Service-Integration

Die nächste Stufe des IT-Service-Managements

25.02.2016
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Mehr Transparenz für die Anwender, mehr Effizienz für IT und Supplier: Darauf zielt die Siemens AG mit ihrer integrierten Servicearchitektur. Das Modell erstreckt sich bis in Prozesse der externen Dienstleister. Umgesetzt wird es in Form zweier Portale - einem für User und einem anderen für die Dienstleister.

Die als Quasi-Standard für ein modernes IT-Service-Management (ITSM) geltende Best-Practices-Sammlung ITIL (IT Infrastructure Library) habe immer noch ihre Berechtigung. Das beteuert Matthias Egelhaaf, für die Service-Integration zuständiger Program Director der Siemens AG, München. ITIL diene vor allem dem "gemeinsamen Verständnis" für Anwender, IT-Personal und die externen Service-Provider. Von denen beliefern ein rundes Dutzend die Siemens-IT. Denn spätestens seit der großen Umstrukturierung vor sieben Jahren definiert diese nur noch das Was, aber nicht mehr das Wie eines Service. Anders ausgedrückt: Die Siemensianer sorgen sich um das Service-Management, während sie die Service-Delivery externen Partnern überlassen.

Der IT-Service-„Donut“: So bezeichnet Matthias Egelhaaf, Program Director bei der Siemens AG, die Integrationsschicht, mit der sein Team die unterschiedlichsten Services verbindet. Die Integration ermöglicht es der Siemens-IT, Serviceprozesse von Anfang bis Ende zu betrachten – unter Einbezug der externen Dienstleister.
Der IT-Service-„Donut“: So bezeichnet Matthias Egelhaaf, Program Director bei der Siemens AG, die Integrationsschicht, mit der sein Team die unterschiedlichsten Services verbindet. Die Integration ermöglicht es der Siemens-IT, Serviceprozesse von Anfang bis Ende zu betrachten – unter Einbezug der externen Dienstleister.
Foto: Siemens AG/Egelhaaf

Und weshalb reicht ITIL dann nicht aus, um das ITSM zu gestalten? - Wie Egelhaaf erläutert, definiert der De-facto-Standard die Vorgehensweisen und Arbeitsprozesse, wie sie im Servicedesign und in der Serviceerbringung anfallen, beispielsweise für das Incident-, Problem- und Change-Management. Die könne nun jeder - interne und externe - Provider für sich selbst umsetzen. Doch auf diese Weise sei keine Ende-zu-Ende-Betrachtung möglich: "Es fehlt eine Integrationsschicht, die mir im Fall eines Problems hilft, zu erkennen, wo es entstanden ist und wer daran arbeitet. Andernfalls wird der Schwarze Peter zwischen den Providern immer weitergereicht."

Eine solche Integrationsschicht haben Egelhaaf und sein Team entwickelt. Sie ermöglicht es den Service-Managern bei Siemens, in Echtzeit zu verfolgen, was ihre externen Delivery-Partner gerade tun und wie weit ein Problem bereits gelöst ist. "Wir sagen dem Provider, wie seine Performance ist", fasst Egelhaaf das Prinzip zusammen: "Damit drehen wir die bisher gültige Welt komplett um."

Metamorphose der IT-Services bei Siemens

Damals startete der Konzern eine Initiative zur Verbesserung der Transparenz in den IT-Kosten.
Die Service-Delivery übergab man einem internen Service-Provider, den in der weiteren Folge (siehe 2011) dann ein aushäusiger IT-Dienstleister übernahm.
Viele spezifische Services wurden aufgebrochen und durch Standardservices ersetzt. Damit übernahm die Siemens-IT vollends ihre Rolle als Demand-Organisation. Darüber hinaus war der Einsatz von Marktstandards auch finanziell vorteilhaft.
Der interne Provider wurde mitsamt den Prozessen, Werkzeugen und Daten, die für die Serviceerbringung notwendig sind, an Atos verkauft. Gleichzeitig entwickelte Siemens ein eigenes Cockpit für das Service-Management.
Aus den zahlreichen lokalen IT-Bereichen in den Regionen und Geschäftseinheiten wurde eine globale IT-Organisation mit einem übergreifenden Governance-Modell, allgemeingültigen Prozessen und einheitlichen Tools.

Ein Portal für die Anwenderseite ...

