Projekt-Management/Gelungener Projekteinstieg ohne Einsatzanalyse

Die Mega-Vorgabe: R/3 in einem halben Jahr einführen

03.10.1997

Vor der SAP-R/3-Einführung war der Datentransfer zwischen den einzelnen Abhollagern, Niederlassungen und Filialen der Malereinkaufsgenossenschaft e.G. Mega oft ein Problem: Einzelne Standorte arbeiteten vollkommen losgelöst von der Zentralverwaltung in Hamburg. Das gewachsene Individualsystem reichte bei weitem nicht mehr aus, um den Anforderungen eines expandierenden Handelsunternehmens gerecht zu werden. Mit dem Hinzukauf der Hacotex Gruppe Anfang letzten Jahres wurde die Notwendigkeit eines neuen Systems akut.

Nach sechs Monaten und ohne Einsatzuntersuchung schaffte es das Mega-Projektteam, unterstützt von der Command Computer Anwendungsberatung GmbH, Ettlingen, mit R/3 in Echtbetrieb zu gehen: Seit Januar hat Mega bis auf die Fertigung (PP-Modul) und Lohnabrechnung (HR-Modul) das komplette Standardpaket im Einsatz.

Das Hamburger Großhandelsunternehmen kann auf eine bewegte und fast zwanzigjährige DV-Geschichte zurückblicken. Ende der siebziger Jahre begann die Genossenschaft mit einem System von Mannesmann Kienzle, was sich jedoch bald als Einbahnstraße für die Anbindung weiterer Filialen herausstellte. Auf der Suche nach einer Online-Lösung, die die für eine Expansion erforderlichen Funktionen enthielt, stieß man 1980 auf ICL. Das Unternehmen bot mit dem Standardsystem "Autras" einen für damals recht modernen Transaktionsmonitor VTP an. Die ICL-Lösung wurde auf einem Großrechner installiert und soweit den eigenen Unternehmensprozessen angepaßt, daß vom Standard nicht mehr viel übrig blieb. Neben drei Betriebssystem-Wechseln - von ehemals CME* über TME zu VME - wurde auch die Hardwareplattform mehrfach ausgetauscht; zuletzt war ein S/39-System in Betrieb, das ohnehin einer Plattenerweiterung bedurfte.

Den Wechsel auf den inzwischen weiterentwickelten Trans-aktionsmonitor in TPMS oder Open TP wollten die Hamburger jedoch nicht mehr mitmachen: Die Anpassungen wären zu umfangreich gewesen.

Daraus resultierten jedoch Probleme im Responseverhalten der Cobol-Anwendungen: Die Transaktionen mußten stets einzeln nacheinander abgearbeitet werden. Darüber hinaus verzögerte sich die Anbindung neu hinzukommender Niederlassungen zusehends. Oft dauerte es ein halbes Jahr und länger, bis die erforderlichen Funktionalitäten hinzuprogrammiert waren. Ferner lag das gesamte Know-how um die gewachsene DV-Lösung bei zwei ehemaligen ICL-Mitarbeitern: Das Risiko der vollkommenen Abhängigkeit war zu groß. Hinzu kam, daß sich immer weniger Entwickler am Markt finden lassen, die Cobol in VTP programmieren können.

Das zeigte sich besonders im vergangenen Jahr nach dem Hinzuerwerb der Hacotex Gruppe, einem Spezialisten für Bodenbeläge mit fünf Niederlassungen: Deren Individualsoftwarebereich war von der Lagerbestandsführung bis zum Rechnungswesen im Outsourcing bei einem externen Rechendienstleister angesiedelt. "Hacotex hätten wir unter gar keinen Umständen auf das Altsystem bringen können. Hier ergab sich ein gewisser Druck für eine baldige Softwareentscheidung", schildert Herwig Langetepe, Prokurist und Bereichsleiter Logistik, die Ausgangssituation. Über ein Jahr waren zwei unterschiedliche Rechensysteme bei Mega und Hacotex im Einsatz mit der Folge des ständigen Datenabgleichs. Die gewachsene, sehr schlanke Anwendung bot zwar den Vorteil, sämtliche Geschäftsprozesse exakt abzubilden, sobald aber ein Blick über den Tellerrand erfolgte, um zum Beispiel weitere Unternehmensbereiche ausbauen zu können, stieß man an seine Grenzen. Die sich marktbedingt ändernden Prozesse in Ein- und Verkauf wie Konditionsarten, Vertriebsabläufe etc. ließen sich nicht mehr in annehmbarer Zeit mit dem Altsystem realisieren.

