Wissensvermittlung wichtigstes Einsatzgebiet

Die Multimedia-Anbieter entwickeln mit Hochdruck

04.10.1991

Multimedia ist eines der am häufigsten zitierten Schlagworte in der DV-Szene. Die Softwarebranche erhofft sich hier einen der wichtigsten Zukunftsmärkte überhaupt. Vor allem die multimediale Wissensvermittlung, so weiß Claudia Kessler* zu berichten, gilt als Anwendungsbereich mit Perspektive.

Die Maus fährt von der oberen rechten zur unteren linken Ecke des Bildschirms. Sie zieht eine schmale, rot eingefärbte Linie nach sich. Geglückt - der Student hat soeben am Computer mit einem sauberen Schnitt die Bauchhöhle eines imaginären Patienten geöffnet.

Eine Operation am Bildschirm - ein Multimedia-System der Firma A.D.A.M. macht dies bereits heute möglich. Allerdings können bislang lediglich zwei Schnitte wirklich ausgeführt werden. Die Kosten für den Programmieraufwand sowie die nötige Hardware liegen bei 25 000 bis 50 000 Mark.

Unter Multimedia, dem Schlagwort der 90er Jahre, wird die Integration von Video, Standbildern, Musik, Sprache, Animation, Text und Grafik verstanden. Um diese Elemente perfekt integrieren zu können, sind im Hardwaresektor eine Reihe von Voraussetzungen zu erfüllen: Neben einer Sound Karte - nach wie vor ist am Markt kein Standard in Sicht - werden ein hochauflösender Monitor sowie Geräte wie die Screen-Maschine von Fast zum schnellen Transportieren von Bildern benötigt. In einigen Fällen kommen natürlich noch Scanner zum Einlesen von Vorlagen sowie Digitizer hinzu. Alles in allem ist ein derartiges Equipment zur Zeit mit rund 20 000 DM zu veranschlagen.

Eine Reihe von Software-Anbietern entwickeln derzeit mit Hochdruck erste Multimedia-Anwendungen. Im August dieses Jahres wurden bereits einige Programme vorgestellt, wie beispielsweise "Action" von der Firma Macromind oder die beschriebene medizinische Simulation der Firma A D.A.M.

Am 8. Oktober 1991 werden nun in New York die ersten Multimedia PCs von Tandy und Compuadd vorgestellt. Sie unterstützen die Multimedia Schnittstellen von Microsoft Gezeigt werden unter anderem bekannte CD-ROM-Titel, die nun um Video, Musik und teilweise Sprache erweitert wurden (darunter unter anderem Microsoft Bookshelf und Guinessbuch der Rekorde).

Gemeinsam ist nahezu allen Multimedia-Anwendungen, daß sie Windows als Plattform benutzen, das sich aufgrund seiner Multitasking-Fähigkeiten, seiner einfachen grafischen Oberfläche sowie der einheitlichen Entwicklungsumgebung hierfür natürlich besonders anbietet. Hinzu kommen Vorteile wie Dynamic Data Exchange (DDE) und ein einheitliches Dateiformat. Letzteres ist von Bedeutung, da Multimedia auf verschiedenartigste Anwendungen zurückgreift, die heute nur als Einzelprodukte existent sind.

Das immense Interesse de Software-Industrie an Multimedia-Anwendungen erklärt sich aus den neuen Möglichkeiten der Wissensvermittlung, die sich eröffnen - der eingangs erwähnte Medizinstudent kann als Beispiel dienen. Vieles ist indes noch Zukunftsmusik. Bereits am Markt etabliert haben sich dagegen Programme, die nur auf einzelne Elemente der Multimedia-Idee zurückgreifen.