Warum IT-Service-Management strategisch ist, machte Egelhaaf anlässlich einer Kundenveranstaltung des auf Serviceautomation spezialisierten Softwareanbieters ServiceNow deutlich: "Wir wollen die Digitalisierung des Unternehmen aus der IT heraus unterstützen." Das war mit den alten Prozessen und den unterschiedlichen Tools offenbar schwer möglich. Die bisherige, heterogene Prozess- und Tool-Landschaft im Service-Mangement bezeichnete Egelhaaf als eine "versteinerte Welt". Und damit als nicht mehr zeitgemäß.

In einer solchen Umgebung müssen Anwender bisweilen fünf unterschiedliche Portale besuchen, um ein einziges Smartphone zu bestellen. Wie viel Zeit dabei verschwendet wird, kann man sich leicht ausmalen. Bis zu einem Viertel ihrer Arbeitszeit wendeten deutsche Angestellte heute für überflüssige Prozessschritte auf, will ServiceNow in einer Umfrage unter seinen Kunden ermittelt haben.

Der Schlüssel zu mehr Effizienz liegt aus Egelhaafs Sicht darin, dem Anwender Komplexität abzunehmen. Ihm also gebündelte Services anzubieten, mit denen er sein neues Handy inklusive SIM-Card und Installation der firmenüblichen Services in einem Arbeitsschritt starten kann, ohne etwas nachkonfigurieren zu müssen. Die "Grundbetankung" mit allen relevanten User-Daten sei ohnehin hinterlegt.

Für die User hat Egelhaafs Team ein Serviceportal aufgebaut, das es "myIT" taufte. Damit lassen sich Katalogartikel wie Handys ordern sowie Tickets für den Support aufgeben. Über eine VMware-Schnittstelle können die Anwender sogar - von der IT freigegebene - Cloud-Services per Mausklick beschaffen. Worauf die Siemens-IT dann die Prozesse mit den Providern Ende-zu-Ende managt. Für den Programmdirektor ist das ein probates Mittel gegen die Bestellung von Cloud-Services via "Kreditkarten", auch Schatten-IT genannt.

Das Portal basiert auf dem Content-Management-System von ServiceNow, das für die Siemens-Bedürfnisse angepasst wurde und im Software-as-a-Service-Modus bezogen wird. "Wir wollten uns nicht um Hardware, Patches und die notwendige Skalierung der ganzen Infrastruktur kümmern", so Egelhaaf.

Bei ServiceNow nimmt Siemens einen dedizierten Server in Anspruch. Dessen Auslastung und Skalierung ist jedoch Sache des ServiceNow-Teams in Amsterdam. "Ja, es war uns wichtig, dass die Daten in Europa gespeichert und verarbeitet werden", räumt Egelhaaf ein. Die europäischen Datenschutzbestimmungen waren ein entscheidender Faktor. Siemens hat eine Flatrate für alle Mitarbeiter gebucht. Diese All-User-Lösung "atmet" nur flach, obwohl "Hochlaufkurven" für die Implementierungsphase vereinbart sind. Wie Egelhaaf erläutert, war es ihm aber wichtig, "eine gewisse Schwungmasse zu bekommen", um jeden Mitarbeiter aufschalten zu können - ohne Einschränkungen und Wartezeiten.

Die Service-Integration-Architektur umfasst die Anwender wie auch die externen Dienstleister. Von denen haben einige ihre Prozesse bereits angebunden.
Die Service-Integration-Architektur umfasst die Anwender wie auch die externen Dienstleister. Von denen haben einige ihre Prozesse bereits angebunden.
Foto: Siemens AG/Egelhaaf

... und eines für Entwickler und Provider

Native nutzt Siemens die ServiceNow-Software für ein zweites Portal. Es dient der Integration von eigenen Entwicklern und externen Providern. Die gängigen ITSM-Prozesse - von Serviceportfolio und -katalog über Incident- und Problem-Management bis zur Abrechnung - sind dort hinterlegt. Beide Parteien docken ihre Prozesse über automatisierte Standardschnittstellen an.

Mit der BI-Komponente der ServiceNow-Software sind erste Performance-Auswertungen möglich. Die Transparenz übertrifft Egelhaafs Erwartungen: "Wir können auf Knopfdruck sehen, inwieweit die SLAs erfüllt sind." Was dann auch nicht jedem gefällt: "Manche Service-Provider begreifen das als Bedrohung, andere aber auch als Chance." Für noch intensivere Datenanalysen und -auswertungen will Siemens künftig ein separates System einführen. Hierfür sind Produkte wie SAP HANA oder das für IT-Administratoren ausgelegte Monitoring- und Reporting-Tool "Splunk" im Gespräch. Derzeit arbeiten die Siemens-Leute mit einer Schnittstelle zu "QlikView", aber Egelhaaf macht kein Hehl daraus, dass ihm "etwas Integriertes" lieber wäre.