Ohne große Ausschreibung wurden auf der CeBIT 96 verschiedene Anbieter integrierter Systeme aufgesucht: Die künftige Lösung sollte durchgängig, integriert und Client-Server-fähig sein und - was am wichtigsten war - am 2. Januar 1997 in Echtbetrieb gehen.

Außer SAP kamen noch Baan und Navision in die engere Wahl. Recht schnell entschied man sich zugunsten von SAP R/3: "Wir versprachen uns vor allem eine entscheidende Einflußnahme von Handelsunternehmen wie Metro oder Tengelmann auf die Weiterentwicklung der handelspezifischen Funktionalitäten in R/3, wovon wir als mittelständisch strukturiertes Handelsunternehmen ebenfalls profitieren können", erinnert sich Langetepe.

Daß der Logistikexperte recht hatte, zeigt die mit Release 4.0 für den Herbst angekündigte branchenspezifische Lösung R/3-Retail: Mehr als 200 zusätzliche handelsspezifische Geschäftsprozesse sollen Handelsunternehmen bei der Akquisition, Planung und Warenverfolgung entlang der gesamten Wertschöpfungskette unterstützen. Auch für die erforderliche Flexibilität scheint gesorgt: Einzelne Module lassen sich bei Bedarf aktivieren, Parameter neu definieren, Tabellen flexibel einstellen.

Die Hamburger könnten dann also rascher auf Veränderungen des Marktes reagieren und sich in verschiedene Richtungen weiterentwickeln. Ferner kommen mit Release 4.0 Funktionen für die Sortimentsplanung, die Preis-, Aktions- und Vertriebsverwaltung hinzu.

Als Implementierungspartner kamen zwei SAP-Systemhäuser in Betracht, die auf Branchenerfahrung in Warenwirtschaft und Handel verweisen konnten: Die schnellen Antwortzeiten sowie die Zusage, mit dem 2. Januar 1997 den Echtbetrieb aufzunehmen, schufen für die Command Berater aus Ettlingen die Ausgangsbasis. Entscheidend war letztlich die Umsetzung.

Einen Monat später besuchten die Projektverantwortlichen der Mega einen Infotag bei der Hamburger Command-Niederlassung. Nach einem Kick-off bei Mega Mitte Juni konnte der Projektstart erfolgen. In dem nach ISO 9002 zertifizierten Handelsunternehmen waren die meisten Geschäftsprozesse gut dokumentiert. Die vorhandenen Daten konnten die Projektmitglieder für die zügige Abwicklung des R/3-Projekts nutzen. Eine gute Infrastruktur sowie das Wissen der Fachabteilungsleiter um mögliche Verbesserungen erlaubten den direkten Projekteinstieg ohne Einsatzuntersuchung und Checklisten. "Manch einer hat uns für verrückt erklärt. Als zusätzliche Sicherheit hatte man bereits einen Monat vor Echtstart die Hardware komplett installiert: Frühzeitige Tests sollten zumindest das Auftreten von Hardwareproblemen ausschließen.

Die einzelnen Projektgruppen setzten sich aus je einem Command-Betreuer und mehreren Mitarbeitern aus den entsprechenden Fachabteilungen zusammen. Um eine möglichst breite Akzeptanz zu erreichen, wurde die Mitarbeiterschulung zum zentralen Thema erklärt. Bei einem Gesamtschulungsaufwand von 2.800 Tagen erhielt jeder Mitarbeiter im Schnitt sieben Tage Fortbildung. Sowohl externe als auch interne Kräfte schulten die verschiedenen Gruppen nach vorher definiertem Umfang. So wurden allein fast 380 ehemalige Terminalbenutzer zu Mausanwendern unter Windows NT weitergebildet. Grundsätzlich erhielten alle Mitarbeiter eine SAP-Grundschulung, in der ganz allgemein die Oberfläche und der Aufbau des Systems erklärt wurden.

Den DV-Verantwortlichen der Niederlassungen wurde spezielles System-Know-how vermittelt, wie auch Hardwarekenntnisse durch Ausbilder von Compaq.

