und unternehmerisch handeln.

Jedenfalls gelten Informatiker inzwischen auch in Deutschland als geeignet fürs Topmanagement. Dies dokumentieren nicht zuletzt prominente Beispiele wie die früheren IBM-Manager Willi Berchtold und Hermann-Josef Lamberti. Sie haben es als Vorstände beim Banknotendrucker Giesecke & Devrient beziehungsweise bei der Deutschen Bank längst auch in anderen Branchen zu etwas gebracht.

Rauher Wind fürHimmelsstürmer

Bilden die Tüftler von einst die (Management-)Elite von morgen? Folgt die IT den Geschäftsprozessen oder umgekehrt? Beide Fragen scheinen eindeutig beantwortet zu sein. Doch sollten sich die jungen Himmelsstürmer von der momentanen Goldgräberstimmung nicht blenden lassen. Wenn sie oben in der Unternehmenshierarchie angekommen sind, dürfte ihnen ein deutlich rauherer Wind entgegenwehen. Mag sein, daß die IT jetzt allmählich wirklich zur "Chefsache" wird. Mag sein, daß ein im Vorstand etablierter CIO aktiver auf die Bestimmung der Geschäftsziele Einfluß nehmen kann. Mag sein, daß die verantwortlichen Unternehmenslenker ihr IT-Department künftig mit konkreteren Anforderungen konfrontieren - wohl wissend, daß ohne IT nichts mehr geht. Die IT-Manager von morgen dürften jedenfalls mehr in die Pflicht genommen werden, als sie es heute vielleicht ahnen. Man sitzt mit dem Vorstand in einem Boot. Hat man (gemeinsam) auf die falsche IT-Strategie

gesetzt, trägt man die Konsequenzen. Erst recht, wenn dann nicht mehr irgendein Projekt, sondern die gesamte Existenz des Unternehmens auf dem Spiel steht.

Einstweilen sonnen sich die Informatiker in ihrem neuen, nur zum Teil selbst erworbenen Ruhm. Betriebswirtschaft als Ergänzungsstudium, Crash-Kurse in Sachen Projekt-Management und Consulting, Seminare zur Mitarbeiterführung - die Palette an Möglichkeiten, das Einmaleins des klassischen Managements zu erlernen, ist umfangreich.

Hiserv-IT-Manager Rose weiß, daß auf Leute wie ihn noch mehr zukommt. Ihm zufolge müssen IT-Spezialisten nicht nur gedanklich und vom Know-how her flexibel, sondern auch örtlich unabhängig sein. Ein Rechenzentrum sei heutzutage "schnell irgendwo auf- oder abgebaut". Sprach man früher von "Social Skills", dachten die IT-Professionals vorwiegend an Dinge wie Mitarbeiterführung oder an die Fähigkeit, ein Personalgespräch führen zu können. Heute rede man jedoch, so Rosen, "vor allem von der Überwindung von Sprach- und Kulturgrenzen".

*Gustav Herrlich ist freier Journalist in München.