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Die Misere an den Informatikfakultäten bleibt

07.07.2000
Sonderprogramm der Bundesregierung ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein

Von Veronika Renkes*

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit einem mit 100 Millionen Mark dotierten Sonderprogramm wollen Bund und Länder das Informatikstudium in Deutschland verbessern. Genau nachgerechnet, müsste dann jedoch ein Wunder geschehen.

Eigentlich sollte sich der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Klaus Landfried, freuen. Seit fast zwei Jahrzehnten weist die HRK auf den unzureichenden Ausbau der Informatik an den deutschen Hochschulen hin. Bisher stießen derartige Hilferufe auf taube Ohren. Doch nun hat sich das Blatt offenbar dank Bundeskanzler Gerhard Schröder gewendet. Auf der Jahrestagung der Hochschulrektoren in Wiesbaden schlug er Ende Mai den 16 Bundesländern vor, ein gemeinsames 100-Millionen-Mark-Sofortprogramm zur Modernisierung des Informatikstudiums aufzulegen - die Hälfte der Summe soll der Bund beisteuern.

Nur knapp zwei Monate später ist es so weit: Die Hochschulen sollen die versprochenen Millionen erhalten. Dies entschieden die Bildungsminister des Bundes und der Länder in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) kürzlich in Berlin. Jeweils zur Hälfte wollen sich die Bundes- und Landesregierungen an dem auf fünf Jahre ausgelegten Programm beteiligen. Die ersten Maßnahmen und Projekte des Sofortprogramms zur Weiterentwicklung des Informatikstudiums an den deutschen Hochschulen (WIS) sollen bereits im Wintersemester 2000/01 gefördert werden. Bis dahin müssen die Mittel allerdings noch von den jeweils zuständigen Behörden der einzelnen Länder bewilligt werden.

Mit dem Geld sollen unter anderem mehr Studienplätze, Weiterbildungsangebote und praxisnahe Studiengänge geschaffen werden, die die Fachkompetenz mit Informatikkenntnissen verknüpfen, wie zum Beispiel bei den Geo- , Gesundheits- oder Wirtschaftsinformatikern. Zusätzlich will man neue Bachelor-, Master- und sogar Trimesterstudiengänge entwickeln. Schließlich soll das Geld noch für neue Dozentenstellen und zeitlich befristete Professuren ausgegeben werden. Dabei haben die Initiatoren vor allem auch an den Einsatz von Fachleuten aus der Wirtschaft gedacht. Um die hohen Studienabbrecherquoten von mancherorts bis zu 50 Prozent zu senken und die Studieninhalte zielgruppenspezifischer aufbereiten zu können, sollen mehr Tutoren verpflichtet, mehr Lehr- und Arbeitsmaterialien angeschafft und das Fernstudienangebot ausgeweitet werden. Welche Maßnahmen die Hochschulen ergreifen, können sie zusammen mit den Ländern selbst bestimmen.

Das Ziel der Aktion: Die Studierenden besser zu betreuen, so dass sie schneller und erfolgreicher studieren können. Mit dem Aktionsprogramm soll aber auch die Einführung von weiteren Zulassungsbeschränkungen vermieden werden. Denn einige Hochschulen haben bereits angekündigt, einen Numerus Clausus festzusetzen, weil es überall an Lehrkräften, Räumen und technischer Ausstattung mangle. Die Hochschulen könnten den Ansturm der Studierenden - auch in der Informatik - nicht mehr bewältigen.

Doch reicht das in Aussicht gestellte Geld tatsächlich aus, um die beabsichtigten Maßnahmen zu flankieren oder gar einen Fortschritt zu erzielen? "100 Millionen ist ein Witz", meint Burkhard Rauhut, Rektor der RWTH Aachen. Es gebe zirka 82 Universitäten und 121 Fachhochschulen - Informatik werde an rund 100 Hochschulen angeboten. Wenn das Geld gleichmäßig aufgeteilt würde, reiche es für die einzelne Hochschule nicht einmal aus, um einen Lehrstuhl einzurichten, zusätzliches Personal einzukaufen oder neue Rechner anzuschaffen. Das sei jedoch dringend notwendig. Die Studienanfänger müssten intensiv betreut werden, oft fehle es ihnen an Grundkenntnissen in Elektrotechnik oder Mathematik. Die angesehene RWTH Aachen hat doppelt so viele Studenten zu versorgen wie geeignete Studienplätze zur Verfügung stehen. Die Personal- und Raumausstattung ist laut Rektor Rauhut katastrophal. Zudem verhindere das Besoldungsrecht, dass man gute Leute aus der Wirtschaft als Lehrkräfte an die Hochschulen hole. Über ein Professorengehalt von rund 8000 Mark im Monat würden die nur lachen.