"Natürlich wären arbeitsplatzspezifische Schulungsmaßnahmen günstiger gewesen. Durch ein Splitting hätten wir jedoch die knappe Projektzeit unter keinen Umständen halten können", erläutert Langetepe das Schulungskonzept. Die Ausbildung zog sich über vier Monate hin bis kurz vor Echtstart. Die Projektteams sorgten dafür, daß in den Abteilungen Workstations bereit standen, sobald eine Gruppe Mitarbeiter von der Schulung zurückkam. So konnte die Zeit zwischen Schulung und Echtstart durch Training überbrückt werden.

Datenbestände komplett in Access übernommen

Nach der Inventur Ende Dezember letzten Jahres mußten sämtliche Daten - von Materialstämmen und Infosätzen angefangen bis zu den Bestandsdaten - in R/3 überspielt werden. Über Ausgabeprogramme des S/39-Rechners wurden die Datenbestände komplett in Access übernommen, um anschließend als Batch-Input an R/3 zu gehen. Da das R/3-Projekt die Datenübernahme weit vor dem Echtstart verlangt, mußten die aktuellen Datenbestände permanent abgeglichen werden. Erschwerend kam hinzu, daß der Materialstamm in Autras nur eine Maske aufwies, in R/3 hingegen zwölf. Zwar mußte nicht jede Maske gefüllt werden, das neue System verlangte jedoch Daten, die so nicht verfügbar waren. Hier galt es, die benötigten Daten aus vorhandenen Statistiken und Auswertungen abzuleiten. Der Materialstamm ließ sich nur über einen Direct-Input in R/3 einspielen: An die 70 Dateien mußten wohlportioniert online transferiert werden.

Ein größeres Problem stellte die Übernahme der Hacotex-Daten dar: Durch die seit Jahren an einen externen Rechendienstleister ausgelagerte DV war keinerlei DV-Know-how vorhanden. Außerdem klassifizierte Hacotex Artikel nach anderen Kriterien, als R/3 das fordert. Teppichböden zum Beispiel waren trotz unterschiedlicher Farbvarianten und Breiten als nur ein Artikel angelegt, das heißt in der Auftragserfassung wurde Farbe und Breite separat aufgenommen, ohne daß sich dies in der fünfstelligen Artikelnummer widerspiegelte.

Alle erdenklichen Varianten generiert

Bevor der Artikelstamm mit Hilfe von Konvertierungsprogrammen übernommen werden konnte, mußten aus den Artikelnummern alle erdenklichen Varianten generiert werden. Der Abgleich auf Doubletten erfolgte erst nach dem Echtstart, wobei auch einige Artikel neu angelegt wurden.

Das über ein X25-Netz gekoppelte Altsystem von ICL konnte während des Projekts schrittweise abgebaut werden, es wurde durch ein Frame-Relay-Netz ersetzt. So war es möglich, beide Systeme über Frame Relay und Otelo bis zur Aufnahme des Echtbetriebs parallel zu bedienen. Auf dem Altsystem wurde im Januar noch das Geschäftsjahr 1996 abfakturiert. Danach stand es für weitere drei Monate als Informationssystem für Nachfragen zur Verfügung, um schließlich Ende März ganz abgeschaltet zu werden.

Trotz zahlreicher Überwachungsprogramme gab es anfangs einige Probleme. Hier zeigte sich, daß der Know-how-Transfer funktioniert hatte: Probleme konnten selbständig durch das Mega-Team im First-Level-Support gelöst werden. "Die Berater haben kein Wissen zurückgehalten, so daß wir von Anfang an autark waren. Da die Hotline so gut wie nicht benötigt wurde, haben wir schon nach wenigen Wochen die Telefonleitung gekappt", so Langetepe.

Optische Archivierung und Edifact noch in 1997

Pläne gibt es für weitere Teilprojekte: So will man noch in diesem Jahr die optische Archivierung und Edifact einführen, das hauseigene Auftraggeberinformationssystem "Agis" soll durch eine Außendienststeuerung sinnvoll ergänzt werden.

Und das Fazit von Projektleiter Langetepe: "Jetzt haben wir gerade mal das Thema Datenverarbeitung optimiert - ein erster und wichtiger Schritt in Richtung optimaler Informationstransfer. Wir denken, starke Partner gefunden zu haben, um nun das Thema Information weiter voranzutreiben zu können."