Doch eigentlich will Egelhaaf über Softwarewerkzeuge gar nicht so gern reden. Vielmehr hätten im ersten Schritt die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um den Integration Layer in dem Eco-System aus internen wie auch externen Providern und Systemen zu positionieren. Zudem sei ein Kommunikations- und Change-Konzept für die externen Provider und die eigenen Mitarbeiter notwendig, deren Arbeitsweisen sich fundamental änderten. Auch vor den kaufmännischen Prozessen machten die Veränderungen nicht Halt. Und erst recht nicht vor den Provider-Kontrakten: "Die Verträge müssen den Service Integration Layer ansprechen, damit die Verpflichtungen und das Zusammenspiel der Partner klar sind."

Mittlerweile steht das myIT-Portal 178.000 Mitarbeitern zur Verfügung, bis zu 260.000 sollen es 2016 sein. "Unser Anspruch ist: Es muss einfacher sein, direkt im Portal zu bestellen, als der Assistenz zu sagen, sie soll es tun", so Egelhaaf. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter sei bereits an Bord: "Wir werden nie alle bekommen, aber drei Viertel sind ein realistisches Ziel."

In der Expertenoberfläche, also dem Portal für IT-Mitarbeiter und Provider, sind derzeit zwölf ITSM-Prozesse implementiert und die zugehörigen Verträge hinterlegt. Allerdings machen nicht alle Provider sofort mit. "Die IT-Service-Management-Prozesse lassen sich relativ schnell ausrollen", konstatiert Egelhaaf, "aber die dahinterliegenden produktionsnahen Prozesse geht bislang kaum jemand an."

Service-Integration – die nächste Stufe des IT-Service-Managements
Service-Integration – die nächste Stufe des IT-Service-Managements
Foto: Syda Productions - shutterstock.com

Keep focused - erst mal nur auf die IT

Doch Ende September 2016 soll das komplette IT-Service-Management auf eine integrierte Plattform migriert sein. "Wir konnten bereits regional bestehende IT Systeme komplett abschalten", beteuert Egelhaaf .

Eine derartige Lösung ließe sich auch auf andere Unternehmensservices übertragen. Und ServiceNow wirbt beispielsweise um die Human Sources, denen man automatisierte Lösungen für die An- und Abschaltung von Arbeitsplätzen anbietet. Doch Egelhaaf gibt die Parole aus: "Keep focused! Wir wollen erst einmal in der IT beweisen, dass es funktioniert." Wenn die IT-Services automatisiert seien, könne man einfacher andere Services integrieren, die ja zu einem großen Teil aus IT beständen.

Am Ende stimmt die Balance

Und was hat das Programm bislang gebracht? "Wir sind erst seit März 2014 in der Implementierung, aber der Return ist bereits sichtbar", sagt Egelhaaf, "zudem kommen Begriffe wie Kostensenkung in unserer strategischen Vision nicht vor." Hauptsache sei doch, am Ende stimme die Balance: "Jeden Euro, den wir ausgeben, holen wir durch Prozessverbesserungen, Tool-Ablösungen und besseren Wettbewerb bei Ausschreibungen wieder herein."

Lessons Learned

  1. Der Teufel steckt ausnahmsweise nicht im Detail, sondern in der lebendigen Unternehmenshistorie. Die Herausforderungen liegen darin, das Bewusstsein, neudeutsch: den Mindset der Mitarbeiter, zu ändern, die gewachsene Tool-Landschaft und die eingefahrenen Prozesse zu überwinden, die Provider zu überzeugen, aber auch ein operationales Team aufzubauen.

  2. Bevor man alle Möglichkeiten der Software ausprobiert, sollte man eine Roadmap definieren. Manchmal muss man eben auch Nein sagen, um etwas geschafft zu bekommen.

  3. Die Menge an Daten, die man in einem solchen System sammeln kann, übertrifft alle Erwartungen. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Aber es birgt auch Gefahren, nämlich dann, wenn die Daten nicht akkurat genug sind; dann funktioniert die gesamte Automatisierung nicht.