Rauhuts Vorschlag, wie man die Misere zumindest zum Teil beheben könnte: Das Interesse der Studienanfänger auf artverwandte Fächer lenken. Zur Zeit würden sich die Studierenden auf die Informatik stürzen und dabei andere Studienangebote, in denen ebenfalls IT-Know-how vermittelt werde, wie etwa die Elektrotechnik, vernachlässigen, weil dort mehr Mathematik gefordert wird. Bereits in den Schulen müsse das Bewusstsein gestärkt werden, dass auch diese Fächer für die Informationsgesellschaft enorm wichtig seien. Das A und O für einen Umschwung: die Verbesserung des Mathematikunterrichts.

Auch Jürgen Sahm, Vizepräsident für Lehre und Studium an der Technischen Universität (TU) Berlin, glaubt kaum, dass das Sofortprogramm mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Die Probleme seien dadurch nicht zu lösen. Von den 50 Millionen - also zehn Millionen Mark pro Jahr -, die die Bundesregierung den Hochschulen zur Verfügung stellen will, würde Berlin ganze sechs Prozent erhalten. Das heißt im Klartext: Für alle Berliner Hochschulen stehen pro Jahr nur 600 000 Mark zur Verfügung. Der TU, so hat es Sahm errechnet, würden dann 200 000 Mark pro Jahr zufallen. Damit könne die Hochschule gerade einmal zwei wissenschaftliche Mitarbeiter bezahlen. Anstatt das knappe Geld in Personal zu investieren, denkt man an der Hochschule bereits über eine andere Möglichkeit nach: Der Fachbereich für Informatik könnte die 200 000 Mark zunächst für Hardware ausgeben und dann versuchen, Gelder aus der Industrie einzuwerben, um später einmal weiteres Personal einzustellen.

Ab Juli wird die TU Berlin bei den Unternehmen mit ihrem neu konzipierten einjährigen IT-Weiterbildungsangebot für Absolventen anderer Fakultäten anklopfen. Die Firmen sollen 30 000 bis 50 000 Mark in das Crash-Programm investieren. Dafür, so Sahm, erhalten sie nach einem Jahr einen gut ausgebildeten neuen Mitarbeiter, den sie sofort einsetzen können. An der TU Berlin fehlt es zur Zeit sowohl an Personal als auch an Räumen und technischer Ausstattung. Einige Studierende müssten sogar ihren Rechner selber mitbringen. Deshalb habe die TU auch den Numerus Clausus eingeführt. Im vergangenen Jahr gab es für die 300 Studienplätze an der TU Berlin 750 Studienanfänger. Es ist laut Sahm nicht möglich, den Nachwuchs gut auszubilden, wenn in Vorlesungen 600 und in Übungen 35 Studenten sitzen. Gar noch mehr Studenten aufzunehmen, wäre einfach nicht mehr zu verantworten.

Mit diesem Problemen kämpfen nicht nur Aachen und Berlin. Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden haben sich im Studienjahr 1999/2000 etwa 19 900 Studierende für das Fach Informatik eingeschrieben. Dies sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Zur Zeit gibt es zirka 100 000 Informatikstudenten, die im Durchschnitt 13,6 Semester für ihr Studium benötigen. Die jährlichen Absolventenzahlen sollen sich von heute rund 7000 langsam bis 9000 im Jahr 2005 steigern. Das zeigt, dass Hochschulabsolventen allein den von der Industrie geforderten Nachwuchsbedarf nicht decken können und die Unternehmen, vielleicht in Kooperation mit den Hochschulen, ihren Nachwuchs selber ausbilden müssen.

Kosten spart sicher das Studieren von zu Hause. Wer sich hier orientieren will, der erhält jetzt erste Hilfe über das neue Online-Informationsangebot der BLK "Studieren im Netz". Dort findet man alle über das Internet verfügbaren Studienmöglichkeiten deutscher Hochschulen, seien es Seminare, Vorlesungen oder ein komplettes Fernstudium. Die Hochschulen können dort jederzeit neue Angebote eintragen. Links führen zu den Hochschulen. "Studieren im Netz" ist eine elektronische Schwester von "Studien- und Berufswahl online", dem Studieninformationssystem von BLK und der Bundesanstalt für Arbeit.

*Veronika Renkes arbeitet als freie Journalistin in Bonn.