Im Bereich der Wissensvermittlung sind hier Programme wie "PC Globe", der elektronische Atlas auf dem PC, zu nennen. In den USA entwickelt, hat dieses Programm in einer entsprechenden Version auch Eingang in den deutschen Markt gefunden. PC Globe zeigt statistische Daten über die Länder der Welt, bietet hochauflösende Landkarten und spielt sogar Nationalhymnen ab. Die Elemente Grafik (Landkarten), Daten (Statistik) und Ton (Nationalhymnen) werden miteinander verbunden. Dem Programm fehlt nach heutigem Multimedia-Verständnis jedoch die Animation von Einzelelementen beziehungsweise die Integration von Filmmaterial.

Operation am Bildschirm

Ähnlich verhält es sich mit dem Programm "PC Mensch", das die Firma M&T Software Partner zur Systems vorstellen will. Auch hier werden einzelne Elemente von Multimedia aufgegriffen. PC Mensch ist ein Informationssystem über den menschlichen Körper. Dargestellt werden einzelne Körperteile und Organe sowie - voll animiert - deren Funktionsweise. Zu Körperteilen und Organen können Daten abgerufen

werden.

Um PC Mensch zu einem "echten'' Multimedia-Produkt zu machen, wäre jedoch die Einbindung von echten laufenden Bildern oder Capture-Funktionen zum Aufnehmen oder Abspielen einzelner Filmsequenzen und zum Nachbereiten dieser Filmsequenzen nötig. Wie PC Globe gehört auch PC Mensch in die Preisgruppe zwischen 200 und 300 Mark - das Produkt ist also im Vergleich zu wirklichen Multimedia-Anwendungen preisgünstig. Der Preis beider Programme erklärt sich damit, daß auf herkömmliche Speichermedien und Programmtechniken zurückgegriffen werden konnte. Natürlich ist die Datenmenge entsprechend geringer.

Sollten Speichermedien wie CD-ROM jedoch im Verlauf der nächsten ein bis zwei Jahre wirklich günstiger werden, so kann davon ausgegangen werden, daß derartige Programme entscheidend weiterentwickelt werden und einen breiten Markt finden.

Das Interesse der Anwender an reinen Multimedia Anwendungen ist dagegen deutlich geringer. Das liegt zum einen natürlich am Preis, zum anderen aber auch daran, daß der Begriff Multimedia weitaus häufiger im Hinblick auf die Faszination des technisch Möglichen als im Hinblick auf den konkreten Nutzen des Anwenders gebraucht wird.

Dabei sind sinnvolle Multimedia-Anwendungen durchaus denkbar: Das eingangs erwähnte Beispiel von der Simulation chirurgischer Eingriffe am Bildschirm weist in die richtige Richtung. Um diese Idee weiter zu entwickeln wäre die Einspeisung detaillierter Filmaufnahmen von Operationen nötig, die dann von Studenten am Bildschirm nachvollzogen und - ohne Risiko für das Wohl der Patienten - trainiert werden könnten.

Ebenso kann man sich das Erstellen von Werbefilmen am PC oder die Analyse der Erdoberfläche mittels Software als sinnvollen Einsatzbereich von Multimedia-Anwendungen vorstellen. Dabei ist nicht unbedingt entscheidend, daß sämtliche Medien eingesetzt werden - also "echte" Multimedia-Produkte entwickelt werden. Wichtiger ist, daß diejenigen Medien integriert werden, die im Hinblick auf die Anwendung Sinn machen. Ein Blick auf Produkte wie PC Globe zeigt, daß sich oft schon mit einigen Multimedia-Elementen gute Ergebnisse erzielen lassen.

Gerade für eine breite Zielgruppe sind deshalb auch weitere Anwendungen vorstellbar: zum Beispiel ein Reiseführer auf dem PC, der neben Landkarten verschiedener Urlaubsländer auch Beispielfilme über Land und Leute und Sprechbeispiele bringt. Sinn machen derartige Programme jedoch erst dann, wenn sie in einem Preisbereich zwischen 100 und 300 Mark angeboten werden.

*Claudia Kessler ist bei der M&T Software Partner International GmbH in München für Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich.