Die Marktlücke zwischen EDV und Fachabteilung

22.07.1977

Mit Dr. Werner Retzlaff, Geschäftsführer der Taylorix-Tymshare GmbH, sprachen die CW-Redakteure D. Eckbauer und E. Elmauer

- Auf dem bundesdeutschen Timesharing-Markt gibt es zwar interessante Anwendungen, doch verglichen mit Frankreich oder England ist dieser Markt unterentwickelt. Woran liegt das?

Als Timesharing in der Bundesrepublik vor zehn Jahren auf den Markt kam, da warben die Anzeigen: Jetzt stellen wir auch für das Kleinunternehmen die Leistung von Großcomputern zur Verfügung. Timesharing war angelegt für Büros und kleine Wirtschafts-Unternehmen: Und das hat sich im Grunde als falsches Marketing herausgestellt. Denn der kleine Betrieb ist praktisch nicht in der Lage, Bedarf nach höherwertigen betriebswirtschaftlichen Anwendungen, nach analytisch-planerischen Aufgaben zu entwickeln.

- Können Sie denn den bundesdeutschen Timesharing-Markt überhaupt in seiner Größe annähernd bestimmen?

Das ist ein Tasten im Nebel. Also, wir schätzen, im Augenblick werden in Deutschland etwa 40 bis 50 Millionen Mark Timesharing-Umsatz gemacht. Und der größte Hemmschuh für die Ausweitung von Timesharing in Deutschland war eigentlich die Mittlere Datentechnik. Dieser Kleckereffekt, jedes kleine Unternehmen muß seinen kleinen Computer haben.

- Das steht aber in Widerspruch zu Ihrer vorherigen Aussage...

... der Haken bei dieser MDT-Philosophie ist doch die fehlende Software. Aber dieser Effekt ist ja jetzt vorbei, daß sich jeder eine MDT kauft, ohne auf die Kosten zu guten. Und ich denke, darin liegt nun die Timesharing-Chance in der Bundesrepublik.

- Und Sie haben nun ein Patentrezept entwickelt, Timesharing zu vermarkten?

Wir haben kein Patentrezept. Aber überall dort, wo die Haus-EDV nicht in der Lage ist, für die Fachabteilung kommerzielle analytische Aufgaben zu lösen, sehen wir Chancen für den Timesharing-Service. Aus diesem Grund gehen wir mit unserem Angebot aber auch nur auf die 3000 bis 4000 großen EDV-Anwender los und lassen die kleinen und mittleren Betriebe links liegen.

- Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ein Rechenzentrum im Großbetrieb nicht in der Lage sein soll, der Fachabteilung Analysen zu liefern?

Wenn heutzutage im Großunternehmen von der EDV irgendwelche Aufgaben nicht angepackt werden, dann liegt das für meine Begriffe daran, daß der normale Systemanalytiker keine Erfahrung, weder durch Schulung noch durch gewachsene Beziehung zu solchen Aufgaben hat, bei denen es auf die Verständigung zwischen, sagen wir mal Marketing-Chef und betriebswirtschaftlicher Abteilung ankommt. Und da setzen wir ein: Wir bieten Mitarbeiter, die beide Seiten verstehen. Wir wecken das Verständnis dafür, was man eigentlich noch zusätzlich mit der EDV machen kann. Gewöhnlich läuft es doch so, daß - der EDV-Chef seinem Finanzboß sagt, er könne zwar die Aufgabe lösen, aber dazu brauche er Manpower und ohne die würde das mindestens zehn Mann-Jahre dauern, bis so ein Programm steht. Im Gegensatz dazu kommen wir von der Timesharing-Seite und sagen: Wir haben Programm-Generatoren, die schreiben eure Programme maschinell und ihr könnt praktisch die Arbeitsmittel eins zu eins übernehmen, da sind selbst erfahrene EDV-Chefs meist überrascht.

- Deshalb klammern Sie den EDV-Chef bei ihren Verkaufsgesprächen aus?

Wir gehen im ersten Gespräch nie zum EDV-Chef und es ist auch am besten, wenn er gar nicht hinzugezogen wird, weil er automatisch eine Konkurrenz darstellt. Und ohnehin wird in der Zeit des Sparens jede Timesharing-Anwendung, die Geld kostet, dem Finanzchef vorgetragen. Außerdem ist heute immer noch weitverbreitet, daß der EDV-Leiter seinen Status von der Größe der Anlage ableitet. Ich erinnere mich an einen Artikel, da hieß es sinngemäß: Die deutsche Computerbranche rennt mit einem Brett vor dem Kopf durch die Gegend, weil sie meint, sie müsse jedes Programm selbst stricken und sähe gar nicht, wie oft dadurch das Rad neu erfunden wird. Ich glaube, das ist ein Prozeß, den wir nicht allein ändern können, da müssen unsere Mitbewerber mithelfen, daß sich durchsetzt, insgesamt weniger für die eigene EDV zu zahlen, aber durch Timesharing mehr mit EDV zu machen.

- Wir glauben nicht, daß Sie gegen den EDV-Leiter verkaufen können. Und die Mentalität, alles selber machen zu wollen, die schaffen Sie nicht dadurch aus der Welt, daß Sie einen Bruch zwischen dem EDV-Mann und der Fachabteilung herbeiführen.

Je jünger heute ein EDV-Leiter ist, desto ansprechbarer ist er für Problemlösungen, etwa mit Timesharing. Nur der EDV-Leiter, der aus dem Unternehmen herausgewachsen ist, etwas älter ist, hängt noch an der alten Mentalität. Jüngere EDV-Leiter sehen sich in der Rolle als Dienstleiter, bei denen steht die EDV nicht mehr obenan, sondern ist der Aufgabenstellung untergeordnet.

- Worin liegen denn kurz und bündig die Vorzüge von Timesharing als Dienstleistung?

Die Vorteile liegen einmal darin, daß Sie im "Wohnraum" verwirklichen, was heute der Computer am Arbeitsplatz macht. Und Sie haben via Timesharing den Computer nicht nur im operativen Bereich, wo produziert wird, sondern die EDV-Leistung kommt damit auch in die Planungsabteilung. Der zweite Vorteil ist der direkte Zugriff zum Rechner, ohne sich in eine Warteschlange einreihen zu müssen. Der dritte Vorteil: Sie bezahlen exakt soviel, wie sie Rechner-Leistung zur Bewältigung der Aufgabe brauchen.

- Nun läßt sich aber auch die Haus-EDV timesharingfähig machen.

Dazu muß die Anlage aber hardwaremäßig ausgebaut werden, das Betriebssystem muß erweitert werden. Das kostet viel Geld, im Zweifel mehr, als wenn Service zugekauft wird.

- Welche Rolle spielt denn der Preis bei Ihren Verkaufsgesprächen?

Der Preis spielt eine Rolle. Wobei es ein etwas merkwürdiges Problem ist, wenn der Kunde fragt, wie teuer wird das und man kann im Einzelfall keine konkrete Antwort geben: Im Grunde setzt sich der Preis aus drei Positionen zusammen: Anschaltzeit, Terminalkosten und Speicherbedarf, sagen wir mal als Garagenplatz. Nach unseren Erfahrungswerten macht die typische Rechnung 5000 Mark aus. Wenn eine rechenintensive Applikation läuft, dann kommen wir auf einen durchschnittlichen Wert von 120 bis 130 Mark pro Anschaltstunde. Wenn wir eine I/O-intensive Applikation draufhaben, beläuft sich die Anschaltstunde auf 160 bis 180 Mark. Da wird das schon interessant für die Planung, wenn sie nicht von der hauseigenen EDV-Anlage zum Freundschaftspreis von 350 Mark Rechnerleistung in Anspruch nehmen muß.

- Sie bieten aber nicht nur nackte Rechnerkzapazität an?

Nein. Die führenden Timesharing-Hersteller haben erkannt, daß es darauf nicht ankommt. Der Vorteil dieser Rechnernutzung wird erst dann wirklich bedeutend und effizient, wenn man über die Software-Instrumente verfügt, um im planerischanalytischen Bereich Aufgaben schnell zu lösen.

- Ihre Service-Leistung besteht demnach nicht darin, einer überlasteten EDV zu helfen, Spitzen abzubauen?

Es gibt zwar in Deutschland einige Unternehmen, die keine Software haben, die nur Computer zur Verfügung stellen. Aber mit denen konkurrieren wir nicht. Denn wir fragen nach dem Problem und sagen: Wir sind mit unseren Software-Instrumenten in der Lage, deine Anwendung innerhalb von vier bis acht Wochen zum Laufen zu bringen, weil wir keine Standardsoftware einsetzen, sondern Generatoren.

- Und Sie spezialisieren sich auf "unattraktive" Anwendungen, die für die Haus-EDV zu aufwendig sind?

Unattraktiv würde ich nicht sagen. Wir haben eine Marktlücke aufgestoßen bei Anwendungen, die von der Inhaus-EDV nicht abgedeckt werden weil die Manpower fehlt und die finanziellen Aufwendungen zu groß wären, diese Aufgaben zu lösen.

- Glauben Sie, daß Ihnen hierbei der Trend zum Sparen zu Hilfe kommt?

Ich glaube, daß in Zukunft die Rechenzentren kleiner werden und daß es sich die großen Unternehmen nicht mehr leisten werden, Millionen für große Rechenzentren auszugeben. Sondern sie werden ihre 08/15-Applikationen auf der Hausanlage fahren und bestimmte Aufgaben dezentralisieren. Und wir müssen in den Fachabteilungen den Bedarf nach Timesharing-Service wecken.

- Und wie sehen Sie die Rolle der Post bei der von Ihnen angestrebten Entwicklung?

Die Post macht das Timesharing-Geschäft für den Anbieter teuer, zumal die deutsche Wirtschaft in sehr viel geringerem Maße zentralisiert ist, als beispielsweise die französische. In Frankreich befinden sich 80 bis 90 Prozent des entscheidenden Potentials in und um Paris. Wenn man in Deutschland all die Wirtschaftsschwerpunkte - Rhein-Main, Ruhrgebiet, Hamburg, Münchener und Nürnberger Raum abdecken will -, dann setzt das voraus daß man dort überall Konzentratoren hat. Und dann kostet eine Leitung Frankfurt-Stuttgart auch bald wieder 3000 Mark: Wir hätten früher auf diesen Punkt kommen sollen, denn die Post ist mitentscheidend dafür, daß Timesharing in der Bundesrepublik so unterentwickelt ist.

Dr. Werner Retzlaff (47)

studierte Volkswirtschaft in Freiburg und promovierte 1959. Nach 11jähriger Tätigkeit bei der Bank für Gemeinwirtschaft und anschließend bei Univac als Geschäftsstellenleiter und als Direktor in der Hauptverwaltung, begann er 1970 als Vertriebs- und Marketingleiter bei Taylorix. Seit Anfang 1977 ist er Geschäftsführer der Taylorix-Tymshare GmbH.