Die Kosten für das Projekt beliefen sich auf etwa sechs Millionen Mark: Neben den reinen Hard- und Software-Ausgaben sind darin die Kosten für den Aufbau des Notrechenzentrums, für Schulung, Verkabelung etc. enthalten. "Wenn man bedenkt, daß nebenbei die gesamte Infrastruktur umgestellt werden mußte und inzwischen 350 Mitarbeiter mit R/3 arbeiten, lagen die Kosten trotzdem im Rahmen unserer Erwartungen", resumiert Langetepe.

ANGEKLICKT

Eine bewegte DV-Geschichte hatte die Einkaufsgenossenschaft Mega in Hamburg hinter sich, als man sich zur Einführung von R/3-Standardsoftware mit Hilfe eines externen Beratungsunternehmens entschloß. Eine "Entscheidungshilfe" war der Kauf der Hocotex Gruppe, eines Spezialisten für Bodenbeläge mit fünf Niederlassungen. Die Projektverantwortlichen in dem nach ISO 9002 zertifizierten Hamburger Handelsunternehmen konnten sich auf gut dokumentierte Geschäftsprozesse stützen, was eine zügige Installation der neuen Standardsoftware ermöglichte. Da die Berater kein Know-how zurückgehalten hatten, konnte das Mega-Team auftretende Probleme von Anfang an selbst lösen.

Sicherheit

Die Mega hat derzeit sechs Compaq-Rechner im Einsatz, die durch einen FDDI-Doppelring miteinander verbunden sind: einen Datenbankserver, drei Applikationsserver sowie einen Test- und einen sogenannten Backup-Server. Die Server verfügen über 640 bis 768 MB Hauptspeicher und sind mit Intel-Prozessoren vom Typ Pentium-Pro 166 ausgestattet. An die NT-Server sind 350 PCs angeschlossen, die wiederum über das Otelo-Datennetz ISDN-Zugriff auf den zentralen Datenbankserver haben. Auf einem Switch befinden sich die Router-Systeme von Otelo und schaffen die Netzwerkverbindung nach außen - weitere Switch-Ports sind mit verschiedenen HUBs belegt. Als Datenbank wird Oracle eingesetzt.

Da sich das Rechenzentrum der Mega direkt über dem Hauptlager mit stark brennbaren Farben und Lacken befindet, mußte für den Not- beziehungsweise Brandfall eine Lösung geschaffen werden. Im Intel-Bereich ist eine Server-Spiegelung über größere Entfernungen jedoch wegen der extrem hohen Transferleistungen nicht möglich. So wurde in einiger Entfernung zum Lager in einem extra Raum ein kleines Notrechenzentrum mit einem zusätzlichen Server eingerichtet. Der Server ist in den FDDI-Doppelring integriert, wobei turnusmäßig ablaufende Restores für den Datenabgleich mit dem Echtsystem sorgen. Einerseits kann das Notrechenzentrum jederzeit zu einem neuen Rechenzentrum ausgebaut werden, andererseits bietet der dortige Server den Vorteil, in Stoßzeiten über zusätzliche Rechnerleistung zu verfügen.

Mega-Zahlen

Die Hamburger Malereinkaufsgenossenschaft e.G. Mega ist ein mittelständisches Handelsunternehmen mit über 700 Mitarbeitern. 1901 aus dem "Einkaufsverein der Maler zu Altona und Umgegend" hervorgegangen, entwickelte sich die Mega zu einem flächendeckenden Handelsunternehmen. Außer der Mega gehören der Bodenbelagsspezialist Hacotex, die MKB Mittelstandskreditbank AG und die Megadata EDV-Gesellschaft mbH der Firmengruppe an. In mehr als 30 Niederlassungen und Abhollagern sowie fünf Hacotex-Filialen bietet Mega über 25 000 verschiedene Produkte für Maler, Tapezierer wie auch Boden- und Parkettleger an. Der eigene Fuhrpark mit über 80 Fahrzeugen sorgt für die schnelle Anlieferung von Farben, Lacken, Pinseln, Tapeten oder kompletten Sprayanlagen. Von der Produktauswahl über die Qualitätskontrolle in der eigenen Testwerkstatt bis zur Altlastentsorgung reicht das Mega-Leistungsspektrum. Darüber hinaus bieten MKB im Kredit- und Finanzsektor und Megadata im Bürokommunikationsbereich weitere Leistungen an. Der Mega-Verbund konnte 1996 einschließlich der Hacotex-Gruppe einen Umsatz von über 300 Millionen Mark erzielen.

*Ralf Haaßengier ist freier Journalist in Stuttgart.